Nebendarsteller*innen in der Hauptrolle
Interpretation um 1900 jenseits der Heroenerzählung
Factsheet
- Schools involved Bern Academy of the Arts
- Institute(s) Institute Interpretation
- Research unit(s) Performance and interpretation
- Funding organisation SNSF
- Duration (planned) 01.08.2023 - 31.07.2027
- Head of project Prof. Dr. Manuel Bärtsch
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Project staff
Sebastian Bausch
Cecilia Facchini
Pedro Blundi D'Avila
Simon Gertschen
Situation
Die pneumatischen Reproduktionssysteme für Klavierspiel, die sich von 1905 bis ca. 1930 grosser Beliebtheit erfreuten, haben sich in den letzten Jahren als überaus ergiebige Quellen für die Interpretationsforschung erwiesen. Trotzdem blieb bisher die Auswahl der Analyseobjekte und Forschungsvorhaben in aller Regel einem Mainstream-Kanon verpflichtet. Das Projekt stellt die Frage nach dem aufführungspraktischen Inhalt der ausserhalb dieses Kanons stehenden Rollen-Aufnahmen. Es beobachtet, in welcher Weise sich der Blick auf die pianistische Interpretation um 1900 durch die Analyse dieses noch unerforschten Materials verändert und strebt eine Theoriebildung zum Klavierspiel ausserhalb des Heroennarrativs an.
Course of action
Zwei Dissertationsprojekte sind Vorhaben der Interpretationsforschung, zwei weitere Teilprojekte erarbeiten die dafür notwendigen Grundlagen. Manuel Bärtsch beschäftigt sich mit der Analysemethodik für Aufnahmen von kaum oder ganz unerforschten Interpret*innen, während Sebastian Bausch den technischen Zugriff auf die Rollendaten eher seltener europäischer Rollensysteme erweitert. Die Dissertation von Cecilia Facchini erforscht – paradigmatisch für die historische Information, die der bisherige analytische Zugriff ausschliesst – eine vergessene Tradition: Die römische Liszt-Schule von Giovanni Sgambati kann nur über die Rollenaufnahmen dreier heute vollständig unbekannter Pianist*innen erschlossen werden. Schliesslich beschäftigt sich Pedro d'Avila Blundi in seiner Dissertation mit der Frage, ob und auf welche Weise die Bewegung des «Brazilian modernism», die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts vor allem in Kunst, Architektur und Literatur ihre Spuren hinterliess, auch Einfluss auf die musikalische Interpretationstradition brasilianischer Pianistinnen und Pianisten hatte; Untersuchungsobjekte sind verschiedene Klavierrollen von Guiomar Noaves (1896–1979) und Alfredo Oswald (1884–1972).
Result
Das Projekt nutzt erstmals die neusten Möglichkeiten einer effizienten digitalen Quellenaufbereitung, um mit systematischen, historisch-komparativen und performativen Methoden insbesondere das Genderungleichgewicht und die Vernachlässigung heute wenig bekannter Interpret*innen in der Forschung an Klavierrollen auszugleichen.