Köpfe der Forschung: Andi Schoon

21.09.2022 Andi Schon ist Professor der Kultur- und Medienwissenschaft an der HKB. Er leitet gemeinsam mit Thomas Strässle das Y Institut und forscht im Institut Praktiken und Theorien der Künste.

Portrait von Andi Schoon. Er ist in der Mitte des Bildes und blickt mit blauen Augen freundlich in die Kamera. Der Mund ist geschlossen, die Gesichtszüge sind recht entspannt. Das Licht blendet ihn wohl leicht. Die braunen Haare trägt er kurz.

Andi Schoon, seit du 2007 an die HKB gekommen bist, bewegst du dich im Bereich der Sound Studies und koordinierst auch das Forschungsfeld Auditive Kulturen. Was dürfen wir darunter verstehen?

Anders als die traditionelle Musikwissenschaft interessieren wir uns auch für nicht-musikalische Klänge und wie sie in den Alltag der Menschen eingebettet sind. Jede Ära hat ihre spezifische Soundkulisse, jeder Ort eine eigene Klangsphäre. Auch unser Hören unterliegt historischer und gesellschaftlicher Veränderung. Wir können unsere Aufmerksamkeit gezielt auf bestimmte Geräusche richten – oder sie bewusst ausblenden. Die Sound Studies bewegen sich also in einem Feld, das je nach Gegenstand und Methode in die Kultur- oder Sozialwissenschaft, aber auch in die künstlerische Forschung hineinragen kann.

Im Februar bist du für einen Forschungsaufenthalt nach Kapstadt gereist. Was hast du für deine Forschungsarbeit im Rahmen des SNF-Projekts «Collaborative Aesthetics in Global Sound Art» mitgenommen?

Ich landete am Morgen von Putins Ukraine-Invasion in Kapstadt und war durch die Nachrichten und meine ersten Eindrücke vor Ort quasi doppelt beschäftigt. Die Stadt ist von sozialen Bruchlinien durchzogen, die in ihrer Anlage aus der Apartheid stammen, aber nach wie vor wirksam sind. Der Instagram-Tourismus spielt sich in unmittelbarer Nachbarschaft grosser Townships ab. Neben den ersichtlichen Verwerfungen existieren zahlreiche Teilkonflikte, die sich einem nach und nach offenbaren (auch an der University of Cape Town, wo ich gastieren durfte). Aber Kapstadt ist auch ein Ort der Aushandlung, ein Laboratorium der Gegenwart – und für die Künste unerschöpflich. Was sich dort abspielt, hat vor allem politische Ursachen, aber erfassen und darstellen lässt es sich meines Erachtens am ehesten mit künstlerischen Mitteln.

Kürzlich hast du gemeinsam mit Johannes Salim Ismaiel-Wendt die Publikation «Postcolonial Repercussions. On Sound Ontologies and Decolonised Listening» beim Transcript Verlag herausgegeben. Darin sind auch Beiträge des Klangkünstlers Gilles Aubry und dir zu finden, die in Zusammenhang mit eurem SNF-Projekt «Listen, that’s us!» stehen. Erzähl uns mehr davon.

Ausgangspunkt unserer Forschung waren die Aufnahmen traditioneller marokkanischer Musik, die der US-Schriftsteller Paul Bowles ab 1959 angefertigt hat. Was er als Dokumentation verstand, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung hin uns wieder als Inszenierung. Darüber habe ich u. a. eine Kurzgeschichte geschrieben. Gilles Aubry hat im Projekt audiovisuelle Essays realisiert und seine Doktorarbeit an der Universität Bern fertiggestellt. Sie erscheint demnächst unter dem Titel «Sawt, Bodies, Species – Sonic Plualism in Morocco» beim Verlag adocs.

Und richtig, Gilles hat auch einen Beitrag für unsere Publikation «Postcolonial Repercussions» verfasst. Darin geht es um das schwere Erdbeben in Agadir 1960 und wie unterschiedlich es gedeutet wurde. Während die Experten der ehemaligen Kolonialverwaltung den Wiederaufbau der Stadt nach Erkenntnissen der Messtechnik durchsetzen wollten, kommt etwa in Ibn Ighil’s gesungenem Gedicht «Tale of Agadir» eine ganz andere Rekapitulation der Ereignisse vor – eine, die den Hörer*innen erlaubt, sie noch einmal zu erleben und zu verarbeiten. Sound kann also kolonialisiert, aber auch wiederangeeignet werden. 

Vielen Dank für dieses Gespräch.

Das Gespräch führte Nathalie Pernet.

Hinweis: Am Forschungs-Mittwoch vom 7. Dezember 2022 stellt das Projektteam das SNF-Forschungsprojekt «Collaborative Aesthetics in Global Sound Art» vor. Interessierte sind herzlich dazu eingeladen! 
HKB, Multifunktionsraum, Schwabstrasse 10, 3018 Bern, 17.30 Uhr
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