Ina Goller – «Nur wer über Fehler offen redet, kann daraus lernen»

In ihrem Leben spielen Teams schon seit der Jugendzeit eine grosse Rolle. Als Professorin für Innovationsmanagement unterrichtet die Bayerin im Departement Technik und Informatik an der Berner Fachhochschule auch zum Thema Psychologische Sicherheit. Ein Gespräch mit Ina Goller.

Ina Goller

Weitblick und Inspiration holt sich Ina Goller gelegentlich auch am Zürichsee.

Liebe Ina, wir haben uns noch nie gesehen, nur ein paar Mails ausgetauscht. Bei Deiner schriftlichen Zusage für dieses Interview hast Du mir gleich das «Du» angeboten. Welchen Stellenwert hat die Anredeform im Zusammenhang mit der Psychologischen Sicherheit?

Eine gute Frage (nachdenklich). Interessant daran ist, ob man der Anredeform eine Wichtigkeit zuspricht oder nicht. Die Gesellschaft befindet sich diesbezüglich in einem Wandlungsprozess. Wenn man über Psychologische Sicherheit redet, dann schafft das «Du» primär natürlich schon eine Nähe.

Jede Faszination hat einen Auslöser: Wann hast Du begonnen, Dich für die Psychologische Sicherheit zu interessieren? Was war Dein Schlüsselerlebnis?

Mit 14 Jahren habe ich eine Jugendgruppe geleitet, wir waren selbstorganisiert und ziemlich stolz darauf, dass das so gut klappte. Plötzlich erhielten wir aber eine «Vorgesetzte», eine Jugenddiakonin. Sie übernahm die Leitung der Jugendgruppe, was dazu führte, dass sich das Klima innerhalb der Gruppe verschlechterte. Wir wussten, dass wir früher oder später nicht mehr Teil der Jugendgruppe sein würden, die Diakonin hingegen würde das langfristige Überleben dieser Gemeinschaft sicherstellen. Trotzdem hat unsere neue Vorgesetzte unsere Gruppe ziemlich durcheinandergewirbelt, ja verunsichert. Diese Beobachtung in meiner Jugend war sicher prägend.

Ein zweites Schlüsselerlebnis hatte ich in den 90er Jahren: Ich betreute damals in einem Unternehmen 35 Teams. Meine Aufgabe war es, diese Teams in die Selbstorganisation zu überführen, was bedeutete, dass sie keine Vorgesetzten mehr haben würden. Ein zentrales Element für den Erfolg dieses Projektes war der Umstand, wie gut die jeweiligen Teammitglieder auch unangenehme Dinge ansprechen konnten.

Mir wurde damals klar, dass Teams mit einem vertrauensvollen Umgang miteinander bessere Erfolge erzielen, sich weiterentwickeln konnten. Ich machte mich auf die Suche nach Konzepten, wie eine nachhaltige Verbesserung der Team-Beziehungen erzielt werden kann. Dabei bin ich auf die Überlegungen und Forschungen von Amy Edmondson, Professorin für Leadership und Management an der Harvard Business School, gestossen, die in Bezug auf die Psychologische Sicherheit sicher wegweisend ist. Ich war sofort begeistert.

Seit 2015 unterrichtest Du an der BFH im Departement Technik und Informatik. Was willst Du Deinen Studierenden unbedingt weiter geben?

Hier sind mir drei Dinge sehr wichtig: Als Fachhochschule sind wir Inhalten verpflichtet, das bedeutet, dass ich meinen Studierenden Wissen vermittele. Doch damit ist es nicht getan. Als zweites arbeite ich daran, dass sie lernen, wie man Wissen selbst aufbauen kann, sie sollen auch eine gewisse Selbstreflexion lernen. Und schliesslich will ich Menschen mit Kompetenzen, also Know-how, ausstatten.

Dein Psychologiestudium mit Schwerpunkt Arbeits-, Organisations- und Kognitionspsychologie hast Du an der Rheinischen-Friedrich Wilhelms Universität in Bonn abgeschlossen. Anfangs der 10er Jahre hast Du an der ETH Zürich im Maschinenbau-Studium doktoriert. Wie kam es dazu?

Ich erhielt den Anruf einer Mitarbeiterin eines Innosuisse Projektes (A.d.R. Innosuisse – Schweizerische Agentur für Innovationsförderung des Bundes), man würde gerne den «Human Factor of Innovation» in einem Innovationsaudit-Projekt näher untersuchen. Ich habe eine grosse Liebe zur Technik, habe auch immer in entsprechenden Unternehmen gearbeitet und fühle mich in diesem Umfeld sehr wohl. Ich habe dann meine Doktorarbeit «Creativity in an organisational context: Innovation capability in R&D departments» geschrieben und hierfür Studien durchgeführt wie Teams ihre Innovationsfähigkeit steigern können und welche Kompetenzen hierfür notwendig sind.  

Ein Jahr vor Deiner Berufung an die Berner Fachhochschule, im Januar 2017, hast Du Skillsgarden in Winterthur gegründet. Warum ein zweites Standbein?

Ich bin gerne in beiden Welten daheim. Zum einen die Welt der Forschung, die es mir ermöglicht mich tief mit einem Themengebiet auseinanderzusetzen und auch zu neuen Erkenntnissen beizutragen. Zum anderen die Welt der Wirtschaft und der Beratung, die es mir ermöglicht Grundlagenwissen anzuwenden und praktische Probleme zu lösen. Bei Skillsgarden beraten wir Unternehmen und Teams und zeigen ihnen z.B. was sie mit psychologischer Sicherheit als Wert erreichen können. Wir wenden also Erkenntnisse aus der Forschung praxisbezogen an. Für das, was ich erreichen will, braucht es eben beides und damit ist Skillsgarden die perfekte Ergänzung zu meinem Engagement an der BFH.

Auf der Webseite von Skillsgarden steht einiges zum Thema Work Life Design, was sofort an die inzwischen bekannte Work Life Balance erinnert. Wie unterscheiden sich die beiden Konzepte?

Bei der Work Life Balance geht es darum, die verschiedenen Lebensbereiche wie Beruf, Familie und Freizeit auszubalancieren, ein Gleichgewicht zu finden. Mit Life Design mache ich mir Gedanken darüber, was ich mit meinem Leben anstellen will, woran ich Freude habe und mit welchen Wegen ich dies erreichen kann. Hier geht es nicht um ein Gleichgewicht, sondern darum Entscheidungen für sich zu treffen für ein sinnvolles Leben.

Und wie stellst Du Deine persönliche Work-Life-Balance her?

Wenn ich vor meinen Studierenden stehe, dann bewege ich mich ständig, so auch beim Telefonieren. In der Pandemie bin ich zu einem sitzenden Menschen geworden, was für mich völlig ungewohnt ist. Um hier einen Ausgleich zu schaffen, habe ich begonnen zu joggen. Heute bin ich eine begeisterte Joggerin. Ausserdem mag ich soziale Kontakte. Ich liebe intensive Gespräche, bei denen im gegenseitigen Austausch ein Blick in die Tiefe möglich ist. Und ich lese für mein Leben gern; aktuell «Mrs. Mohr Goes Missing». Ganz im Stil von Agatha Christie löst Zofia Turbotynska in Krakau den mysteriösen Mord an Mrs. Mohr; als nächstes steht «The Buried Giant» von Kazuo Ishiguro im Regal.

Welchen Change in Deinem Leben möchtest Du noch erleben?

Da gibt es natürlich auch hier mindestens zwei Wünsche: Es wäre für mich persönlich eine grosse Befriedigung zu sehen, dass Skillsgarden, die Firma, die ich gegründet habe, auch ohne mich weiterbesteht und sich entwickelt. Und ich bin gespannt darauf, wie wir die Ideen realisieren, die wir im Zusammenhang mit unserem Abteilungs-Umzug nach Biel haben.

Steckbrief

Funktion

Professorin für Innovationsmanagement

Departement

Technik und Informatik, EMBA Innovation Management

Anstellungsdauer

Professorin seit Januar 2018, vorher drei Jahre Lehrbeauftragte

Biografie

Studium der Psychologie in Würzburg, Bonn (D.) und Albany (USA)
Doktorierte an der ETH Zürich in der Abteilung Maschinenbau
Lebt mit ihrem Mann in der Ostschweiz

Publikationen/Artikel

Ina Goller, Tanja Laufer «Psychologische Sicherheit in Unternehmen – Wie Hochleistungsteams wirklich funktionieren» (SpringerGabler, ISBN 978-3-658-21337-4)