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«Das Potenzial des Berufs Physiotherapeut*in ist enorm»

19.08.2024 Ein neues Kapitel beginnt am Departement Gesundheit der BFH: Nel Barth hat am 1. Mai 2024 die Leitung der Weiterbildung und des Fachbereichs Physiotherapie übernommen, Eugen Mischler geht Ende August nach 18 Jahren als Leiter des Fachbereichs Physiotherapie in den Ruhestand. Ein Interview über Erfahrungen, Herausforderungen und Zukunftsvisionen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Im Interview sprechen die zwei Führungspersonen Cornelia (Nel) Barth und Eugen Mischler über die Rolle der Physiotherapie in der Gesundheitsversorgung, persönliche Wünsche für die Zukunft des Fachbereichs und die Herausforderungen für die Physiotherapie.

Cornelia Barth und Eugen Mischler

Ein Blick aufs grosse Ganze: Wie sehen Sie, Nel Barth und Eugen Mischler, die Rolle der Physiotherapie in der Gesundheitsversorgung?

Nel Barth: Physiotherapie ist eine unverzichtbare Säule im Gesundheitssystem, die Menschen in jeder Lebensphase unterstützt – von Frühgeborenen bis hin zu Palliativpatient*innen. Als Expert*innen für Bewegung und Funktionsfähigkeit arbeiten Physiotherapeut*innen in der direkten Symptombehandlung, in der Rehabilitation, aber eben auch in der Gesundheitsvorsorge und -förderung. Physiotherapie versorgt multimorbide und mehrfach behinderte Menschen ebenso wie Spitzensportler*innen, Schwangere, entwicklungsverzögerte Kinder, aktive Senior*innen, einzeln und in der Gruppe, Hands on oder in der Beratung.

Eugen Mischler: Insofern übernimmt die Physiotherapie eine wichtige Rolle bei der integrierten Gesundheitsversorgung, welche letztlich immer unser Ziel und Wirken sein sollte. Denn sie orientiert sich an den Patient*innen und stärkt die Vernetzung und die Koordination zwischen den Leistungserbringenden. Kooperatives Handeln ist wichtig, um Mängel und unnötige Kosten im Gesundheitswesen zu erkennen und zu beseitigen – und letztlich positiv einzugreifen. Dies gilt nicht nur für die Organisationen, sondern auch für jede einzelne Physiotherapeutin und jeden einzelnen Physiotherapeuten.

Physiotherapie ist eine unverzichtbare Säule im Gesundheitssystem, die Menschen in jeder Lebensphase unterstützt.

Nel Barth
Nel Barth Leiterin Weiterbildung und Leiterin Fachbereich Physiotherapie

Nel Barth: Ich stimme Eugen Mischler zu: Das Potenzial dieses Berufes ist enorm und wird bereits durch die enge Zusammenarbeit mit Ärzt*innen, Pflegefachpersonen und anderen Therapieberufen sichtbar. Physiotherapeut*innen agieren an der Schnittstelle verschiedener Systeme, unter anderem des Gesundheits- und Sozialsystems, da sie sich mit Verletzungen, Erkrankungen, Behinderungen, aber auch mit Sport und aktiver Lebensgestaltung befassen.

Eugen Mischler, seit 18 Jahren prägen Sie das Departement Gesundheit der BFH und den Fachbereich Physiotherapie in leitender Funktion. Wie denken Sie über die Entwicklung der Physiotherapie in den letzten Jahren? Welche Veränderungen haben Ihre Arbeit besonders beeinflusst?

Eugen Mischler: Das Leben bedeutet immer Wandel und so ist es auch im Gesundheitswesen. Als ich Ende der 1980er Jahre in den Gesundheitsbereich einstieg, wurden drei Themen immer bedeutsamer, sie prägen bis heute meine Arbeit: Einerseits die Kosten im Gesundheitswesen, einschliesslich der Physiotherapie, andererseits die Entwicklung der Gesundheitsberufe und das Zusammenwirken der Leistungserbringenden. Die Bildungsentwicklung führte an der Fachhochschule zu einem vierfachen Leistungsauftrag mit Lehre, Forschung und Entwicklung sowie der Weiterbildung. Ich hatte das Privileg, diesen Prozess an der BFH aktiv mitzugestalten und die Entwicklung der Gesundheitsberufe und der Physiotherapie hautnah zu erleben.

Es ist unglaublich, wie schnell sich die Positionierung der Ausbildung an der Fachhochschule und im Berufsfeld etabliert hat und sich positiv auf die Laufbahnen der Berufstätigen ausgewirkt hat. Der Grundsatz «kein Abschluss ohne Anschluss» wird gelebt und ermöglicht den Studierenden und berufstätigen Gesundheitsfachpersonen die individuelle Laufbahnplanung, sei das in ihrem Fachgebiet oder für eine Neuausrichtung. Die Mitarbeit in departementsübergreifenden Arbeitsgruppen und Kommissionen hat mir das Potenzial der Zusammenarbeit verdeutlicht. Leider sehe ich in der Praxis immer wieder, wie die positiven Entwicklungen der Karrieremöglichkeiten im Gesundheitswesen aufgrund von Kostendruck und Honorierung im Bewusstsein unserer Kolleg*innen in den Hintergrund treten.

Physiotherapie spielt eine entscheidende Rolle in der Gesundheitsversorgung. Sie orientiert sich an den Patient*innen und stärkt die Vernetzung zwischen den Leistungserbringenden.

Eugen Mischler
Eugen Mischler Fachbereichsleiter Physiotherapie
Cornelia Barth

Zur Person: Eugen Mischler

Eugen Mischler hat bereits die Gründungszeit des Departements Gesundheit im Jahre 2006 als Teil der Berner Fachhochschule miterlebt und mitgestaltet. In vielen Rollen und Funktionen hat Eugen Mischler das Departement Gesundheit und insbesondere den Fachbereich Physiotherapie geprägt: Seit seinem Start bei der BFH im Jahr 2006 ist er in leitender Position, seit 2018 auch als stellvertretender Direktor des Departements Gesundheit. Neben seinem vielseitigen Engagement in verschiedenen internen Gremien und Kommissionen übernahm er auch Verantwortung im nationalen Berufsverband wie auch in DACH-Gremien der Bildung und der Hochschulen.  Ende August 2024 wird er nach 18 Jahren an der BFH und 37 Jahren im Beruf als Physiotherapeut in Pension gehen.

Nun übergeben Sie den Stab an Nel Barth. Was sind Ihre Wünsche für die Zukunft des Fachbereichs Physiotherapie?

Eugen Mischler: Die einzelnen Bereiche des Fachbereichs Physiotherapie, sprich die Lehre mit den Bachelor- und Master-Studiengängen, die Forschung und die Weiterbildung, sind unterschiedlich lange im Aufbau und in der Entwicklung. Diese Bereiche werden von zukunfts-, ziel- und leistungsorientierten Kolleg*innen geführt, die sich auf ausgewiesene Mitarbeitende mit Fachexpertise und Weitblick stützen können.

Mit dieser Ausgangslage kann das Team unter der Leitung von Nel Barth neue strategische Ziele definieren und anstreben sowie den Fachbereich Physiotherapie weiter ausbauen, vernetzen und positionieren. Dabei wünsche ich ihnen und insbesondere Nel Barth eine gute Hand und Ausrichtung. Ich freue mich, ihr einen Fachbereich übergeben zu können, der Potenzial hat, und vor allem mit Menschen besetzt ist, die die Physiotherapie «à fonds» kennen, die mitziehen und die Zukunft mitgestalten wollen.

Ich freue mich, einen Bereich zu übergeben, der Potenzial hat und mit Menschen besetzt ist, die die Zukunft mitgestalten wollen.

Eugen Mischler
Eugen Mischler Fachbereichsleiter Physiotherapie

Nel Barth, Sie sind neu Leiterin Weiterbildung des Departements Gesundheit und des Fachbereichs Physiotherapie. Welche Aspekte dieser beiden Bereiche faszinieren Sie besonders?

Nel Barth: Ich denke, dass meine bisherigen Erfahrungen in der klinischen Praxis, im Hochschul- und Forschungsumfeld und in der humanitären Zusammenarbeit die verschiedenen Kapitel meines Lebens widerspiegeln. Sie zeigen ebenfalls die Vielfalt der Physiotherapie und bieten mir eine breite Basis, um hier neu zu starten und neue Herausforderungen anzugehen.

Im Bereich Weiterbildung fasziniert mich das lebenslange Lernen, die Interprofessionalität und das Ziel, Fachpersonal bestmöglich auf die Herausforderungen in der Bevölkerungsgesundheit vorzubereiten. Auch spannend finde ich die innovativen Inhalte und Methoden und den Anspruch der Wirtschaftlichkeit. In beiden Bereichen, in der Weiterbildung und in der Physiotherapie geht es darum, von der Zukunft her zu denken und die Wissensvermittlung zu optimieren. Aber auch den Transfer von der Forschung in die Aus- und Weiterbildung und die Verknüpfung zu ermöglichen.

In beiden Bereichen, Weiterbildung und Physiotherapie, geht es darum, von der Zukunft her zu denken und die Wissensvermittlung zu optimieren.

Nel Barth
Nel Barth Leiterin Weiterbildung und Leiterin Fachbereich Physiotherapie
Cornelia Barth

Zur Person: Nel Barth

Nel Barth leitet seit dem 1. Mai 2024 die Weiterbildung Gesundheit und den Fachbereich Physiotherapie am Departement Gesundheit an der Berner Fachhochschule. Zuvor war sie die Koordinatorin von Cochrane Schweiz, wo sie sich hauptsächlich für evidenzbasierte Rehabilitation und Gesundheitsversorgung einsetzte.
Nel Barth ist Physiotherapeutin mit einem PhD über Rehabilitation in fragilen Gesundheitssystemen und mit weitreichender Erfahrung in konfliktbetroffenen, ressourcenarmen Kontexten. Ihre Arbeit zur Förderung der Rehabilitation in humanitären Projekten führte sie in 28 verschiedene Länder. Nachdem sie sich in Genf niedergelassen hatte, setzte sie ihre Arbeit im humanitären Bereich fort und baute Forschungs- und Lehrkapazitäten auf. Dazu gehörte die Leitung eines vom schwedischen Forschungsrat (Swedish Research Council) finanzierten Forschungsprojekts zum Thema Gender und Zugang zur Rehabilitation in fragilen Kontexten sowie eines von der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) finanzierten Projekts zur Physiotherapie von Kriegstraumata für ukrainische Universitäten. Ihre wissenschaftlichen Arbeiten umfassen qualitative und partizipatorische Ansätze, Geschlechterfragen, Policy- und Bevölkerungsstudien. Nel Barth ist Mitherausgeberin des Assistive Technology Journals und Gutachterin für mehrere Fachzeitschriften.

Welche Herausforderungen sehen Sie für die Physiotherapie, heute und in Zukunft?

Nel Barth: Die Physiotherapie steht weltweit vor Herausforderungen, die sich aus dem Fachkräftemangel, der tiefen Entlöhnung, der begrenzten Entscheidungsfreiheit und den eingeschränkten Laufbahnmodellen ergeben. Physiotherapie ist in der medizinischen und akademischen Hierarchie tief positioniert, was sich beispielsweise hierzulande in den Promotionshürden widerspiegelt.

Da ich auch in stark ressourcenbeschränkten Kontexten gearbeitet habe, weiss ich, dass diese Punkte in der Schweiz genauso ein Thema sind wie in manchen Ländern des globalen Südens, nur in unterschiedlicher Ausprägung. Trotz dieser Schwierigkeiten hat sich der Beruf in den letzten 30 Jahren stark verändert und ich bin zuversichtlich, dass er in 10 Jahren im positiven Sinne nicht mehr wiederzuerkennen sein wird. Meine Wahrnehmung ist, dass Physiotherapeut*innen weltweit eine grosse und dynamische Identität haben, was man auch immer an den Kongressen spürt. Das ist eine nicht zu unterschätzende Ressource. Es ist wichtig, die Herausforderungen gemeinsam und als Teil der globalen Physiotherapie-Familie anzugehen. Der Beruf wird und muss sich global entwickeln. Wir sollten diejenigen unterstützen, die für mehr Anerkennung und Entwicklung kämpfen, insbesondere in ressourcenschwachen Kontexten, und uns von denjenigen inspirieren lassen, die uns auf diesem Weg voraus sind.  

Es ist wichtig, die Herausforderungen gemeinsam und als Teil der globalen Physiotherapie-Familie anzugehen.

Nel Barth
Nel Barth Leiterin Weiterbildung und Leiterin Fachbereich Physiotherapie

Was bedeutet das für Ihre Funktion an der BFH? Wie wollen Sie diesen Herausforderungen begegnen?

Nel Barth: Konkret heisst das für mich, Netzwerke sowohl lokal, national als auch international zu fördern. Ich finde es sehr spannend, die Zukunft zu erfinden, aber auch Visionen konkret umzusetzen. Es ist mir wichtig, ein konstruktives Arbeitsumfeld zu schaffen und den Fachbereich nach innen und aussen zu stärken. Ich möchte die Mitarbeitenden darin unterstützen, sich berufs-, bildungs- und gesundheitspolitisch zu engagieren. Besonders wichtig ist es mir, die Leidenschaft für den Beruf an die nächste Generation weiterzugeben und mich für eine bestmögliche Ausbildung einzusetzen. Künftig wird es mehr und mehr darum gehen, relevante Forschung zu unterstützen, Aus- und Weiterbildungsprogramme zu optimieren und insbesondere auch die Kommunikation zu stärken: die Vermittlung unserer Aktivitäten sowohl in wissenschaftlichen Foren als auch gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit. Für all diese Bereiche möchte ich mich in meiner Funktion und in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten, Mitarbeitenden, Dozierenden und Studierenden einsetzen.

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