Was sind die Gründe für den Fachkräftemangel in der Schweizer ICT Branche?

02.07.2021 Forschungsprojekte unseres Instituts New Work und ein Gespräch mit Daniela Burkhard, Head of Human Resource Management bei der Bedag Informatik AG (Partner des Instituts Public Sector Transformation), liefern Erklärungsansätze.

An der BFH Wirtschaft beschäftigen sich verschiedene Expert*innen mit dem Gender-Thema in ICT-Berufen. Isabelle Clerc und Simone Artho untersuchten z.B. Gründe, weshalb sich junge Frauen für oder gegen eine ICT-Ausbildung entscheiden. Ausserdem haben wir gemeinsam mit der PH Bern eine MINT-Netzwerkgruppe gegründet, deren Mitglieder und MINT-Verantwortliche sich regelmässig zu Themen wie Chancengleichheit, Lehre und Methodenvielfalt austauschen. Isabelle Clerc untersuchte zudem in Zusammenarbeit mit Forscher*innen der PH Bern Wege hin zu einer gendergerechten Informatikdidaktik

Auch unsere Praxispartner kämpfen mit dem Fachkräftemangel. Wir haben Daniela Burkhard, Head of Human Resource Management bei der Bedag Informatik AG, nach Gründen für den tiefen Frauenanteil gefragt und wollten von ihr wissen, wie sie und ihr Unternehmen dieser Problematik begegnen. 

Frau Burkhard, können Sie sich als HR-Spezialistin erklären, weshalb die bisherigen Kampagnen zur Gewinnung von Frauen für ICT-Berufe kaum Wirkung erzielt haben? 

Es fängt schon in der Grundschulstufe an, wo die MINT-Fächer – gemessen an ihrer Bedeutung – zu wenig gefördert werden. Die Nachfrage von jungen Frauen, einen IT-Beruf zu erlernen, ist unverändert tief. Das beginnt schon beim Interesse an Schnupperlehren, wo der Anteil an Schülerinnen bei maximal 5-10% liegt. Offenbar machen sowohl die Eltern als auch die Schule noch immer viel zu wenig auf die spannenden Berufe in der IT-Welt aufmerksam. Manche meinen wohl auch, dass Gamen oder eSports – noch eher ein von Jungs dominiertes Hobby – ein perfektes Eintrittsticket in unsere Berufswelt sind. Ich hoffe und wünsche mir, dass der durch die Pandemie ausgelöste Digitalisierungsschub die Bedeutung der Informatik und die Lust, einen spannenden Beruf in der IT-Welt zu erlernen, in der breiten Bevölkerung steigert. Denn das Bild des superschlauen «IT-Nerds», welcher nur in der Nacht in einem geschlossenen Raum mit Pizza und Cola als Einzelkämpfer seine Aufgaben im Hoodie wahrnimmt und am liebsten keinen zwischenmenschlichen Kontakt pflegt, stimmt mit der Realität definitiv nicht überein. Darum ist es höchste Zeit, durch breite Kampagnen den Beruf der Softwareentwicklerin oder der Systemtechnikerin genauso attraktiv darzustellen wie jener der Ärztin, der Flugbegleiterin oder Kauffrau. 

Verfolgen Sie (intrinsisch) eine Frauenquote im ICT-Bereich der Bedag Informatik AG? 

Wir haben keine quantitativen Ziele, tun aber vieles, um mehr Frauen anzusprechen. Hierfür wurde ein ganzes Massnahmenbündel geschnürt.  

Setzen Sie bei einer Stellenbesetzung im ICT-Bereich andere Formulierungen ein, um mehr Frauen für eine Bewerbung zu motivieren? 

Ja, wir verzichten bewusst auf «Macho-Wörter» wie dynamisch, erfolgshungrig, durchsetzungsstark etc. Stattdessen setzen wir auf authentische, unaufgeregte Informationen aus erster Hand bzw. aus dem Gespräch: Immer mehr unserer Jobinserate enthalten nämlich Podcasts. Und auch ich nehme Interessierte mit auf eine auditive Tour durch die Bedag Informatik AG. Wir sind uns sicher, dass die geschriebene und gesprochene Sprache ein mächtiges Instrument ist. Auf die Schnelle kann sie uns natürlich auch nicht mehr Frauen in die IT-Welt zaubern. Aber die relativ wenigen Frauen, die Interesse an IT-Berufen haben, möchten wir natürlich für uns gewinnen. Das geht soweit, dass wir sogar unserem Chatbot eine weibliche Note verpasst haben. Unsere Ada weiss unglaublich viel über Lehrberufe und Schnupperlehren. Eine moderne, selbstbewusste «Chatbotin» sozusagen.  

Wie viele Frauen bewerben sich für ICT-Berufe im Verhältnis zu Männern? 

Ich schätze, rund 10%.  

Worauf achten Sie in den Bewerbungen/CV`s von Frauen, welche sich für eine Stelle im ICT-Bereich bewerben? 

Wir haben das Motivationsschreiben abgeschafft und damit auch eine Quelle für mögliche Benachteiligung. Frauen sind manchmal einfach zu bescheiden, wenn es darum geht, ihr Können zu verkaufen. Die Abschaffung des Motivationsschreibens hat aber, das muss ich ehrlicherweise sagen, weniger mit dem Genderthema als vielmehr generell mit Personalmarketing und der Candidate Experience zu tun.  

Wie wichtig sind gute Noten in den MINT-Fächern im CV einer Bewerbung? 

Sie sind schon ein Anhaltspunkt: Man sollte natürlich nicht gerade dort ungenügend sein. Aber es zählt das Gesamtbild und hierzu gehört auch eine Potenzialbeurteilung. Mit Neugierde, Cleverness und Fleiss lässt sich immer das eine oder andere schulische Manko ausgleichen. 

Erhalten Männer in MINT-Berufen automatisch eine andere Anstellungsposition als Frauen? 

Nein, zumindest bei uns ist das nicht so. Bei der Auswahl zählen Kompetenzen und die abschätzbare Leistung. 

Fällt es Frauen schwerer die eigene technische Kompetenz aufzuzeigen? 

Nein, auf keinen Fall. Wir erleben die Frauen selbstsicher und souverän in den fachlichen Bewerbungsgesprächen: Sie wissen genau, wovon sie sprechen und stellen ihr Licht nicht unter den Scheffel! 

Mit welchen Massnahmen versuchen Sie, mehr Frauen für die Bedag Informatik AG zu gewinnen? 

Wenn man mehr Frauen ansprechen will, muss man auch um sie «werben». Manche unserer Massnahmen zielen direkt, manche eher indirekt bzw. subtil auf Frauen ab. Ein wichtiger Punkt sind da die Stelleninserate. Wir schreiben alle Stellen in Teilzeit aus, manche sogar auch im Job Sharing. Dann haben wir das «generische Maskulin» in den Stellentiteln einfach umgedreht. Wir schreiben bei deutschen Stellentiteln nur noch die weibliche Form aus, also zum Beispiel «Fachspezialistin». Männer sind dann für einmal eingeladen, sich mitgemeint zu fühlen. Und wir machen als eines der wenigen Unternehmen in der Schweiz die Lohnbandbreite publik. Den unsäglichen Lohnpoker, bei dem die tendenziell etwas forscheren Männer im Vorteil sind, muss man bei uns nicht mitspielen. Dann achten wir darauf, auch in der Bildsprache und den Stories auf unserer Karriere-Website Frauen zu Wort kommen zu lassen. Im Karrierebereich von bedag.ch finden sich überproportional viele Frauen. Das ist kein Zufall. Auch so versuchen wir, sanft und eher subtil Gegensteuer zu geben. Das gilt auch für unseren Instagram-Kanal, den wir ganz dem Themenfeld «Frauen und Familien» widmen. 

Sie bieten eine Schnupperlehre «Girls only» an. Was können wir uns darunter vorstellen? 

Wir glauben, dass bei Schülerinnen gewisse Hemmschwellen und Vorbehalte da sind, wenn es um eine Lehre im Bereich Informatik geht. Deshalb haben wir eine unserer sieben Schnupperlehren, die wir jeweils mit maximal vier Personen gleichzeitig durchführen, für Schülerinnen reserviert. Es brauchte einige Anstrengung, aber wir konnten letztlich alle vier Plätze mit interessierten «Girls» besetzen. Objektiv gesehen ist das eine kleine Zahl, aber in den vergangenen Jahren hatte jeweils nur eine einzige Schülerin teilgenommen. Unsere Ausbildungsleiterin Jenny Dales ist angetan vom Interesse der Mädchen, denn sie haben sich rasch und gut zurechtgefunden. Im Vergleich zu den männlichen Gleichaltrigen brachten sie zwar etwas weniger Vorwissen mit und haben da und dort auch etwas vorsichtiger agiert, doch die Mädchen haben gute Fragen gestellt und waren interessiert. Jetzt hoffen wir auf ein baldiges Wiedersehen mit dem weiblichen Nachwuchs im Auswahlprozess für die Lehrstellen 2022. Man muss «Schrittli für Schrittli» gehen: Wir wissen, dass wir da am Anfang eines Langstreckenlaufs stehen und bleiben dran. 

Daniela Burkhard
Daniela Burkhard, Head of Human Resource Management bei der Bedag Informatik AG
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