«Ein Use-Case sollte umsetzbar sein, nicht Sci-Fi»

10.06.2020 Lucia Nievergelt ist schon so lange in der Baubranche, dass sie noch Zeichen mit Tusche gelernt hat. Heute begleitet sie Unternehmen beim digitalen Wandel - und teilt ihr Wissen im Modul Digital Real Estate als Dozentin.

Es ist vier Uhr am Nachmittag - was machen Sie gerade?

Ich komme aus einer Video-Konferenz, wie so viele im Moment. Vertreter aus vier verschiedenen Abteilungen - war ziemlich was los auf dem Bildschirm.

Die Abteilungen arbeiten bei der Planung, Herstellung und Montage von technischen Anlagen und Komponenten eng zusammen. Bei dieser Zusammenarbeit wiederholen sie den immer gleichbleibenden Workflow. Die Prozesse sind im Moment zeitaufwändig, schwer steuerbar und fehleranfällig. Wir haben besprochen, wie diese Prozesskette besser strukturiert werden kann und welche Anforderungen die Abteilungen haben. 

Unser Ziel ist, die Wertschöpfung durch schlanke und transparente Prozesse reibungsloser und für alle Beteiligten nachvollziehbar zu gestalten.

Vorgefunden haben wir zu Beginn des Projektes hochspezialisierte, kleinteilige Prozesse, die wir jetzt gemeinsam hinterfragen: Braucht man das wirklich alles? Was verursacht immer wieder Schwierigkeiten? Was ist über die Zeit «einfach so gewachsen», aber überflüssig? Und worauf kann man auf keinen Fall verzichten? 

Das klingt nach klassischer Organisationsberatung – was hat das mit Digitalisierung zu tun?

Die Prozesskette soll zukünftig über digitale Tools strukturiert werden. Viele Schritte lassen sich standardisieren und in die Tools verlagern. Das gibt den Prozessen Stabilität, oft werden sie um einiges schlanker. Die Mitarbeitenden bekommen dadurch freie Kapazitäten für die Prozessschritte, die ohne den Menschen nicht möglich sind.

In den meisten Digitalisierungsprojekten kann man auf bestehende Tools zurückgreifen – es gibt wenige Probleme, für die es keine Out-of-the-box Lösungen gibt. Die Herausforderung ist, das richtige Tool zu finden. Das kann sich bei dem grossen Angebot wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen anfühlen. Es kann hier durchaus Sinn ergeben, die Prozesse dem Tool anzupassen, um reibungslose Abläufe zu erreichen. Davon profitiert der Prozess oft sogar erheblich.

Eine Alternative ist, Tools selbst zu entwickeln oder auf die eigenen Prozesse anzupassen. Bei solchen Eigenentwicklungen sollte aber immer kritisch geprüft werden, ob der Nutzen des Tools Kosten- und Zeitaufwand rechtfertigt. 

Welche Frage begegnet Ihnen in ihrer Tätigkeit am häufigsten?

Im Bereich BIM2FM gibt es DIE eine Frage: «Braucht es das wirklich?» Man kann sie auf zwei Arten stellen: 

1. Bau an Betrieb: «Braucht es das wirklich?» Die beiden Bereiche liegen immer noch in Paralleluniversen und haben wenig Verständnis für die Bedürfnisse des anderen. Deshalb ist dem Bau nicht immer klar, welchen Wert Daten für den Betrieb haben.

2. Aber es wäre gut, wenn auch der Betrieb sich diese Frage stellen würde: «Braucht es das wirklich?». Die Unterscheidung zwischen möglich vs. notwendig ist oft nicht präzise genug. Wir nennen das Toolblindheit: Man konzentriert sich nicht mehr auf den Use Case, sondern will die Technologie um der Technologie Willen einsetzen. 
Die eigentliche Frage muss deshalb immer sein: Was möchte ich erreichen? Man braucht keinen Bagger, wenn man gar keine Grube graben will.

Diese Frage ist mein Lieblingsthema, damit werden wir die Teilnehmer im Modul Digital Real Estate immer wieder konfrontieren.

Wo sehen sie die Branche in 10 Jahren?

Der Markt entwickelt sich rasant. Klingt abgedroschen, ist aber trotzdem wahr. Die Technologien werden immer besser, günstiger und einfacher nutzbar.

Der Nutzen, den sie bereits heute erzeugen können, ist für die Branche nicht so sichtbar. Sie richtet ihren Blick vor allem auf die damit verbundenen Aufwände und Kosten. 
Es wird in den nächsten 10 Jahren einen Kippunkt geben, an dem die Technologien so niederschwellig in Implementierung und Nutzung werden, dass die ganze Branche losstürmen wird.

Wie kann man sich und sein Unternehmen vorbereiten?

Gedanklich schon jetzt umschalten und die Tätigkeiten auf Digitalisierungstauglichkeit sondieren: Digitalisiert werden kann alles, was automatisiert und standardisiert werden kann. Und bei vielem muss man gar nicht auf die nächsten 10 Jahre warten, da kann man sofort anfangen.

Es geht nicht darum, Jobs wegzurationalisieren, sondern darum, die mühseligen Copy-Paste-Aufgaben zu digitalisieren, damit die Mitarbeiter mehr Zeit für die Dinge aufwenden können, die uns keine Maschine abnehmen kann.

Was möchten Sie persönlich dazu beitragen?

Meine Mission ist, die Kommunikation zwischen Bau und Betrieb zu verbessern. Mehr Transparenz, weniger Leerläufe. 

Beispiel: Wenn heute eine technische Zentrale gebaut wird, stellt man die Komponenten auf, Wand drum, Tür zu, fertig. Wird jetzt Jahre später der Monoblock ausgewechselt, muss er vor der Technikzentrale zerlegt werden, weil er nicht durch die Tür passt. 

Zum Zerlegen sind Monoblöcke allerdings nicht gedacht. Im Bauprojekt soll sichergestellt werden, dass die Logistik im realen Gebäude funktioniert. Mit BIM können wir solche betrieblichen Abläufe schon im digitalen Modell vordenken und die Logistikwege simulieren. Damit stellen wir sicher, dass die Betriebsphase ideale Startbedingungen hat.

Zum Schluss: Haben Sie einen persönlichen «Tool-Tipp» für uns?

Mit Blick in die Zukunft: Ich bin ein Fan von «Planner», einem Kanban-Tool aus der Microsoft-Welt. Microsoft hat vor einiger Zeit die Start-Up App «Wunderlist» aufgekauft und verschmilzt diese beiden jetzt zu «Tasks», von dem ich mir eine grosse Erleichterung für die Office-Arbeit verspreche. 

«Tasks» kommt in wenigen Wochen auf den Markt – ich warte schon sehnsüchtig.

Zur Person

Lucia Nievergelt ist Projektleiterin Consulting Facility Management bei Amstein + Walthert und Dozentin im Modul Digital Real Estate.

Lucia Nievergelt, Dozentin Digital Real Estate

Weiterbildungen im Bereich Digitalisierung