«Es ist höchste Zeit für einen Paradigmenwechsel»

15.09.2020 Mit der neu entwickelten Stahlschneebrücke begegnen Forscherinnen und Forscher der Berner Fachhochschule BFH den Gefahren, die durch das Auftauen in Permafrostgebieten auftreten.

Es taut im Hochgebirge und das stellt die Siedlungen in den Tälern vor neue Herausforderungen. Eine solche Herausforderung ist die Tatsache, dass Steinschlag zunehmend oberhalb der Baumgrenze auftritt. Hier stellten früher Schneebretter und Eisabbrüche die Hauptrisiken dar. Die herkömmlichen Lawinenverbauungen sind nicht geeignet, um vor Steinschlag zu schützen; sie werden sogar selbst von fallenden Felsbrocken beschädigt. Denn die meisten Lawinenverbauungen wurden in den 50er- und 60er-Jahren entwickelt, bevor die Temperaturen zum aktuellen Höhenflug ansetzten. Am Institut für Siedlungsentwicklung und Infrastruktur ISI der BFH befassen sich Expertinnen und Experten unterschiedlicher Fachrichtung mit dem Steinschlagschutz im (einstigen) Permafrostgebiet. Das sagt Institutsleiter Martin Stolz. Er selbst ist Bauingenieur. Zum Team gehören zudem Umweltnaturwissenschaftler und Autotechniker. Denn das Ziel des vierjährigen Projekts war eine Lawinenverbauung, die analog zum Autostossdämpfer funktioniert und zugleich vor Steinschlag schützt. Damit kann die Energie von Steinbrocken durch eine nachgiebige Konstruktion abgeleitet werden, sodass kein Schaden entsteht. Je weicher, desto besser, heisst die Lösung. Zum Erfolg entscheidend beigetragen hat das DTC Dynamic Test Center in Vauffelin, wo die Berechnungen in die Praxis umgesetzt und überprüft wurden. Mitfinanziert wurde das Projekt von Innosuisse, der schweizerischen Agentur für Innovationsförderung. Jahrzehntelang wurden Verbauungen im Hochgebirge grösser und härter. Martin Stolz ist überzeugt, dass es im Umgang mit Naturereignissen – ganz bewusst spricht er nicht von Naturgefahren – höchste Zeit ist für einen Paradigmenwechsel. «Wir müssen mit der Natur leben und nicht gegen sie.» Die technologischen und materialseitigen Fortschritte rund um Steinschlag, Lawinen, aber auch beim Hochwasser, hätten gerade Ingenieure dazu verleitet, die Natur und deren Bedürfnisse beiseitezuschieben und rein technische Lösungen anzubieten. «Doch beim Steinschlag liegt die Lösung nicht in härteren Materialien und schon gar nicht in massiveren und grösseren Schutzbauten. Weicher ist besser. Es geht darum, den Aufprall des Steins über einen möglichst langen Zeitraum zu verteilen, damit die Energie gut abgeleitet werden kann.»

Lawinen- und Steinschlagschutz am Berg
Montage zu Testzwecken in der Nähe von Zermatt.

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