Ernährungspraktikum in Äthiopien – Interview mit der BSc-Studentin Linda Mekonnen

17.04.2023 Während des Praktikums in einer Ernährungsberatungspraxis machte Linda Mekonnen viel Öffentlichkeitsarbeit. Was sie sonst noch alles gelernt und erfahren hat, erzählt sie im Interview.

Linda, warum hast du dich für den Beruf Ernährungsberaterin entschieden?

Ich wusste immer, dass ich etwas im Gesundheitsbereich lernen möchte. Die Richtung war mir aber lange nicht klar. Ich mag den Kontakt mit Menschen, arbeite aber auch gerne für mich allein. Eine Balance, die ich in der Ernährungsberatung finde. In meiner Kultur ist Essen ein grosses Thema, weshalb ich mich privat oft damit beschäftigt habe. Auch finde ich Humanbiologie spannend. Die Berufsrichtung bietet mir alles, was mich interessiert.

Wie bist du auf die Idee gekommen, ein Auslandpraktikum zu machen?

Ich wollte diese Möglichkeit der BFH unbedingt nutzen. Vor allem war mir wichtig, einen Bereich zu wählen, der sich von den anderen Praktika unterscheidet. Äthiopien als Praktikumsort hatte ich immer im Hinterkopf. Jedoch wusste ich nicht, ob dort die Ernährungsberatung überhaupt ein Thema ist. Nach einer längeren und aufwendigen Suche habe ich «LeHem Nutrion Counseling» in Addis Abeba gefunden.

Wie lief die Praktikumsorganisation ab?

Ich habe die Praxis direkt kontaktiert und sie waren sehr offen für meine Idee. Beim ersten Kontakt wurde ich gefragt, was ich bereits kann, was ich lernen möchte und welche Unterstützung ich brauchen werde. Deshalb habe ich eine Vorplanung erstellt und die Mitarbeitenden der Ernährungsberatungspraxis haben diese mit ihren eigenen Ideen ergänzt. Auch Julia Eisenblätter von der BFH hat den Plan und den Betrieb begutachtet. Vor Praktikumsbeginn war ich für kurze Zeit in Äthiopien und ich lernte das Team kennen. Durch dieses Treffen wurde alles noch konkreter.

Was kannst du uns über den Praktikumsbetrieb erzählen?

«LeHem Nutrion Counseling» ist eine Ernährungsberatungspraxis, die Anfang 2022 eröffnet wurde. Sie bietet Beratungen in allen Bereichen der Ernährung an: Beratung bei Adipositas, zu Gewicht und Essverhalten, Ernährung vor, während und nach der Schwangerschaft sowie Ernährung bei chronischen Erkrankungen. Neuerdings berät sie auch Kinder und deren Eltern. Am häufigsten sind die Beratungen zu Adipositas und zur Schwangerschaft.

Ist die Ernährungsberatung ähnlich organisiert wie in der Schweiz?

In Äthiopien funktioniert das Gesundheits(vorsorge)system anders. Es gibt keine Krankenkassen, weshalb auch für die Beratung keine Überweisungen notwendig sind. Es kommt durchaus vor, dass Ärzt*innen ihre Patient*innen in eine Ernährungspraxis schicken. Die meisten kommen aber von sich aus.

«Viele Leute kennen das Angebot der Ernährungsberatung noch nicht, weshalb Öffentlichkeitsarbeit ein grosser Teil meiner Aufgabe war.»

Standaktion im Auslandpraktikum in Äthiopien

Wie sahen deine Aufgaben in der Ernährungsberatungspraxis aus?

Die Social-Media-Kommunikation war ein Bereich meiner Praktikumsplanung. Ich habe zum Beispiel ein Kochbuch gestaltet. Zu meinen Aufgaben gehörte viel Office-Arbeit. Ich habe telefoniert und E-Mails geschrieben, dies vor allem, um Kontakte zu knüpfen und Partnerschaften mit lokalen und internationalen Organisationen aufzubauen. Daneben habe ich kleinere Projekte geplant und umgesetzt und Aufklärungsarbeit gemacht. Viele Leute kennen das Angebot der Ernährungsberatung noch nicht, weshalb Öffentlichkeitsarbeit ein grosser Teil meiner Aufgabe war.

Was für Projekte hast du gemacht?

Die Beratungspraxis befindet sich in einem grossen «Amusement Park», der von vielen Kindern und Eltern besucht wird. Wir haben einen Stand aufgebaut und zu ausgewählten Ernährungsthemen ausgestellt. Dabei gingen wir aktiv auf die Parkbesucher*innen zu. Oft kamen sie auch von sich aus zu uns. In den Gesprächen fragten wir nach, was die Menschen über Ernährung wissen und welche Fragen sie haben. Ausserdem haben wir BMI-Berechnungen und kleinere Abklärungen angeboten, um das Ganze etwas interaktiver zu gestalten.
 
An den Aktionen gefiel mir, dass die Leute von den Gesprächen profitieren konnten und ihnen etwas mitgegeben wurde. Für mich persönlich war es interessant, weil ich wissen wollte, wie relevant die Themen Ernährung und Diätetik in Äthiopien sind. Ich wollte mir ein Bild machen, ob ein Beratungsangebot überhaupt gewünscht ist und für die Leute vor Ort nützlich ist. Durch die direkten Kontakte konnte ich dies besser einschätzen.

Wie sieht deine Einschätzung aus?

Aus meiner Sicht gibt es grosse Unterschiede. Einige machen sich viele Gedanken über Ernährung und Diätetik und wissen viel darüber. Andere denken, dass es genug andere Herausforderungen gibt, um die es sich zu kümmern gibt und sehen die Ernährung(sberatung) als Luxusproblem bzw. -angebot.

Ich habe gesehen, dass es in Äthiopien einen Bedarf für Ernährungsberatung gibt. Natürlich gibt es Dinge, die die Leute stärker beschäftigen, aber Ernährung ist ebenfalls ein Thema. Ich habe dies unterschätzt: es gibt für Ernährungsberater*innen auf jeden Fall berufliche Möglichkeiten.

Wie sieht die Ausbildung zur Ernährungsberaterin in Äthiopien aus?

Ich kenne den Lehrplan nicht genau, aber das Studium ist ähnlich aufgebaut wie in der Schweiz. Es dauert auch drei Jahre und die Studierenden absolvieren verschiedene Praktika.

Warst du bei Beratungsgesprächen dabei?

Die Klient*innen hatten oft Hemmungen und schämten sich teilweise dafür, dass sie Beratung zur Ernährung benötigen. Wir unterliessen deshalb Begleitungen, damit sich die Klient*innen wohl fühlten.

«Ich habe mich nicht als Praktikantin gefühlt, sondern war von Anfang an Teil des Teams.»

Standaktion im Auslandpraktikum in Äthiopien

Wurden deine Erwartungen ans Praktikum erfüllt?

Ich ging bewusst ohne Erwartungen nach Addis Abeba. Zudem wusste ich gar nicht, was ich überhaupt erwarten sollte. Da ich mit 14 Jahren in die Schweiz gekommen bin, kannte ich die Arbeitswelt meines Herkunftslandes nicht. Dies allein war schon eine Erfahrung: mal wieder für eine längere Zeit in Äthiopien zu sein und die Berufswelt kennenzulernen.

Die Organisation selbst hat mich sehr beeindruckt. Sie arbeiten sehr strukturiert und ich konnte viel von meinen Mitarbeiter*innen lernen. Und es war möglich, sehr selbständig zu arbeiten und vieles selbst zu bestimmen. Durch die wöchentlichen Team-Meetings war ich immer auf dem Laufenden und konnte meine Anliegen anbringen. Ich habe mich nicht als Praktikantin gefühlt, sondern war von Anfang an Teil des Teams.

Ebenfalls eindrücklich war, dass es mit der Klient*innen-Gewinnung ganz anders abläuft. In der Schweiz machen wir uns darüber wenig Gedanken, meistens gibt es genügend Kund*innen. In Äthiopien muss man dafür aktiv werden. Dabei habe ich auch gelernt, auf die Menschen zuzugehen. Und ich konnte meine Sprachkenntnisse weiterentwickeln und mir das Fachvokabular aneignen.

Würdest du das Praktikum weiterempfehlen?

Ein Auslandpraktikum würde ich definitiv allen empfehlen, es ist ein cooles Erlebnis. Die Praktika sind ja dafür da, dass wir möglichst viele Bereiche kennenlernen. Es ist wichtig, dass wir diese Möglichkeit nutzen.
 
Wenn man die Landessprache kann, empfehle ich Äthiopien und «LeHem Nutrion Counseling» als Praktikumsort ebenfalls sehr.

Möchtest du zum Schluss noch etwas sagen?

Ja, ich danke meinem Praktikumsort für ihre Offenheit. Ich habe sehr viel von ihnen gelernt. Auch bedanke ich mich bei der BFH für die Unterstützung, die ich bei der Organisation erhalten habe. Es hat alles sehr gut funktioniert und dadurch hatte ich eine tolle Zeit.
 

Porträt von Linda Mekonnen
Linda Mekonnen studiert Ernährung und Diätetik am Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule und absolvierte ein Auslandpraktikum in Äthiopien.

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Fachgebiet: Gesundheit, Gesundheitstechnologien + Public Health, Ernährung + Diätetik