Multiple Mini Interview – mit Kompetenz und Tempo ins Hebammenstudium

28.09.2022 Erstmals wandte die Berner Fachhochschule im April 2022 für die Eignungsabklärung des Numerus-Clausus-Studiengangs BSc Hebamme sogenannte Multiple Mini Interviews (MMI) an. Die Bewerbenden absolvierten einen Parcours unter anderem mit Alltagsaufgaben, die ihre Fähigkeiten für Studium und Beruf testete. International sind MMI bereits etabliert, oftmals bei Gesundheitsberufen.

Bis anhin hat die Berner Fachhochschule die Bewerbenden mittels eines halbstandardisierten Interviews für den Bachelor-Studiengang Hebamme ausgewählt. Dabei wurden verschiedene Aspekte, zum Beispiel zu Berufsmotivation, -eignung und auch zu Handlungskompetenzen erfragt. Handlungskompetenzen konnten aber nur indirekt erfragt werden, zum Beispiel indem man sie nach möglichen Vorgehensweisen in bestimmten Situationen gefragt hat. Aufgrund der sorgfältigen Vorbereitung der Bewerbenden führte dies zu vielen ähnlichen Interviews mit ähnlichen Antworten, was die Auswahl für den Numerus-Clausus-Studiengang zunehmend erschwerte. «Hinzu kommt, dass die Interviews wenig Möglichkeiten boten, die tatsächlichen Kompetenzen der Bewerber*innen direkt zu prüfen», erläutert An Ackaert, ehemalige Dozentin der BFH. «Denn: Eine Person kann theoretisch darüber Bescheid wissen, wie man richtig reagiert, kann das in der Praxis aber nicht anwenden.» Als damalige Leiterin des Ressorts Qualifikationund Prüfung stiess sie den Prozess an, um einen neuen zweiten Teil des Eignungsabklärungsverfahrens für den Bachelor-Studiengang Hebamme zu entwickeln. Ziel war es, ein kompetenzorientiertes Verfahren zu eruieren.

Ergänzung zu den Praxisprüfungen OSCE

Die Recherchen haben schnell zu den Multiple Mini Interviews (MMI) geführt, die international bereits eingesetzt werden, oftmals bei Gesundheitsberufen (siehe Kasten). In einem MMI übernehmen die Bewerber*innen eine aktive Rolle im Lösen und Bearbeiten von kurzen konkreten Aufgaben aus dem Alltag. «Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass sich die Bewerber*innen nicht mit Auswendiglernen auf die Prüfungen vorbereiten können, wir aber einen guten Eindruck von ihren Kompetenzen erhalten, die es für Studium und Hebammenberuf benötigt», erläutert Béatrice Rouiller, stellvertretende Leiterin Ressort Qualifikation & Prüfung. Dabei bedient man sich Aufgaben aus dem Alltag, die in der kurzen Zeit lösbar und gleichzeitig genügend aussagekräftig für eine objektive kriteriengestützte Beurteilung sind. «So kommen bei unseren Prüfungen Legosteine zum Einsatz, oder die Studierenden müssen den Verlust eines Hasen managen», so Rouiller augenzwinkernd. Bei den Aufgaben treffen die Bewerbenden auf eigens dafür geschulte Schauspieler*innen. «Bei der Entwicklung von MMI-Aufgaben ist die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Fachpersonen zentral und auch inspirierend», so die beiden Schauspielerinnen und Kommunikationstrainerinnen des Departementes Gesundheit, Carolin Jakoby und Dorothée Müggler.

Die MMI sind zudem eine gute Ergänzung zu den in der BFH bereits langjährig etablierten OSCE (OSCE = objective structured clinical examination). Die Studierenden durchlaufen bei diesen praktischen Prüfungen einen Parcours und demonstrieren ihre erlernten Fertigkeiten und Kompetenzen. Ähnliche kompetenzorientierte Prüfungsverfahren bei der Auswahl der Studierenden und in der Qualifikation während des Studiums anzuwenden spannt den Bogen von der Auswahl über das Studium bis zum Beruf.

Multiple Mini Interview
Bei einer Aufgabe mit Legosteinen leiten die Bewerber*innen jemanden zielgerichtet an und geben Feedback. Bild: Sandro Nydegger, BFH

Der Tag X ist da

Die erste Durchführung musste wegen der Pandemie zweimal verschoben werden. Im April 2022 war es dann so weit, und die Vorbereitungen für die erste Eignungsabklärung mit MMI für den Bachelor-Studiengang Hebamme konnten beginnen. Für die Auswahl der Studierende mit Studienstart September wurden Wohnzimmer eingerichtet, Legosteine gezählt, iPads konfiguriert und Bodenmarkierungen angebracht. Die erste Gruppe von Bewerber*innen wurde im Begrüssungsraum empfangen. Alle verstanden das Verfahren ohne viele Nachfragen. Die Nervosität stieg kurz vor dem Startgong nochmals. Die Bewerber*innen positionierten sich vor den Türen, wo die Aufgaben angebracht waren, und begannen auf das Signal hin mit der Vorbereitung. Das erste MMI war in die erste Runde gestartet.

Innerhalb von 42 Minuten lösten die Bewerber*innen nun etliche Probleme, begegneten heiklen Kommunikationssituationen sorgfältig, blieben ruhig unter Stress, waren reflektiert und setzten sich in ungewohnten Situationen durch. Sie waren empathisch, kommunikationsfähig,
zielbewusst, ehrlich, gaben Feedback, sie nahmen Kontakt auf und hatten sich mit ihrem Berufswunsch auseinandergesetzt. Die Bewerber*innen durchliefen eine Eignungsabklärung, in der sie sich von unterschiedlichen Seiten zeigen konnten. «Das het gfägt», hörte man im Verlauf der beiden intensiven Tage öfter, nicht nur von den Bewerber*innen, sondern auch vom siebenköpfigen Expert*innenteam. Denn: Das neue Verfahren ist auch nach fast 100 Bewerber*innen noch kurzweilig, der Handlungsspielraum ist gross, und immer wieder überraschen die Bewerbenden mit neuen kreativen oder auch mal ungewöhnlichen Lösungsansätzen.

Gesundheitsmagazin «frequenz»

Dieser Beitrag ist Teil der September-Ausgabe 2022 unseres Magazins «frequenz».

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