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Mit guten Arbeitsbedingungen Fachkräfte langfristig binden
01.05.2025 Die Arbeit auf dem Sozialdienst ergibt Sinn, ist abwechslungsreich und anspruchsvoll. Dennoch ist die Fluktuation hoch und manch eine Fachkraft steigt nach wenigen Jahren ganz aus dem Berufsfeld aus. Was können Führungskräfte und Teams dagegen tun? Der Blick in die Fachliteratur zeigt auf, welche Massnahmen sie ergreifen können, um den Prozess mitzugestalten.
Das Wichtigste in Kürze
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Verbesserte Arbeitsbedingungen sind zentral, um Fachkräfte im Sozialdienst langfristig zu binden.
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Drei zentrale Hebel zur Verbesserung der Arbeitssituation sind ganzheitliche Tätigkeiten, psychologische Sicherheit und salutogenetische Ansätze
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Führungskräfte und Organisationen können mit konkreten Massnahmen aktiv gegen die Fluktuation steuern: Dazu zählen z. B. dezentrale Entscheidungsstrukturen, eine gelebte Fehler- und Lernkultur, Weiterbildungsmöglichkeiten sowie die Förderung kollegialer Unterstützung.
Der Fachkräftemangel betrifft den Sozialbereich erheblich. Besonders Sozialdienste, die auf gut ausgebildete Fachkräfte angewiesen sind, haben Schwierigkeiten, Stellen zu besetzen, und kämpfen mit einer teilweise hohen Fluktuation (Amberg et al., 2025; Aeschlimann, 2018). Diese Entwicklung ist langfristig weder für die verbleibenden Berufsleute noch für die Institutionen tragbar. Eine schnelle Verbesserung der Situation ist nicht in Sicht. Dennoch können Vorgesetzte und Teams Massnahmen ergreifen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Kündigungsgründe
Sozialarbeitende auf dem Sozialdienst leisten einen wichtigen Beitrag zur Stabilität der Gesellschaft. Sie unterstützen vulnerable Personen finanziell und mittels Integrationsmassnahmen. Doch warum verlassen viele Fachkräfte den Beruf? Befragungen zeigen, dass die Bedürfnisse der Klientinnen und Klienten oft nicht im Mittelpunkt stehen. Stattdessen dominiert der Fokus auf Finanzen, was sich wiederum in hohem Arbeitsdruck und oft unzureichender Personalausstattung widerspiegelt (Huber & Giger, 2022; Flückiger & Gehrlach, 2022). Langfristig resignieren die Mitarbeitenden und verlassen die Organisation (Amberg et al., 2025). Die ohnehin schon grosse Last muss dann auf die verbleibenden Mitarbeitenden verteilt werden, denn oft ist es schwierig und aufwändig, neue Sozialarbeitende zu rekrutieren und sie einzuarbeiten.
Dazu kommt, dass Sozialdienste an sich schon besonderen strukturellen Herausforderungen unterliegen: Die Sozialarbeitenden müssen zwischen den Bedürfnissen der Klient*innen, den fachlichen Möglichkeiten, den Interessen der Organisation und den staatlichen Vorgaben vermitteln. Gleichzeitig bewegen sie sich bei der Zusammenarbeit mit den Klient*innen in einem Spannungsfeld von Unterstützung und Kontrolle (Pamme & Merchel, 2014). Eine erfolgreiche Zusammenarbeit setzt jedoch ein stabiles, kooperativ funktionierendes Arbeitsbündnis zwischen den Klient*innen und den Sozialarbeitenden voraus. Nur auf einer stabilen Basis können Schritte ausgehandelt werden, die professionell vertretbar und zur Lebenswelt der Klient*innen passen, auch wenn sie nicht immer direkt deren Erwartungen entsprechen.
Als weitere Kündigungsgründe werden mangelnde fachliche Unterstützung und fehlende Rückendeckung durch Vorgesetzte genannt. Dysfunktionale Kulturen, insbesondere in Bezug auf den Umgang mit Fehlern, Umstrukturierungen, Gesetzesänderungen oder aufwändigen (Digitalisierungs-)Projekten, erschweren den Arbeitsalltag (Flückiger & Gehrlach, 2022). Lange Entscheidungswege und starre Hierarchien schränken die Mitwirkungsmöglichkeiten ein. Sowohl Berufseinsteigende wie auch Arbeitgebende beklagen, dass das Studium nur unzureichend auf die Praxis vorbereite. Eingeschränkte Weiterbildungsmöglichkeiten und eine eher geringe gesellschaftliche Anerkennung verstärken die Fluktuation zusätzlich (Huber & Giger, 2022).
Wie können Sozialdienste ihre Mitarbeitenden so unterstützen, dass sich diese Fluktuationsgründe relativieren? Wie können sie grundlegend gute Verhältnisse im Sinne «guter Arbeitsplätze» schaffen? Entwicklungsmassnahmen lassen sich auf drei Ebenen ansiedeln.
Zehn Empfehlungen für ein gutes Arbeitsumfeld auf Sozialdiensten:
- Bieten Sie als Vorgesetzte*r Unterstützung: Reflektieren Sie die Situationen der Ihnen unterstellten Mitarbeitenden und erkennen Sie diese an. Unterstützen Sie die Mitarbeitenden beim Lösen von Konflikten und in ihrer Arbeitsorganisation. Vermitteln Sie Rückhalt und Sicherheit. Steuern Sie Change-Vorhaben aktiv und umschauend. Schaffen Sie agile Gefässe, in denen neue Formen ausprobiert und Innovationen realisiert werden können.
- Fördern Sie die gegenseitige Unterstützung unter Kolleg*innen und den Zusammenhalt in den Teams. Schaffen Sie Raum, um gegenseitige Wertschätzung auszudrücken.
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Gestalten Sie möglichst ganzheitliche Tätigkeiten. Dezentralisieren Sie Verantwortung. Beziehen Sie gut qualifizierte Mitarbeitende in Entscheide mit ein und sorgen Sie dafür, dass diese an geeigneter Stelle eingesetzt werden.
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Handeln Sie präventiv und nicht reaktiv! Beachten Sie Stressoren als Risiken. Gehen Sie aktiv mit Auslastung und Überforderung um. Beobachten Sie und reagieren Sie frühzeitig. Etablieren Sie ein aktives und flexibles Ressourcenmanagement. Denken Sie an die potenzielle Kaskade, die durch den Ausfall einer Person entstehen kann.
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Entwickeln Sie aktiv eine Fehler- und Lernkultur. Handeln Sie nach dem Prinzip, zuerst organisationale Schwächen zu bearbeiten und diese zu eliminieren. Bieten Sie bei Fehlern und kritischen Zwischenfällen Rückhalt.
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Reflektieren Sie zusammen mit den Mitarbeitenden das organisationsspezifische Umfeld, Ihre Organisation und die zu bearbeitenden Fälle. Helfen Sie, vergangene Geschehnisse und zukünftige Entwicklungen einzuordnen. Schaffen Sie eine Kultur der psychischen Sicherheit. Unterstützen Sie die Mitarbeitenden darin, ihr Kohärenzgefühl für die Bewältigung schwieriger Situationen zu aktivieren.
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Entwickeln Sie ein Wissensmanagement, um kollektives, insbesondere auch implizites Wissen festzuhalten.
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Stellen Sie eine gute Arbeitsinfrastruktur sicher.
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Tragen Sie dazu bei, dass sich die Attraktivität des Berufsfelds erhöht und die Leistungen der Sozialen Arbeit anerkannt werden.
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Reduzieren Sie den «Praxisschock» neuer Mitarbeitender. Schaffen Sie attraktive Entwicklungsmöglichkeiten und ermöglichen Sie treuen Mitarbeitenden «Expertentum».

Ganzheitliche Tätigkeiten fördern
Erstens steigert sich das Wirksamkeitsempfinden der Mitarbeitenden, wenn sie ganzheitliche Tätigkeiten ausführen (vgl. Bradke & Melzer, 2016; Mustapha, 2020). Eine Zergliederung der Arbeit in isolierte Einzelschritte sollte vermieden werden, da dies den Blick für das Gesamtbild erschwert und fragmentierte Arbeit sinnentleert erscheint. Ganzheitliche Tätigkeiten bieten Gestaltungsspielräume bezüglich des Tempos, der Abfolge und der Inhalte. Die individuellen Fähigkeiten der Mitarbeitenden werden berücksichtigt. Sie können autonom handeln und sind weder permanent über- noch unterfordert. Zudem sind sie sich ihrer Verantwortung für das Arbeitsergebnis bewusst. Idealerweise umfassen solche Tätigkeiten schöpferische und routinemässige geistige Prozesse und erfordern Kooperation sowie Kommunikation mit Kolleg*innen.
Ein psychisch sicheres Umfeld schaffen
Zweitens benötigen Mitarbeitende psychische Sicherheit, die es erlaubt, Vertrauen zu entwickeln, sich in der Organisation ganz offen zu beteiligen und damit auch gewisse Risiken einzugehen (Edmondson, 1999; Edmondson, 2018). In einem solchen Umfeld trauen sich Mitarbeitende, unkonventionelle Ideen zu äussern, Kritik zu üben und Fehler anzusprechen, ohne mit Ablehnung und Sanktionen rechnen zu müssen. Vorgesetzte und Teams können dazu beitragen, eine Kultur des offenen Austauschs und der Wertschätzung zu pflegen. Sie können einander vermitteln, dass man «zwischenmenschliche Risiken» eingehen kann, ohne dass Konsequenzen drohen. Dies fördert gemeinsames Lernen und ermöglicht notwendige Innovationen, um als Organisation in einem sich schnell wandelnden Umfeld bestehen zu können.
Fehlt eine solche Kultur, vermeiden es Mitarbeitende aus Angst, Probleme anzusprechen. In der Folge nimmt der Stress zu. Dies beeinträchtigt das Selbstwertgefühl und kann zu gesundheitlichen Problemen und Ausfällen führen.

Gesund bleiben
Drittens dürfte der von Aaron Antonovsky (1923–1994) beschriebene salutogenetische Ansatz die Mitarbeitenden in herausfordernden Situationen unterstützen. Es geht darum, Ressourcen zu aktivieren, um im Privatleben und am Arbeitsplatz gesund zu bleiben.
Der Medizinsoziologe Antonovsky stellte fest, dass Menschen Belastungen unterschiedlich wahrnehmen und verschiedene Ressourcen zur Bewältigung in der Hand halten (Antonovsky, 1997; Faltermaier, 2023). Entscheidend ist das Kohärenzgefühl, das beschreibt, inwieweit jemand Situationen in seinem Leben als verstehbar, bewältigbar und sinnbehaftet empfindet.
Menschen mit einem hohen Kohärenzempfinden können schwierige Situationen einordnen, weil sie das Leben für verstehbar und kognitiv erklärbar halten, statt nur als chaotisch und bedrohlich empfinden. Sie sind zuversichtlich, dass die Anforderungen und Belastungen im Laufe des Lebens im Wesentlichen zu bewältigen sind. Damit wird das Leben gestalt- und steuerbar. Darüber hinaus erachten sie das eigene Leben als sinnvoll und sind sicher, dass die Anforderungen es wert sind, Energie in deren Bewältigung zu investieren (Faltermaier, 2023).
Gute Arbeitsplätze reflektieren und mobilisieren diesen Ansatz für den betrieblichen Umgang mit Herausforderungen und Stressoren.
Fazit und Empfehlungen
Betriebe können Erkenntnisse aus der Forschung nutzen, um gute Arbeitsplätze zu schaffen. Massnahmen auf den drei genannten Ebenen tragen dazu bei, dass einige der beschriebenen Kündigungsgründe gar nicht erst entstehen. Falls sich dies aus verschiedenen Gründen nicht vermeiden lässt, können Stressoren durch Unterstützung abgemildert werden. Angebote wie Unterstützung, Verständnis, Reflexionsgespräche, Weiterbildung oder Supervision helfen beispielsweise, belastende Situationen zu entschärfen und die Zufriedenheit im Beruf zu erhöhen.
Literatur und weiterführende Links
- Amberg, H., Rickenbacher, J., Müller, F., Mariéthoz, S. & Brun, N. (2024). Fachkräftestudie im Sozialbereich. Bericht zuhanden des Schweizerischen Dachverbands für die Berufsbildung im Sozialbereich SAVOIRSOCIAL und der Konferenz der Fachhochschulen für Soziale Arbeit Schweiz SASSA. Luzern: Interface Politikstudien Forschung Beratung.
- Aeschlimann, B. et al. (2018). Abgewandert aus dem Sozialbereich: Ergebnisbericht. Teil der Studie zu den Ausbildungs- und Erwerbsverläufen von verschiedenen Berufsgruppen der Sozialen Arbeit in ausgewählten Berufsfeldern des Sozialbereiche. OBS EBH. (pdf)
- Antonovsky, A. (1997): Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Deutsche Herausgabe von Alexa Franke. Tübingen: dgvt-Verlag.
- Bradtke, E. & Melzer, M. (2016). Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt – Vollständigkeit. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin.
- Edmondson A. C. (1999). Psychological safety and learning behavior in work teams. In: Administrative Science Quarterly, 44, 350–383.
- Edmondson, A. C. (2018). The fearless Organization: Creating Safety in the Workplace for learning, Innovation and Growth. John Wiley & Sons.
- Faltermaier, T. (2023). Salutogenese. In: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg, Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden.
- Flückiger, D. & Gehrlach, C. (2023). Wie kommunale Sozialdienste in die Zukunft geführt werden könnten. In: impuls Magazin des Departements Soziale Arbeit 3/23, S. 25–27. Berner Fachhochschule BFH, Soziale Arbeit. (pdf)
- Mustapha, V. (2020). Eine ganzheitliche Arbeitsanalyse, -bewertung und -gestaltung mit dem Leitbild der «vollständigen Tätigkeit». Eine Konstruktanalyse und Vorgehensentwicklung. Dissertation. Halle und Wittenberg: Martin-Luther-Universität.