Wie Künstliche Intelligenz hilft - auch in Krisensituationen

28.09.2022 Geht es um Technologie, die uns Arbeit abnimmt, sind die Meinungen gespalten. Oft fehlt es am Vertrauen, dass sie wirklich dem Menschen dient und nicht Schaden anrichtet. Die 7. Europäische COST Konferenz der Berner Fachhochschule Wirtschaft beschäftigt sich am 30. September mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Finanzindustrie und wie man das nötige Vertrauen bei den Kund*innen aufbauen kann. Ein Interview mit den Vorsitzenden der Konferenz.

Wir erleben derzeit mehrere Krisen, z. B. die durch den Krieg in der Ukraine ausgelöste Energiekrise und den Klimawandel. Sie sind die Gastgeber*innen der Konferenz und Spezialist*innen für den Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI). Was kann KI tun, um uns in unsicheren Zeiten und bei Risiken zu unterstützen? 

Prof. Dr. Jörg Osterrieder: KI ist eine mathematische Technologie, die grosse Datensätze verwendet, um zu modellieren, wie die Realität aussehen könnte. Bei der globalen Erwärmung haben wir Zugang zu enormen Datenmengen und wollen die Temperatur in den kommenden Jahren vorhersagen. Ohne Computer ist es unmöglich, Abhängigkeiten und Beziehungen zu erkennen, die die globale Erwärmung beeinflussen. Letztendlich aber müssen Menschen die Daten interpretieren und nach den daraus resultierenden Schlüssen handeln. Wenn es keinen politischen und gesellschaftlichen Konsens gibt, kann keine noch so gute KI unsere Treibhausgasemissionen auf das erforderliche Mass reduzieren. 

Prof. Dr. Branka Hadji Misheva: Zudem ermöglicht uns KI, Umweltsysteme in einem nie dagewesenen Umfang und Tempo zu überwachen, zu modellieren und zu verwalten. Dies wiederum kann die Gesellschaft insgesamt bei der Bewältigung von Problemen wie Entwaldung, Luftverschmutzung und Wasserknappheit unterstützen. 

Die genannten Beispiele dienen dem Menschen. Das ist nicht aber bei allen Anwendungen der Fall. Wie können wir das sicherstellen? Hat sich die nutzerzentrierte Einstellung bei den Entwickler*innen schon überall durchgesetzt? 

Hadji Misheva: Die breite Einführung von KI-Systemen hängt stark von unserem Vertrauen in ihre Ergebnisse ab. Das Vertrauen in die Technologie wird erst möglich, wenn wir die Beweggründe für die getroffenen Entscheidungen der Computer verstehen. Wir müssen sicherstellen, dass sich Werte und Fachwissen in den Ergebnissen der Algorithmen widerspiegeln. Deshalb steht die Erklärbarkeit derzeit im Mittelpunkt der angewandten KI-Forschung.  

Osterrieder: «Maschinen werden die Welt übernehmen» und Weltuntergangsprognosen gehen auf den berühmten Dartmouth-Workshop 1956 zurück, als der Begriff der künstlichen Intelligenz geprägt wurde. Heute ist die Wahrnehmung anders. Der Schwerpunkt liegt eindeutig auf der KI, die den Menschen in den Vordergrund stellt. Diese Technologie wird in der Regel als Ergänzung menschlicher Fähigkeiten gesehen.  

Sie sagten, KI könne im Finanzsektor eingesetzt werden. Wie profitieren die Kunden davon? 

Osterrieder: KI hat sich in verschiedenen Bereichen des Finanzsektors schon zu einer dominierenden Technologie entwickelt. Der Nutzen hat drei Dimensionen: 1) kundenspezifische und massgeschneiderte Finanzprodukte 2) Kostensenkung und Produktivitätssteigerung 3) Risikominderung, in der Hoffnung, die Auswirkungen künftiger Finanzkrisen zu verringern. 

Hadji Misheva: Technologien wie KI haben das Potenzial, die Effizienz in allen verschiedenen Finanzfunktionen zu erhöhen. Im Bereich der Kreditvergabe sehen wir ein deutliches Wachstum technologiegetriebener Unternehmen, die jetzt den Zugang zu Krediten erleichtern. Deren Aufkommen kann sowohl für Kreditgeber*innen als auch für Investor*innen viele Vorteile mit sich bringen. Aufgrund digitalisierter Prozesse und der spezialisierten Ausrichtung haben Fintech-Kreditanbieter das Potenzial, mit geringeren Betriebs-, Transaktions- und Regulierungskosten zu operieren und so den Anleger*innen höhere Renditen zu bieten. Auf der anderen Seite profitieren die Kreditnehmer*innen von einem höheren Komfort und einem niederschwelligeren Zugang zu Finanzdienstleistungen. 

Prof. Dr. Branka Hadji Misheva
Prof. Dr. Branka Hadji Misheva
Prof. Dr. Jörg Osterrieder
Prof. Dr. Jörg Osterrieder

Über die Cost Conference

Die 7. Cost Conference findet am 30. September 2022 auf dem Campus Marzili der Berner Fachhochschule Wirtschaft statt. Sie vernetzt politische Entscheidungsträger*innen, nationale und europäische Akademiker*innen sowie Teilnehmer*innen aus dem Finanzwesen und der Industrie. Sie bietet ein Forum für interdisziplinäre Diskussionen. Auch in diesem Jahr wird die Konferenz vom COST-Programm (Cooperation in Science and Technology) der Europäischen Union finanziert. Die COST-Aktion 19130 Fintech und KI ist ein internationales Forschungsnetzwerk, das mehr als 200 Forschende aus 49 Ländern miteinander verbindet. Die BFH Wirtschaft hat dabei sowohl den Vorsitz als auch die Gesamt-Koordination übernommen.  

Dem grossen Thema der nutzerzentrierten KI widmen Sie eine ganze Konferenz, die am 30. September auf dem Campus Marzili der Berner Fachhochschule Wirtschaft stattfindet. Welches ist die zentrale Frage? 

Osterrieder: In den letzten Jahren hat die KI die Art und Weise, wie wir handeln, denken und arbeiten, erheblich verändert. Mit unserer Konferenz wollen wir beleuchten, wie die Finanzpraxis von dieser neuen Technologie profitieren kann und wie sie sie derzeit einsetzt. 

Hadji Misheva: Wir untersuchen, wie wir innovative Technologien, wie eben KI, für den Finanzsektor nutzbar machen können. Alle Vorträge auf der Konferenz befassen sich mit den verschiedenen Hürden bei der umfassenden Implementierung dieser Technologie in der Branche; Hürden wie Erklärbarkeit, algorithmische Verzerrungen sowie der Sicherstellung von Datenqualität und -quantität. 

Was wollen Sie mit der Konferenz erreichen? 

Hadji Misheva: KI ist dabei, eine der grössten Revolutionen in technologiebasierten Anwendungsbereichen auszulösen. Allein für den Finanzsektor hat sie das Potenzial, Geschäftsmodelle, Kredit- und Handelsmärkte sowie Zahlungssysteme grundlegend zu verändern, Effizienzgewinne zu erzielen, die finanzielle Eingliederung zu verbessern, Informationsasymmetrien abzubauen und Dienstleistungs- und Produktangebote zu verbessern. Angesichts dieser Umwälzung sehen wir die Konferenz als eine internationale Plattform für Expert*innen aus Wissenschaft und Industrie, um die neuesten technologischen Fortschritte zu diskutieren und Anwendungsfälle vorzuschlagen, wie KI einige der wichtigsten Herausforderungen in Wirtschaft und Gesellschaft lösen kann. Die einzigartige Mischung ermöglicht es den Teilnehmer*innen, KI-Praktiker*innen an der Spitze der Forschung zu treffen und reale Anwendungen zu erkunden. 

Osterrieder: Es ist eine grosse Ehre, diese Konferenz im siebten Jahr in Folge zu organisieren. Sie hat sich zur führenden Forschungskonferenz über KI im Finanzwesen in der Schweiz entwickelt und bringt Akademiker*innen und Fachleute zusammen.  

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