Immer mehr Opioide bei Bagatellfällen

25.04.2023 Starke Schmerzmittel werden in der Schweiz zunehmend auch bei geringfügigen Verletzungen verschrieben. Das zeigt eine Auswertung der verschriebenen Schmerzmittel bei rund zwei Millionen zu behandelnden Personen mit Brüchen, Prellungen, Verstauchungen oder oberflächliche Verletzungen.

Dass die Verschreibung von Opioiden – also Schmerzmitteln, die opiumartige Wirkstoffe enthalten – in den vergangenen zwanzig Jahren in der Schweiz stark zugenommen hat, ist bekannt. Diese Medikamente werden jedoch nicht nur bei Tumorschmerzen, sondern zunehmend auch bei geringfügigen Verletzungen des Bewegungsapparates verschrieben. Dieser Trend lässt sich aus den Daten der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) herauslesen. 

Insgesamt hat ein Forschungsteam unter der Leitung von Prof. Maria Wertli, Chefärztin Innere Medizin am Kantonsspital Baden (KSB), 1'921'382 Arbeitsunfälle ausgewertet, die in die Rubrik «muskuloskelettale Verletzungen» fallen. Dazu zählen Brüche, Prellungen, Verstauchungen oder oberflächliche Verletzungen. «Wir beobachteten zwischen 2008 und 2018 selbst bei leichten Verletzungen einen überproportionalen Anstieg der Verschreibungen von Metamizol, starken Opioiden und Coxiben», schreiben die Autor*innen in ihrer Studie. 

Nicht wirksamer als andere Schmerzmittel

Das Forschungsteam, in dem Vertreter der Universität Bern, des Inselspitals, der Berner Fachhochschule, der SUVA sowie des KSB mitgewirkt haben, stellte fest, dass die Zunahme von starken Opioiden bei den Verletzungen in unterschiedlichen Schweregraden vergleichbar ist. 

Sowohl bei den leichten (+91,4%) als auch bei den schweren (+88,3%) Verletzungen gab es eine deutliche Zunahme von starken Opioiden. Das ist insofern bedenklich, als Opioide bei muskuloskelettalen Schmerzen nicht wirksamer sind als andere Schmerzmittel, jedoch oft unerwünschte Nebenwirkungen nach sich ziehen. Diese reichen von kognitiven Beeinträchtigungen über Übelkeit und Hyperalgesie (Schmerzüberempfindlichkeit) bis hin zur Gefahr der Opioidabhängigkeit. 

Regionale Unterschiede in der Verschreibungspraxis

Bemerkenswert ist, dass starke Opioide und Metamizol vor allem in der Deutschschweiz und weniger stark in der französisch- und italienischsprachigen Schweiz verwendet werden. Als Grund für den breiteren Einsatz von Opioiden nennen die Studienautor*innen eine «liberalere Verschreibungspraxis». «Dies steht im Widerspruch zu aktuellen, evidenzbasierten Praxisempfehlungen», sagt Prof. Maria Wertli. «Es gilt daher, die Ärzteschaft und die politischen Entscheidungsträger*innen zu sensibilisieren, damit diese bedenkliche Entwicklung gestoppt wird.» 

Im KSB beispielsweise wird das ärztliche Fachpersonal an interdisziplinären Besprechungen sowie an Weiterbildungskursen konsequent auf die Praxisempfehlungen respektive auf die Opioide-Problematik aufmerksam gemacht. Zudem wird der zu behandelnden Person beim Spitalaustritt erklärt, wann sie ihre Dosis an Opioiden reduzieren oder das Medikament ganz absetzen kann. 

Opioide bergen die Gefahr des Missbrauchs und der Abhängigkeitsentwicklung.
Opioide bergen die Gefahr des Missbrauchs und der Abhängigkeitsentwicklung.

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