BFH-Umfrage bei Stadtratskandidat*innen - Mehr Partizipation ja, aber nicht bei Kernkompetenzen der Politik

26.11.2020 Berner Politiker*innen befürworten digitale Instrumente für die partizipative Demokratie. Wenn sie jedoch die Kompetenzen des Parlamentes tangieren, werden neue Beteiligungsformen eher skeptisch beurteilt. Dies zeigen die Ergebnisse einer Umfrage bei den Kandidierenden für die Stadtratswahlen am kommenden Sonntag.

Zusammen mit der Online-Wahlhilfe Smartvote haben Forschende des Instituts Public Sector Transformation an der BFH Wirtschaft Kandidierende für die Stadtratswahlen zum Thema Partizipation der Stimmbürger*innen befragt. Dabei stellte sich heraus, dass die Mehrheit der Politiker*innen die bestehenden Partizipationsformen in der Stadt Bern als ausreichend erachtet. Für die städtische Ebene geben dies 68 % an. Für die kantonale Ebene finden nur 44 % der Befragten die Partizipationsmöglichkeiten vollkommen ausreichend; für die Bundesebene sind es 49%.  

In einzelnen Bereichen der städtischen Politik wünscht eine Mehrzahl der Befragten dennoch zusätzliche partizipative Instrumente für die Stimmbürger*innen. So befürworten 56% zusätzliche Möglichkeiten bei der Gestaltung öffentlicher Plätze und Strassen, 52 % für die Ausgestaltung des Quartierlebens und 51% für die Stadt- und Raumplanung sowie den Wohnungsbau. An vierter Stelle folgt der Bereich Verkehr und Mobilität. Weniger wichtig bewerten die Befragten zusätzliche Instrumente bei den Themen Infrastruktur, öffentliche Gesundheit, Wirtschaft und Finanzen. Letzteres wohl auch, weil die Budgetplanung in der Hand der Politiker*innen bleiben soll.  

Skepsis bei zu viel Gestaltungsmacht

Die Forschenden haben den Befragten in der Umfrage 9 Möglichkeiten zusätzlicher Partizipation vorgeschlagen und wollten wissen, welche Instrumente sie als geeignet beurteilen. Die Auswertung zeigt, dass die Befragten diejenigen Instrumente sinnvoll finden, die keine oder nur geringe institutionelle Veränderungen am bestehenden politischen System erfordern: 

  • Besserer Zugang zu Informationen und öffentlichen Daten (70%) 

  • institutionalisierte Fragestunden mit Politiker*innen in den Quartieren (68%) 

  • Online-Plattform zur Meldung von Schäden an der Infrastruktur (64%) 

  • erweiterte Teilnahme an Vernehmlassungen und Mitwirkungsverfahren (62%) 

  • Einführung eines "Bürgervorschlags", der jedoch die Rechte des Parlaments kaum tangiert (56%). 

Deutlich skeptischer beurteilt wurden diejenigen Vorschläge, die einen Verlust an Gestaltungsmacht der gewählten Politiker*innen nach sich ziehen könnten. Dies war beispielsweise bei einem partizipativen Budget, dem temporären und dem ständigen Bürgerrat der Fall sowie beim «Panel Citoyen», einer Gruppe per Los bestimmter Bürger*innen, die vor Abstimmungen eigene Argumente vorbringt und eine Abstimmungsparole ausgeben  würde. 

Insgesamt sehen die Befragten in erweiterten Partizipationsmöglichkeiten eher Chancen  als Risiken. Am meisten Zuspruch (73%) erhält das Argument, dass die partizipative Demokratie zu einer höheren Akzeptanz und Legitimation von politischen Entscheiden sowie zu mehr Bürgernähe der Politik führen kann. Eher weniger zieht das Argument, dass sie die Polarisierung vermindert und zur Lösungsorientierung beiträgt (44%).  

Als Risiken machen die Befragten aus, dass die meisten Bürger*innen gar nicht an partizipativen Verfahren teilnehmen könnten oder wollten (62%), aber auch dass insbesondere Online-Verfahren Gefahr laufen, von gut organisierten Splittergruppen «gekapert» zu werden (60%).  

Über die Umfrage 

Die Befragung wurde von der Fachgruppe «Digitale Demokratie» des Instituts Public Sector Transformation der BFH Wirtschaft zwischen dem 30.10. und 17.11.2020 durchgeführt. Die Forscher*innen Jan Fivaz, Daniel Schwarz, Flurina Wäspi und Anja Wüst haben den Fragebogen entwickelt sowie die Daten ausgewertet und analysiert. Die Online-Wahlhilfeplattform «smartvote» hat die Kandidierenden kontaktiert und die Datenerhebung durchgeführt. 

Von den insgesamt 532 Kandidierenden der Berner Stadtratswahlen haben 77 Kandidierende den Fragebogen, der insgesamt 8 Fragen umfasste, beantwortet (14,5%). Die durchschnittliche Beantwortungszeit betrug 8-9 Minuten. In Bezug auf die Parteizugehörigkeit der Antwortenden ist keine systematische Verzerrung nach links oder rechts feststellbar. Die dargestellten Ergebnisse sind nicht gewichtet. 

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