Neues Wohnen erforschen

19.12.2022 In der Schweiz braucht jede Person 46 Quadratmeter zum Wohnen, in Asien sind es rund vier Mal weniger. Doch platzsparende und umweltschonende Wohnformen werden auch hierzulande immer populärer. Céline Zufferey, Architekturstudentin an der Berner Fachhochschule BFH, nimmt sich dieses Themas an und will in ihrer Masterarbeit zwei aktuelle Trends vereinen.

Tobias Baitsch (rechts) und Stanislas Zimmermann besprechen mit Céline Zufferey die Masterarbeit.
Tobias Baitsch (rechts) und Stanislas Zimmermann besprechen mit Céline Zufferey die Masterarbeit. Bild: Peter Bader

Céline Zufferey hatte eine bewegte Kindheit. Und das im wahrsten Sinn des Wortes: Sie wurde in der Schweiz geboren, zog als Einjährige mit ihrer Familie für vier Jahre nach Kanada und wohnte dann wieder fünf Jahre in der Schweiz. Für vier Jahre kehrte die Familie daraufhin nach Kanada zurück, bevor sie nach Australien zog. Seit 2020 ist die heute 25-jährige Céline Zufferey nun wieder zurück in der Schweiz. Ihr Vater, ursprünglich Elektroingenieur, arbeitete als Projektmanager bei einem internationalen Unternehmen, deshalb war die Familie auf der ganzen Welt zuhause. Für sie sei das manchmal schwierig gewesen, erinnert sie sich. «Ich musste viele Freundinnen und Freunde zurücklassen und mich dann wieder in neue Gruppen Jugendlicher integrieren. Das brauchte viel Energie.»

Gemeinschaftliches Leben auf kleinem Raum

Was das Aufwachsen auf Achse auch noch mit sich brachte: Céline Zufferey lernte verschiedene Wohnformen kennen. In Australien und Kanada, wo die Menschen ausgiebig Platz zum Leben haben, wohnte sie in ausgesprochen grosszügigen Häusern, «in denen es Zimmer gab, die nur dazu da waren, um Besucherinnen und Besucher zu empfangen.» Im College in Australien bewohnte sie dagegen ein kleines Zimmer mit einer Gemeinschaftsküche im Student*innenheim. Auch in Biel lebt sie derzeit in einer Wohngemeinschaft. «Ehrlich gesagt fühle ich mich in solchen Gemeinschaftswohnformen nicht sehr wohl», sagt die Architekturstudentin. «Für meine Masterarbeit habe ich deshalb das Thema gemeinschaftliches Leben auf kleinem Raum gewählt – auch weil ich mir einen persönlichen Zugang dazu erarbeiten will.»

Wohnen in der Schweiz: Mehr als ein Viertel der Umweltbelastungen

Das Thema entspricht einem aktuellen Trend. Oder besser gesagt zwei Trends: den Kleinwohn- und den Gemeinschaftswohnformen. Beiden zugrunde liegt die Sorge um die Umwelt, denn Bauen und Wohnen belasten diese erheblich. Eine Schweizer Wohnung ist im Schnitt etwa 100 Quadratmeter gross. Hinzu kommen oft Keller, Estrich, Garten oder Balkon. Gemäss Bundesamt für Statistik (BfS) leben Schweizer*innen durchschnittlich auf stattlichen 46 Quadratmetern. 1980 waren es noch 36 Quadratmeter. Insgesamt verursacht das Wohnen einen Anteil von mehr als einem Viertel an der Gesamtumweltbelastung der Schweiz. Je grösser die Wohnfläche, desto höher sind die damit verbundenen Emissionen, hat eine Studie des Bundesamts für Umwelt (BAFU) gezeigt.

Wir sollten also auf kleinerem Fuss leben. Gemeinschaftswohnungen, in denen mehrere Familien leben, machen dies möglich. Während jede Familie in solchen Wohnungen einen kleinen Rückzugs- und Schlafraum zur Verfügung hat, werden Küche und Wohnzimmer gemeinsam genutzt. Beispiele solcher Wohnformen sind in den Zürcher Genossenschaftsüberbauungen Hunziker- und Kalkbreite-Areal zu finden oder in der Genossenschaft Warmbächli in Bern. Daneben gibt es die Kleinwohnformen, also Wohneinheiten mit einer Gesamtfläche von höchstens 40 Quadratmetern. Diese Wohneinheiten stehen im Gegensatz zu herkömmlichen Immobilien nicht auf festen Fundamenten, sondern entweder auf Rädern oder Punktfundamenten, sodass sie einfach verschiebbar sind. Die bekannteste Form ist das Tiny House, ein kleines Haus, das in den meisten Fällen optisch einem modernen oder traditionellen Haus nachempfunden ist und höchstens 25 Quadratmeter Platz bietet.

«Alternativer Lebensstil»

Solche alternativen Wohnformen brauchen weniger Platz und ermöglichen verdichtetes Bauen. Oftmals sind die Häuser zudem aus nachhaltigen Rohstoffen wie Holz gebaut und beziehen die Energie aus erneuerbaren Quellen. «Diese Wohnformen stehen aber auch für einen alternativen Lebensstil», sagt Stanislas Zimmermann, Professor für Architektur und Entwurf an der BFH und Studiengangsleiter im Masterstudiengang Architektur. «Man lebt meistens nahe an der Natur, bezahlt weniger Miete und hat sich von vielen materiellen Dingen befreit. Das alles eröffnet den Menschen neue Freiheiten.» Neben seiner Tätigkeit an der BFH betreibt Stanislas Zimmermann in Zürich zusammen mit seiner Partnerin ein eigenes Architekturbüro, mit dem er sich unter anderem auf das Bauen mit Holz und anderen natürlichen Materialien spezialisiert hat. An den alternativen Wohnformen, sagt er, gebe es bei allem Lob auch Kritik: Tiny Houses etwa könnten der weiteren Zersiedelung der Landschaft Vorschub leisten, wenn sie überall wie Pilze aus dem Boden schiessen. Und Gemeinschaftswohnformen senkten zwar den Platzbedarf pro Person, dieser liege aber nach wie vor bei über 30 Quadratmetern.

Asien als Vorbild

Warum also nicht die beiden Wohnformen kombinieren? Als Vorbild dazu dienen asiatische Länder wie Japan oder Südkorea, wo der Platzbedarf pro Person beim Wohnen schon heute etwa vier Mal geringer ist als in der Schweiz. Exemplarisch dafür steht die Micro-Housing-Überbauung Songpa in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Sie verfügt über 14 gestapelte Wohneinheiten à 11 Quadratmeter, die als private Schlaf- und Arbeitszimmer sowie Gemeinschaftsräume genutzt werden. An diesem Punkt treffen sich Céline Zufferey und Stanislas Zimmermann. Zusammen mit Tobias Baitsch, Leiter Fachbereich Architektur an der BFH, betreut Letzterer die Architektur-Studentin bei ihrer Masterarbeit.

In einem ersten Schritt geht es dabei darum, die theoretischen Grundlagen solcher alternativen Wohnformen zu studieren. Bis im Sommer 2023 wird Céline Zufferey dann ein konkretes Bauprojekt für das Gurzelen-Areal in Biel erarbeiten. «In der Schweiz sollte inskünftig vielfältiger gebaut werden, denn auch die Bedürfnisse der Bevölkerung sind vielfältig», sagt sie. Längst nicht mehr alle wollten in klassischen 3.5- und 4.5-Zimmer-Wohnungen leben. «Der BFH ist das Thema Nachhaltigkeit ein grosses Anliegen», ergänzt Stanislas Zimmermann. «Deshalb ist es wichtig, dass wir auch solche alternativen Wohnformen erforschen und herausfinden, welche bei uns möglich sind und welche eher nicht.»

Bild von Seoul
Die Micro-Housing-Überbauung Songpa in Seoul verfügt über 14 gestapelte Wohneinheiten à 11 Quadratmeter. Sie steht für gemeinschaftliches Wohnen auf engem Raum. Bild: ssdarchitecture.com