«Das Scheitern gehört dazu»

15.09.2022 Er weiss aus eigener Erfahrung, wie man ein Start-up gründet und grandios scheitert: Prof. Dr. Sebastian Gurtner, Leiter des Instituts Innovation and Strategic Entrepreneurship an der Berner Fachhochschule BFH, unterstützt Unternehmer*innen, die mit ihren Ideen die Gesellschaft positiv mitgestalten. Im Interview sagt er, was es dazu braucht und was sich gewandelt hat.

Porträt von Sebastian Gurtner
«Sehr oft geht es darum, Gelegenheiten zu erkennen und gesellschaftliche Probleme zu identifizieren»: Sebastian Gurtner, Institutsleiter Innovation and Strategic Entrepreneurship an der BFH. Bild: zvg

Herr Gurtner, haben Sie bereits einmal ein Start-up gegründet?

Ja, während meines Studiums an der Technischen Universität Dresden habe ich mit einem Mitstudenten an einem Ideenwettbewerb von Vodafone teilgenommen. Damals wurde der Mobilfunkstandard UMTS (Universal Mobile Telecommunications System), also 3G, eingeführt, und das Unternehmen hat nach Anwendungen gesucht. Wir haben den Wettbewerb gewonnen und in verschiedenen Bars, Clubs und Restaurants Kameras aufgestellt. Über das UMTS-Handy sah man, was in den verschiedenen Lokalitäten los war und ob es sich lohnte, da hinzugehen.

Was ist aus dem Start-up geworden?

Wir sind grandios gescheitert. Wir hätten uns Vollzeit darauf konzentrieren müssen, ein Studienabbruch war uns dann aber doch zu heikel. Die wichtigste Erfahrung, die ich aus dieser Zeit mitgenommen habe: Man muss ein Netzwerker sein und aktiv auf andere Leute zugehen. Das ist mir persönlich nicht immer leichtgefallen.

Schlussendlich sind Sie in der Wissenschaft gelandet.

Ich wollte die ganze Gründungsthematik weiterverfolgen und arbeitete nach dem Studium als Berater bei einer Agentur, die Start-ups förderte. Viele Berater*innen erzählten Dinge, die nicht wirklich Hand und Fuss hatten. Damit hatte ich grosse Mühe. Für mich muss Wissen auf Fakten basieren. Ich brauche eine Grundlage, auf die ich mich beziehen kann. Und diese Grundlage ist für mich schlussendlich die Wissenschaft geworden.

Was bedeutet für Sie Unternehmertum?

Einen Wert schaffen. Es geht darum, mit Innovation und Entrepreneurship einen Wert für die Konsument*innen, die Firma und die Gesellschaft zu generieren. Der Begriff hat sich in den letzten 10 bis 15 Jahren weiterentwickelt.

Inwiefern?

Früher ging es darum, mit einem Produkt oder einer Dienstleistung bei Konsument*innen eine Nachfrage zu befriedigen und als Firma Geld zu verdienen. Heutzutage steht bei Unternehmer*innen zusätzlich die gesellschaftliche Verantwortung im Vordergrund. Sie überlegen sich, wie sie einen Beitrag zur positiven Entwicklung unserer Gesellschaft leisten können, indem sie zum Beispiel mit ihrer Idee klimafreundliche Technologien fördern. Es geht also darum, mit dem, was sie tun, die Welt ein bisschen besser zu machen.

Das klingt zwar sehr schön, entspricht es aber auch der Realität?

Wir stehen hier am Anfang einer Debatte, die mit zunehmender Intensität geführt wird. Die Generationen, die jetzt in den Arbeitsmarkt eintreten, egal ob Gründer*innen oder Mitarbeiter*innen, wollen etwas bewegen. Sie wollen in einer sogenannten «purpose driven organization» tätig sein, die mehr ist als ein Konzern, der Aktionär*innen befriedigt. Die Ideale und Werte unserer Gesellschaft sind im Wandel und so ist es auch das Unternehmertum. In Teilen ist das also heute schon Realität.

Welche Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale brauchen Unternehmer*innen?

Sehr oft geht es darum, Gelegenheiten zu erkennen und gesellschaftliche Probleme zu identifizieren. Also mit offenen Augen durch die Welt zu gehen, risikobereit zu sein und sich im Zweifel für das Abenteuer zu entscheiden. Wenn es dann um die Lösung von Problemen geht, sind natürlich fachliche Kompetenzen wichtig. Zum Beispiel die Fähigkeit, eine App zu programmieren oder ein Geschäftsmodell zu entwickeln.

Was leistet die BFH im Bereich Lehre, um Gründer*innen auszubilden?

Die BFH fördert solche Kompetenzen, denn diese kann man erlernen. Dazu versucht sie, alle Student*innen am Anfang des Studiums mit dem Thema Unternehmertum in Berührung zu bringen. Wer sich weiter dafür interessiert, kann das Wissen vertiefen und eigene Projekte im Rahmen des Studiums weiterentwickeln. Das Entrepreneurship Office leistet diesbezüglich einen wichtigen Beitrag, indem es unter anderem die verschiedenen Departemente miteinander vernetzt (siehe Box).

Können Sie konkrete Module nennen?

Im Departement Wirtschaft müssen alle Bachelorstudent*innen im ersten Semester an der «Entrepreneurship Week» teilnehmen. Im Herbstsemester 2022 unterstützen Student*innen im Rahmen der Veranstaltung «Refining Business Models» Start-ups, indem sie etwa bestehende Geschäftsmodelle hinterfragen, validieren und optimieren. Auch in den anderen BFH-Departementen kommen die Student*innen schon früh mit dem Thema Unternehmertum in Berührung.

Ihr Institut Innovation and Strategic Entrepreneurship forscht im Bereich Unternehmertum. Worauf legen Sie den Fokus?

Ein wichtiger Bereich unserer Forschung befasst sich mit dem Thema Social Entrepreneurship: Wie können Unternehmer*innen etwas Gutes für die Gesellschaft tun und gleichzeitig ein Unternehmen aufbauen? Diesbezüglich arbeiten wir an einer Reihe von Projekten des Schweizerischen Nationalfonds (SNF), in welchen wir unter anderem Folgendes herausfinden möchten: Welche Faktoren beeinflussen den Erfolg sozialen Unternehmertums, zum Beispiel bei der Finanzierung über Crowdfunding? Inwiefern prägen Persönlichkeitsmerkmale von Gründer*innen den Erfolg und den Impact von Unternehmen?

Und was raten Sie Unternehmer*innen, wenn es mit einer Idee doch nicht klappt?

Das Scheitern gehört dazu. Wichtig ist, aktiv zu sein, Ideen auszuprobieren und einfach mal ein Unternehmen zu gründen. Bei den meisten klappt es nicht auf Anhieb. Dann heisst es: Reflektieren, weitermachen und die Augen für eine nächste Möglichkeit offenhalten.

BFH-Tag 2022 «Unternehmerische BFH – so geht Zukunft!»

Am 2. November 2022 findet in Bern der BFH-Tag statt. Es erwartet Sie ein spannendes Programm mit Gründer*innen aus der Schmiede der BFH sowie die Chance auf persönliche Begegnungen mit Akteur*innen aus Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Bildung. Melden Sie sich hier an.

Entrepreneurship Office: Unternehmen fördern

Im Rahmen der Initiative «Unternehmerische Hochschule» gibt es an der BFH seit dem 1. August 2022 das neue Entrepreneurship Office. «Die Aufgabe des Büros ist es, Unternehmertum zu fördern und seine gesellschaftliche Relevanz sichtbar zu machen», sagt Lorenz Probst, Co-Leiter des Entrepreneurship Office. Er führt die Koordinationsstelle im Job-Sharing mit Christine Geissbühler. Das Ziel: Es sollen in Zukunft noch mehr Gründer*innen, Start-ups und Spin-offs aus den Reihen der BFH hervorgehen und das Unternehmertum soll nachhaltiger, sozialer und weiblicher werden. «Wir wollen, dass die Ergebnisse unserer Forschungs- und Innovationskraft vermehrt in neue Unternehmen einfliessen und somit noch mehr der Gesellschaft zugutekommen», sagt Christine Geissbühler.

Die Aufgabe der beiden Leiter*innen besteht vor allem darin, die unternehmerischen Aktivitäten der acht Departemente zu koordinieren und zu vernetzen, so dass die bereits vorhandenen Erfahrungen – sei es in Lehre oder Forschung – für alle nutzbar werden. Konkret: Christine Geissbühler und Lorenz Probst bringen zum Beispiel Student*innen oder Mitarbeiter*innen aus dem Departement Technik und Informatik mit solchen aus dem Departement Gesundheit und mit Lebensmittelspezialist*innen der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (HAFL) zusammen, sodass gemeinsame Ideen und allenfalls Geschäftsmodelle entwickelt werden können, welche im Idealfall zur Gründung eines Start-ups führen.

Christine Geissbühler und Lorenz Probst sind auch beide als Dozierende mit Führungsfunktionen an der HAFL tätig. Sie verfügen über vielfältige Erfahrungen in der Förderung des Unternehmertums und der Innovation.

www.bfh.ch/entrepreneurship

Porträt von Lorenz Probst
Lorenz Probst, Co-Leiter des Entrepreneurship Office
Porträt von Christine Geissbühler
Christine Geissbühler, Co-Leiterin des Entrepreneurship Office