Auf dem Weg zur Gleichstellung

07.09.2022 Die BFH-HAFL war viele Jahre eine Männerbastion. Heute ist die Gleichstellung im Gesamtbild gut gegeben. «Der Wandel war enorm», sagt die ehemalige Direktorin Magdalena Schindler. Zugleich seien die Rollenbilder stehengeblieben.

1971 war ein besonderes Jahr: Schweizerinnen durften zum ersten Mal abstimmen, und auch am Schweizerischen Landwirtschaftlichen Technikum (SLT), dem Vorgänger der heutigen Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (BFH-HAFL), gab es einen Grund zum Feiern: die erste Frau durfte nach erfolgreich bestandenem Studium ihr Diplom in Empfang nehmen. Seit diesem historischen Tag hat sich auf dem Campus in Zollikofen vieles getan.

«Der Wandel war enorm», sagt Magdalena Schindler, ehemalige Direktorin an der BFH-HAFL, die 33 Jahre in Zollikofen tätig war. «In den letzten Jahrzehnten hat sich die ganze Gesellschaft stark verändert. Das Eherecht, das die Frau dem Mann gleichstellt, trat erst 1988, also im Jahr nach meinem Stellenantritt, in Kraft. Wenn ich also zu jenem Zeitpunkt verheiratet gewesen wäre, hätte mein Mann mir verbieten können, die Stelle als Studiengangleiterin und Dozentin anzunehmen. Aber ich war damals noch ledig.»

Eine Männergesellschaft

Als Schindler Ende der 80er-Jahre Dozentin wurde, gab es an der damaligen SLT nur vereinzelt Frauen. Diese arbeiteten vor allem im Sekretariat, in der Küche und im Reinigungsteam. «Es war eine Männergesellschaft», betont sie. «Das bedeutet aber nicht, dass ich mich persönlich diskriminiert fühlte. Im Gegenteil. Es hatte auch Vorteile, die Erste zu sein: Ich fiel auf, genoss Narrenfreiheit und konnte mich beweisen.»

Auch Studentinnen waren die Ausnahme: Bis Anfang der 90er-Jahre waren bloss ein bis zwei Frauen pro Jahrgang vertreten (vgl. Box rechts). Fabiola Merk-Lorez studierte von 1996 bis 1999 an der BFH-HAFL. Benachteiligt habe sie sich nicht gefühlt. «Es wurde nicht mehr und auch nicht weniger von uns Frauen verlangt», sagt Merk-Lorez, die heute als Lehrerin am Plantahof im Graubünden arbeitet. «Magdalena Schindler war damals Vizedirektorin. Vielleicht half das auch, dass man als Frau nicht das Gefühl hatte, etwas Besonderes zu sein.»

Dennoch gab es unangenehme Erfahrungen: «In einer Vorlesung meinte der Dozent, dass ich als Frau nicht wisse, wie eine Fliehkraftkupplung funktioniere, und erklärte sie mir vor allen anderen anhand einer Waschmaschine», erzählt Merk-Lorez. «Er wusste damals noch nicht, dass mich alles Technische sehr interessierte. Ich schenkte ihm danach ein Kinderbilderbuch, in welchem die Frau die Landwirtin ist und nicht der Mann. Er begriff den Wink mit dem Zaunpfahl und entschuldigte sich. Nach dieser Episode hatten wir immer ein sehr gutes Verhältnis.»
 

BFH-HAFL: Die Zahlen zur Gleichstellung

1971 schloss die erste Frau ihr Studium am Schweizerischen Landwirtschaftlichen Technikum ab. Bis Anfang der 90er-Jahre waren lediglich eine oder zwei Frauen pro Jahrgang vertreten. Um die Jahrtausendwende kam der Wandel: 2005 waren rund ein Viertel der neueintretenden Studierenden an der BFH-HAFL Frauen, heute sind es gesamthaft betrachtet mehr als die Hälfte. Nur in den Waldwissenschaften sind Frauen mit 36 % noch untervertreten. Das Masterstudium verzeichnet mit 69 % einen hohen Anteil an Frauen. Bei den Mitarbeitenden sind knapp die Hälfte (49 %) Frauen, bei den Dozenturen sind es rund ein Drittel.

Unter Beobachtung: Anfangs war die BFH-HAFL eine Männerdomäne. Bild vergrössern
Unter Beobachtung: Anfangs war die BFH-HAFL eine Männerdomäne.

«Weibliche Vorbilder sind wichtig»: Direktorin Ute Seeling im Interview


Wie stellt die BFH-HAFL die Gleichstellung der Geschlechter an der Hochschule sicher?


Ein wertschätzender Umgang zwischen allen Angehörigen der BFH gehört zu unserem Selbstverständnis. Diesen haben wir in unseren Werten der HAFL bereits seit Langem verankert, und ich freue mich, dass ganz aktuell auch der Rektor dies nochmal in seinen Leitsätzen aufgenommen hat. Doch ist Wertschätzung alleine nicht ausreichend: Wir fördern aktiv die Chancengleichheit, etwa im Zuge von Bewerbungsverfahren. Sollte es dennoch zu einem Verstoss kommen, der zum Beispiel zu Diskriminierung von Frauen führt, so hat die Betroffene die Möglichkeit, ganz niederschwellig Hilfe und Rat zu suchen.

Gibt es an der BFH-HAFL bei Stellenbesetzungen eine besondere Förderung von Frauen?


Darauf achten wir sehr stark, zum Beispiel schon bei den Stellenausschreibungen.
Wir schreiben meist keine festen Beschäftigungsgrade aus, sondern eine Spannweite, und bieten damit individuelle Flexibilität, was gerade für Bewerberinnen oft wichtig ist. Ausserdem sind wir offen für Modelle wie Job-Sharing. Bewerbungen von Frauen werden in jedem Bewerbungsverfahren speziell gewürdigt, und ich freue mich sehr, dass wir bei Dozierendenstellen in letzter Zeit viele Bewerbungen von ausgezeichnet qualifizierten Frauen erhielten, von denen wir einige einstellen konnten. Ich sehe eine positive Entwicklung für Frauen in Führungspositionen an der HAFL.

Inwiefern erleichtert die BFH-HAFL die Vereinbarkeit von Beruf und Familie?


Zum einen sind wir immer gesprächsbereit, was den Beschäftigungsgrad angeht. Ausserdem bieten wir seit Ende der Pandemie die Möglichkeit, in Absprache mit den Vorgesetzten bis zu 50 % der Zeit im Home-Office zu arbeiten. Dadurch entfallen Fahrtzeiten zur Arbeitsstelle, und es bleibt mehr Zeit für die Familie. Ich möchte auch auf unseren Elternverein hinweisen, wo sich Mütter und Väter engagieren, austauschen und Vorschläge machen können.

Wie lässt sich der Frauenanteil an der BFH-HAFL, insbesondere in höheren Positionen, weiter erhöhen?


Ich denke, am besten funktioniert Frauenförderung über Stärkung und Motivation der Frauen. Dafür braucht es den Austausch und weibliche Vorbilder. Da engagiert sich die BFH-HAFL ja schon seit Jahren, denn schliesslich bin ich nicht die erste Frau an der Spitze. Vor allem aber haben wir an der HAFL das Frauennetzwerk Sielle, das attraktive Angebote für den Austausch zwischen Frauen bietet. Zwei Mal pro Jahr bietet diese Netzwerkveranstaltung Studentinnen, Alumnae und Mitarbeiterinnen die Gelegenheit, sich in ungezwungener Atmosphäre zu treffen, inspirieren zu lassen, Erfahrungen auszutauschen und Kontakte zu knüpfen. Ich rate allen Frauen an der BFH-HAFL, diese Angebote zu nutzen.

Die Hürden kommen später

Heute ist die Gleichstellung an der BFH-HAFL im Gesamtbild gut gegeben: Rund die Hälfte aller Studierenden und Mitarbeitenden sind Frauen. Anders sieht es bei den Dozierenden aus, wo der Frauenanteil bei nur rund 30 Prozent liegt. Diese Zahlen spiegeln das Gesamtbild in der Schweizer Wissenschaft. Gerade in Spitzenpositionen der Naturwissenschaften ist die Zahl der Professorinnen und Dozentinnen klein. Der Trend zeige zwar nach oben, vermeldete jüngst das SRG-Newsportal Swissinfo, aber die Entwicklung verlaufe harzig. Die Hauptgründe: Probleme bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Mangel an weiblichen Vorbildern
und Netzwerken.

«Auch wenn sich die Gesellschaft in den letzten Jahren verändert hat, sind die Rollenbilder in der Schweiz leider stehengeblieben», sagt Magdalena Schindler. «Nach wie vor wird erwartet, dass der Mann die Familie ernährt und die Frau zu den Kindern schaut. Dies, obwohl inzwischen mehr Frauen ein Hochschulstudium absolvieren als Männer. Doch sobald Kinder da sind, fallen wir in die alten Muster zurück.»

Externe Kinderbetreuung und Tagesschulen müssten normal und bezahlbar werden, sodass auch Mütter Karriere machen könnten, fordert sie. Und man müsse bei den Rollenbildern ansetzen: «Mädchen, die sich für Mathematik oder Technik interessieren, müssen genauso unterstützt werden wie Knaben, die soziale Themen bevorzugen.»

Eine positive Entwicklung

Die BFH-HAFL sei in Sachen Gleichstellung auf gutem Weg, betont die aktuelle Direktorin Ute Seeling. «Bei den Anstellungsverfahren achte ich gemeinsam mit den Personalverantwortlichen sehr stark auf den Aspekt der Frauenförderung», sagt sie im Interview (vgl. Box weiter oben). Seeling berichtet, dass bei der Ausschreibung von Dozierendenstellen in letzter Zeit zahlreiche Bewerbungen von «ausgezeichnet qualifizierten Frauen» eingegangen seien. «Einige davon konnten wir auch einstellen.»
 

Alltag an der BFH-HAFL: Heute sind über die Hälfte der neueintretenden Studierenden Frauen. Bild vergrössern
Alltag an der BFH-HAFL: Heute sind über die Hälfte der neueintretenden Studierenden Frauen.

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Dieser Beitrag ist Teil der Sommer-Ausgabe unseres Magazins infoHAFL.

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