Innovativ forschen und interdisziplinär vernetzen

22.09.2022 Gesundheitstechnologien sind omnipräsent. Die sinnvolle Anwendung gelingt aber nur durch die enge Zusammenarbeit zwischen Technik und Gesundheit. Die Physiotherapie der Berner Fachhochschule (BFH) ist diesbezüglich durch das Zentrum Health Technologies hochschulintern gut vernetzt und ermöglicht innovative Forschung wie die Teilnahme am Cybathlon 2024.

Technologische Entwicklungen waren für die Medizin immer wichtig. Früher waren es beispielsweise bildgebende Verfahren wie Röntgen oder Ultraschall. Heutzutage sind die Technologien im Zusammenhang mit der Gesundheit in unserem Alltag präsenter denn je: Smartwatches, welche unsere Schritte zählen, unsere Kalorienbilanzen ermitteln oder ein EKG aufzeichnen, um vor kardiovaskulären Risiken zu warnen. In der Regel landen die Daten auf Servern von grossen Technologieunternehmen, und möglicherweise erhalten wir durch Algorithmen sogar Verhaltensempfehlungen, um unsere Leistungsfähigkeit oder unser Wohlbefinden zu optimieren. Gesundheitstechnologien sind also allgegenwärtig – sei es im persönlichen Alltag oder im Beruf von Gesundheitsfachpersonen. Für eine sinnvolle Anwendung ist die eingehende Auseinandersetzung damit notwendig. Diesem Aspekt trägt das Zentrum Health Technologies Rechnung (siehe Kasten). Es vermittelt einerseits zwischen Forschungspartnern aus Klinik und Industrie und den Forschenden der verschiedenen Forschungseinheiten der BFH im Bereich Gesundheitstechnologie. Andererseits bringt das Zentrum die eigenen Forschenden aus den Gebieten Medizintechnik, Medizininformatik, Sport und Gesundheitsversorgung zusammen, um gemeinsam Ideen zu entwickeln und in Projekten umzusetzen. Innovative Forschung lebt auch vom informellen Austausch zwischen Kolleg*innen verschiedener Fachrichtungen. Denn nicht selten werden die besten Ideen während der Kaffeepause, dem Mittagessen oder beim Apéro geboren. Darum hat das Zentrum diesen Frühling ein virtuelles Treffen in Form eines Ideenmarktplatzes mit Pitches ins Leben gerufen. Die vielversprechendsten interdisziplinären Projekte unterstützt das Zentrum finanziell.

Zentrum Health Technologies

Die BFH hat Ende 2020 ihre Kompetenzen in Health Technologies neu gebündelt. Das Zentrum Health Technologies vereint die Kompetenzen in der Gesundheitsversorgung, im Sport, in der Medizintechnik und in der Medizininformatik. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit ermöglicht das Zentrum Projekte, welche die Lebensqualität von Patient*innen steigern sowie die Gesundheit der Gesellschaft und die Leistungsfähigkeit von Sportler*innen fördern.

Robotik trifft Physiotherapie

Als erstes Projekt aus diesem virtuellen Ideenmarktplatz unterstützt das Zentrum die Zusammenarbeit zwischen dem Labor für Robotik am Institute for Human Centered Engineering (HuCE-roboticsLab) und der Forschung Physiotherapie im Hinblick auf den Cybathlon 2024. Der Cybathlon ist ein Non-Profit-Projekt der ETH Zürich und quasi die Olympischen Spiele für Assistenztechnologien. Er wurde im Jahr 2016 zum ersten Mal ausgetragen. Der Wettkampf soll die Entwicklung von Assistenztechnologien für eine Welt ohne Barrieren für Personen mit körperlichen Beeinträchtigungen fördern. Mit der Austragung im Jahr 2024 wird die neue Disziplin «Assistenzroboter-Rennen» ins Programm aufgenommen. Mobile Assistenzroboter, zum Beispiel montiert auf einem Rollstuhl, sollen es Personen mit schweren motorischen Beeinträchtigungen erlauben, besser mit der Umwelt zu interagieren und weniger auf Betreuungspersonen angewiesen zu sein. Zum Beispiel sollen die Pilot*innen Türen öffnen oder den Geschirrspüler bedienen können. Die Entwicklung eines geeigneten mobilen Assistenzroboters bedingt die enge Zusammenarbeit von Ingenieur*innen, Physiotherapeut*innen, Orthopädist*innen und betroffenen Personen. Das HuCE-roboticsLab und die Forschung Physiotherapie der BFH stellen nun ein Team mit Studierenden der Studiengänge Mikro- und Medizintechnik und der Physiotherapie zusammen, um am Cybathlon 2024 teilzunehmen. Das Projekt ermöglicht zukünftigen Fachpersonen des Ingenieurwesens und der Gesundheitsversorgung bereits auf Ausbildungsebene den praktischen Erwerb von Kompetenzen in interprofessioneller Zusammenarbeit. Dies ist unabdingbar für alle, die in der Entwicklung und Anwendung von Gesundheitstechnologien tätig sein wollen. Das Projekt wird vom starken Netzwerk der Forschung Physiotherapie in die Praxis profitieren. Einerseits bei der Rekrutierung, der Betreuung und dem Einbezug von geeigneten Pilot*innen, anderseits bei praktischen Aspekten im Hilfsmittelbau mit der starken Partnerschaft zwischen dem Bern Movement Lab und der Ortho-Team AG Bern. Die Physiotherapie wird dazu beitragen, praktikable Lösungen und Schnittstellen in den Bereichen Rollstuhl, Mensch-Umwelt und Mensch-Roboter zu finden und wird eine vermittelnde Rolle zwischen Pilot*in und Engineering- Team einnehmen. Sie ist ebenso dafür verantwortlich, den Piloten oder die Pilotin körperlich und mental bestmöglich auf die Aufgaben des Cybathlon-Wettkampfs vorzubereiten. Als nächster Schritt ist ein Workshop mit Personen aus der Robotik, der Physiotherapie und der Orthopädietechnik geplant, um ein Team zusammenzustellen und eine Zeitplanung für das Projekt zu erarbeiten. Interessierte Teammitglieder können sich direkt beim Autor melden.

Bewährte Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit zwischen der Forschung Physiotherapie und dem Institute for Human Centered Engineering hat sich bereits mehrfach bewährt. So wurde zum Beispiel eine Apparatur zur Messung der Kniestabilität unter Belastung entwickelt. Dabei ging es konkret um die Verschiebbarkeit zwischen dem Unter- und dem Oberschenkel (tibiale Verschiebbarkeit). Wer jemals eine Verletzung des vorderen Kreuzbandes hatte, dem dürfte dies auch unter dem Begriff «vordere Schublade» bekannt sein: Wenn sich der Unterschenkel beim Knie übermässig nach vorne ziehen lässt, ist das ein Indiz für einen Kreuzbandriss. Dies ist ein wichtiges diagnostisches Kriterium, welches bisher nur auf einer Liege passiv getestet werden konnte. Im Zusammenhang mit der Wiedererlangung einer guten Kniefunktion sind jedoch belastete Situationen – wie Stehen oder Treppengehen – relevant. Mit der über mehrere Studierendenprojekte hinweg entwickelten Apparatur ist nun die Messung der tibialen Verschiebbarkeit bei impulsartiger Belastung im Stehen möglich. Die technischen Entwicklungsarbeiten (Mechanik, Sensorik, Software) erfolgten durch Bachelorarbeiten im Labor für Medizintechnik (HuCEBME Lab). Eine Validierung mit 20 gesunden Personen erfolgte im Rahmen einer Masterarbeit der Physiotherapie im Bern Movement Lab.

Gesundheitsmagazin «frequenz»

Dieser Beitrag ist Teil der September-Ausgabe 2022 unseres Magazins «frequenz».

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