Exkursion ins Gemüseparadies

22.02.2022 Dozent Jürgen Blaser nahm Masterstudierende zum letzten Mal mit ins Berner Seeland. Einst ein Sumpfgebiet, gilt die Region heute als Gemüseparadies der Schweiz.

Überschwemmungen, Torfschwund, Klimawandel – für den sonst international tätigen Dozenten Jürgen Blaser ist das Seeland ein hervorragendes Beispiel: «Globale Herausforderungen der Landnutzung werden hier auf regionaler Ebene fassbar. Wie können wir die Ernährungssicherheit in Zeiten des Klimawandels lokal gewährleisten und unsere natürlichen Ressourcen und die Biodiversität erhalten?» Im Unterricht erlernen die Studierenden, solchen Fragen mit Ansätzen des integrierten Managements natürlicher Ressourcen zu begegnen.

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Zwischenstopp bei Frienisberg: Jürgen Blaser erklärt den Studierenden, wie sich die Landschaft des Seelandes verändert hat.

Die Aare umgeleitet

Als wir in Zollikofen in den Bus einsteigen, regnet es in Strömen. «Gewöhnlich können wir bei schönstem Herbstwetter an der Alten Aare picknicken», sagt Blaser, der seit elf Jahren an der BFH-HAFL lehrt und nun pensioniert wird (siehe Box rechts). Nicht aber in diesem Jahr. Zum Glück verschont uns der Regen beim ersten Halt kurz vor Frienisberg.

Von hier haben wir den perfekten Überblick – in der Ferne die Jurakette, davor der Bielersee und das Grosse Moor. Die Aare hat dort nach dem Rückzug des Rhonegletschers über Jahrtausende Geschwemme aus den Alpen abgelagert. Dies führte zur Versumpfung. Jürgen Blaser erklärt: «Mit der ersten Juragewässer-Korrektion wurde die Aare vor 150 Jahren bei Aarberg über Hagneck in den Bielersee umgeleitet, Sumpfgebiet entwässert und so für die Landwirtschaft nutzbar gemacht.» Heute wird im Seeland ein Viertel des Schweizer Gemüses produziert.

Nicht nur positive Folgen

Als wir auf den rechtwinklig angelegten Strassen durch die Felder des Grossen Moors fahren, wird schnell klar: Die Entwässerung hat auch negative Folgen. «Seht ihr, dass die Felder deutlich tiefer liegen als die Strasse? An manchen Orten ist der torfhaltige Boden bis zu zweieinhalb Meter abgesackt.» Torf entsteht, wenn abgestorbene Pflanzen wegen Sauerstoffmangel im hohen Grundwasser nicht ganz verrotten. Der im Pflanzenmaterial gespeicherte Kohlenstoff akkumuliert sich so über Jahrtausende.

Durch die Entwässerung und den anschliessenden Kontakt mit Sauerstoff zersetzt sich aber die Torfschicht und CO2 gelangt in die Atmosphäre. Wie gelingt es, dies zu vermeiden? Die Studentinnen und Studenten diskutieren. Wäre der Anbau rentabel, würde man den CO2-Ausstoss in die Bilanz einschliessen? Gibt es standortgerechtere Produktionssysteme als die intensive Bewirtschaftung? Wir haben es mit einer produktiven Region zu tun, die zur lokalen Ernährungssicherheit beiträgt. Eine gänzliche Renaturierung scheint also nicht die Lösung. Es gilt, integrative Lösungen zu finden, welche die Koexistenz von Bodenschutz, effizienter Landwirtschaft und biodiversen Lebensräumen ermöglichen. Es wird über Treibhäuser diskutiert und alternative Anbaumethoden wie Reis (siehe Box unten rechts).

Mehr Zeit für Sibirien

Prof. Dr. Jürgen Blaser ist seit 11 Jahren Dozent für internationale Waldwirtschaft und Klimawandel an der BFH-HAFL. Das Seeland ist seine Wahlheimat, seine Leidenschaft gilt aber seit jeher den internationalen Wäldern. Wo es ihn nach seiner Pensionierung hinzieht? «Auf jeden Fall auf ausgedehnte Waldspaziergänge in der näheren Umgebung. Auch freue ich mich, endlich mehr Zeit in meinem abgelegenen Bauernhaus in West-Sibirien zu verbringen. Die globalen Wälder werden mich aber auch in den kommenden Jahren noch weiter beschäftigen.» Die Aufgaben im Bereich International Forest Management gibt er an Dr. Claude Garcia weiter, der von der ETH an die BFH-HAFL stösst und bereits in den vergangenen Jahren Impulse im Unterricht gegeben hat.

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Viel Grün: Die Alte Aare beim Hagneckkanal.

Landesweites Vorzeigeprojekt

«Ist der Klimawandel bereits bemerkbar?», fragt ein Student. Oliver Gardi, wissenschaftlicher Mitarbeiter der BFHHAFL, antwortet: «Die Wetterereignisse werden extremer und variabler. Auf Trockenperioden folgen intensive Regenfälle und Hochwasser.» Wie diese kontrolliert werden, lernen wir vor Lyss. Die Lyssbachstollen leiten das Wasser bei Hochwasser um das Dorf. Weiter unten im Bereich der Alten Aare bieten ökologische Ausgleichsflächen Platz, um die Wassermengen aufzufangen. Dies dient gleichzeitig der Renaturierung der ursprünglichen Auenlandschaft. Diese lebt vom Wechsel zwischen Überschwemmung und Trockenheit. Diese Dynamik wurde durch die Juragewässer-Korrektion gestört.

Bei unserem Spaziergang entlang der Alten Aare Richtung Meinisberg sehen wir das Resultat gezielter Eingriffe: eine wunderschöne Naturlandschaft. Ehemalige Wasserläufe wurden wieder geöffnet, Boden abgetragen, Föhrenwälder aufgelichtet. Jürgen Blaser zeigt uns sogenannte Pionierflächen. Hier kann sich die Vegetation auf gerodeten Flächen wieder neu entwickeln. Aufgrund der Absenkung des Bodens wird die Fläche bei künftigen Hochwassern überschwemmt. Dies hilft, den Abfluss zu reduzieren. Solche Flächen haben viel Kompromissbereitschaft gefordert. Heute sind sie ein landesweites Vorzeigeobjekt.

Reisanbau als alternative Lösung

Mit Reisanbau vernässte Ackerflächen wieder nutzbar machen und gleichzeitig Feuchtbiotope für gefährdete Arten schaffen? Theres Rutz erforschte in ihrer Masterarbeit die Pflanzenvielfalt in zwölf Reisfeldern im Schweizer Mittelland und im Unterwallis: Die Resultate zeigen, dass der Wasserstand und das Flutungsregime einen grossen Einfluss auf die Zusammensetzung der Pflanzengemeinschaften haben. Hohe Wasserstände dienen der Unkrautunterdrückung und führen folglich zu artenarmen Pflanzengemeinschaften. Auch Feuchtpflanzen fehlten entgegen unseren Erwartungen. In temporär trockenen Reisfeldern setzte sich die höhere Artenvielfalt mehrheitlich aus Vertretern der bekannten Ackerbegleitflora zusammen. Im Gegensatz zur Reisanbaufläche konnte entlang der Flutungsgräben eine höhere Diversität an Feuchtepflanzen nachgewiesen werden. Sogar mit einigen Rote-Liste-Arten. Daraus schliessen wir, dass sich die Randzone besser für die gezielte Förderung der Feuchtflora eignet. Ob Theres den Anbau von Reis im Seeland empfiehlt? «Wenn die lokalen Gegebenheiten stimmen, ist die Produktion von Nassreis als Nischenprodukt durchaus eine Alternative.»

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Herausforderungen der Landnutzung: Studierende stellen Fragen und diskutieren über Lösungsansätze.

Zum Abschluss die Sonne

Während unserer Abschlussrunde im Restaurant Meinisberg sitzen wir im Garten, es hat aufgehört zu regnen. Eine Studentin resümiert: «Genau diese Einblicke braucht es, um gesamtheitliche Lösungen zu finden. Es wäre nun schön, mit den beteiligten Anspruchsgruppen am Tisch zu sitzen und Lösungen zu diskutieren.»

Magazin infoHAFL

Dieser Beitrag ist Teil der Dezember-Ausgabe unseres Magazins infoHAFL.

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Rubrik: Forschung