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Dem Urvogel auf der Spur

25.11.2025 Das Auerhuhn ist ein Gradmesser für den Zustand der Bergwälder – doch es wird immer seltener. Forschende suchen nach seinen Spuren. Eine Reportage aus dem Bergwald.

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Auerhuhn ist stark gefährdet. Seine Bestände nehmen seit Jahrzehnten ab – durch Lebensraumverlust, Störungen, Klimaeinflüsse und natürliche Feinde. Als Schirmart steht sein Verschwinden für ein generelles Ungleichgewicht im Bergwald.

  • Das Auerhuhn lässt sich selten direkt beobachten. Darum sammelt das Monitoring-Team im Winter Kot und Federn, um im Labor per DNA-Analyse herauszufinden, wie viele Tiere noch existieren, wie sie verwandt sind und wie sich die Populationen bewegen.

  • Die Forschenden betreten die Lebensräume nur minimal, um keine zusätzlichen Störungen auszulösen. Ziel ist, Lebensräume zu verstehen und zu verbessern – etwa durch angepasstes Waldbewirtschaften oder die Lenkung des Tourismus.

«Das könnte der Schlafbaum eines Auerhahns sein», sagt Michael Grüter und zeigt auf einen alten knorrigen Baum inmitten einer Moorlandschaft im Berner Oberland. Tagsüber sei das Auerhuhn meist auf der Suche nach Nahrung. Nachts ziehe es sich auf Bäume zurück – hoch hinauf, wo es Schutz vor Feinden finde.

Der wissenschaftliche Mitarbeiter der BFH-HAFL und Leiter des Auerhuhn-Monitoring-Projektes im Berner Oberland und in Teilen des Kantons Luzern, erklärt: «Meist sind das grössere Nadelbäume, wie Föhren, umgeben von einigen anderen Bäumen. Dort fühlt sich das Raufusshuhn am sichersten». Das Auerhuhn stelle hohe Ansprüche an seinen Lebensraum, sagt der Waldwissenschaftler.

Der Auerhahn in voller Balzpracht – ein imposanter Anblick. Hier in präparierter Form zu sehen.
Der Auerhahn in voller Balzpracht – ein imposanter Anblick. Hier in präparierter Form zu sehen.

Der Urvogel in Bedrängnis

Das Auerhuhn ist der grösste Vertreter der Raufusshühner. Bis zu 90 Zentimeter gross und fast fünf Kilogramm schwer, ist der Hahn mit seinem fächerförmigen Schwanz und den leuchtend roten «Rosen» über den Augen eine imposante Erscheinung.

Es gilt als Symbol unberührter Bergwälder. Die Hennen sind kleiner, braun gesprenkelt und perfekt getarnt. Doch der «Urvogel» ist in Gefahr. In der Schweiz wie in ganz Mitteleuropa sind die Bestände in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen wie die Schweizerische Vogelwarte schreibt. Lebensraumverlust durch veränderte Waldbewirtschaftung, Störungen durch den Menschen, Fressfeinde sowie das veränderte Klima setzen dem scheuen Vogel zu.

Wo das Auerhuhn verschwindet, ist oft auch der Lebensraum aus dem Gleichgewicht geraten – denn das Auerhuhn ist eine sogenannte Schirmart. Heisst: Wenn man seinen Lebensraum schützt, also lichte, halboffene, strukturreiche Wälder mit Heidelbeeren und Altholz fördert, schafft man auch gute Bedingungen für andere Waldbewohner – etwa Waldschnepfe, Sperlingskauz oder Dreizehenspecht. Das Monitoring-Projekt soll auch helfen, die Lebensräume des Auerhuhns besser zu verstehen und gezielt zu schützen.

Trotz all dieser Anpassungen ist das Überleben des Auerhuhns gefährdet. Die Mortalität ist hoch.

  • Michael Grüter wissenschaftlicher Mitarbeiter

Ein Leben im Rhythmus der Jahreszeiten

«Hier, wo wir gerade stehen, ist idealer Auerhuhn-Lebensraum», so Grüter, der mitten in einem Teppich aus Heidelbeerstauden steht. Diese Pflanzen sind nicht nur Nahrungsquelle, sondern bieten auch Deckungsmöglichkeiten.

Im Sommer ernährt sich das Auerhuhn von Blätter, Blüten, Beeren, im Herbst von Kräutern und Samen, im Winter schliesslich, bleibt nur karge Kost mit Nadeln und Knospen. Diese Anpassung an die Saison ist überlebenswichtig. Das Auerhuhn ist aufgrund seines dichten Federkleides, den Hornstiften an den Zehen, die im Winter als Schneeschuhe fungieren sowie der Möglichkeit, den Körper in einen Energiesparmodus zu versetzen, gut an den Winter angepasst.

«Trotz all dieser Anpassungen ist das Überleben des Auerhuhns gefährdet. Die Mortalität ist hoch», sagt Michael Grüter. Füchse, Marder, Dachse oder Rabenvögel plündern Nester und machen Jagd auf Küken. Erwachsene Tiere fallen Fuchs, Marder sowie Greifvögeln wie Uhu, Habicht oder Steinadler zum Opfer. Weiter problematisch aber sind die Menschen: Skitourengeher und Schneeschuhwanderer können ganze Reviere unbewohnbar machen. Unsere Gespräche werden gleich etwas leiser…

Michael Grüter untersucht den Boden unterhalb eines Auerhuhn-Schlafbaums.
Michael Grüter untersucht den Boden unterhalb eines Auerhuhn-Schlafbaums.

Spurensuche im Winterwald

Wie viele Auerhühner im Berner Oberland und in Teilen des angrenzenden Kantons Luzern noch leben, weiss gemäss Grüter niemand genau. Direkte Beobachtungen sind selten – der Vogel ist scheu und lebt zurückgezogen – auch wir wissen, dass wir trotz der vielen alten Föhren, Heidelbeeren und des optimalen Geländes kaum einen Blick erhaschen werden.

Wir bewegen uns nur am Rande seines Lebensraums. Deshalb setzt das Projekt Auerhuhn-Monitoring Bern auf eine indirekte Methode: genetische Spurenanalyse. Im Winter sind – Forschende, aber auch Försterinnen und Förster, Wildhüter sowie freiwillige Helferinnen und Helfer unterwegs. Sie suchen auf Schneeschuhen Waldgebiete nach Kot und Federn ab, ausgestattet mit GPS-Geräten, Sammelröhrchen für Kotproben und Begleitblättern.

Forschung in Zusammenarbeit

Im Projekt arbeitet die BFH-HAFL eng mit verschiedenen Projektpartnern zusammen. Geldgeber: Amt für Wald und Naturgefahren des Kantons Bern, Jagdinspektorat Bern und zu kleinen Teilen Amt für Landwirtschaft und Wald des Kantons Luzern. Weitere Projektpartner: Schweizerische Vogelwarte, Universität Zürich, Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung Berlin.

Die Arbeit folgt einem genauen Muster, um sicherzugehen, dass dabei kein Bereich übersehen wird. «Am besten sichtbar ist der Kot drei bis fünf Tage nach einem Schneefall», erklärt Grüter. «Dann ist der Schnee gefestigt, die Spuren sind frisch und gut erkennbar.» Sobald Kot, in der Fachsprache «Losung» genannt, entdeckt werden, wird er in kleine Röhrchen gefüllt, beschriftet und dokumentiert.

Zurück im Tal werden die Proben sofort eingefroren. «Der Schnee wirkt ebenfalls wie ein Gefrierschrank», sagt Grüter. «Er schützt die DNA, die im Kot enthalten ist. Im Labor können wir bestimmen, von welcher Art sie stammt – ob von einem Auer- oder Birkhuhn, und sogar von welchem Individuum.» Die genetische Analyse liefert wertvolle Informationen: Wie viele Tiere gibt es in einem Gebiet? Wie sind sie miteinander verwandt? Gibt es Austausch zwischen den Populationen – oder leben sie voneinander isoliert?

Eine grosse Herausforderung solcher Monitoring-Projekte ist, dass wir die bereits durch den Menschen gestörten Tiere nicht noch mehr stören.

  • Michael Grüter wissenschaftlicher Mitarbeiter

Zwischen Forschung und Verantwortung

«Eine grosse Herausforderung solcher Monitoring-Projekte ist, dass wir die bereits durch den Menschen gestörten Tiere nicht noch mehr stören», sagt Michael Grüter und blickt auf die umgebende Moorlandschaft, die sich im Herbstlicht von seiner schönsten Seite zeigt.

Die Feldmitarbeiterinnen und -mitarbeiter betreten deshalb die Untersuchungsgebiete nur einmal pro Winter. Forschung bedeutet hier immer auch Rücksichtnahme. Ziel sei nicht bloss wissenschaftliche Erkenntnis, sondern praktischer Naturschutz. «Wir wollen verstehen, wo die Tiere noch vorkommen, wie sie sich bewegen und auf welche Lebensräume sie angewiesen sind», erklärt Grüter. «Nur so können wir gezielte Massnahmen entwickeln – wie etwa im Lebensraummanagement oder bei der Lenkung des Tourismus.»

Noch lässt sich das Auerhuhn derzeit im Berner Oberland finden – hoch oben, wo Föhren und Heidelbeersträucher wachsen. Seine Zukunft ist ungewiss. Doch beim Verlassen des Waldes steht er plötzlich da. Ein grosser Auerhahn! Michael Grüter grinst – er hat ein präpariertes Exemplar mitgebracht und in seinem natürlichen Lebensraum platziert. Das Brustgefieder schimmert türkis-grünlich im Licht der Sonne, das durch die Bäume scheint. Und obwohl er nicht mehr am Leben ist, wirkt der Vogel imposant. Ja, der Urvogel hat etwas Majestätisches. Und es wäre traurig, wäre er eines Tages nicht mehr da.

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Fachgebiet: Agronomie + Wald