"Kreativität und mechanische Raffinesse"

23.10.2019 „Art without engineering is dreaming. Engineering without art is calculating”, so Hightech-Nomade Steven K. Roberts. Das hat was, deshalb nutzte die Berner Fachhochschule (BFH) die Chance, eine Abschlussarbeit in Maschinentechnik mit einem Kunstwerk für die Rehaklinik in Bellikon aufzupeppen. Im Auftrag des Künstlerpaares Sabina Lang und Daniel Baumann (L/B) entwickelten Studenten im Abschlussjahr - Lukas Heiniger und Tobias Riesen - die Aufhängung und Antrieb von elf vertikal hängenden Riesenspiralen.

Doch neu ist diese Verbindung von Kunst und Maschinentechnik nicht. Erinnern wir uns an Al Jazari, der Mann aus dem Zweistromland. Dieses Genie der Automation und Vater der Robotik erfand im ausgehenden 12. Jahrhundert Innovationen zum Wasserschöpfen, ausgeklügelte Brunnen, mechanische Objekte und Vermessungsgeräte. Aber auch das Wasserbassin mit sowas wie Toilettenspülung, wobei das Wasser aus dem Schnabel eines kunstvollen Pfaus floss, oder die Elefantenuhr, ein Automat in Form eines bunt geschmückten Elefanten, der mit einer Wasseruhr die Zeit anzeigte.

Elf Spiralen als Knacknuss

Doch zurück ins 21. Jahrhundert. Die Künstler Sabina Lang und Daniel Baumann hatten im Auftrag der SUVA das Projekt, für den hohen Lichthof der Rehaklinik Bellikon ein Kunstwerk aus elf vertikal hängenden Riesenspiralen aus glasfaserverstärktem Kunststoff zu entwerfen. Sie drehen sich, durch gesteuerte Elektromotoren, eimal Minute um ihr eigene Achse. Jede Spirale ist 7 m lang, misst 62 cm im Durchmesser und ist 140 kg schwer, und sollte an der Decke der Eingangshalle befestigt werden. Und dies so, dass sich die Spiralen gegenseitig nicht berühren können. Das heisst, dass der Sicherheit gegen das Herabfallen oberste Priorität zukommt. Die beiden BFH-Studenten Lukas Heiniger und Tobias Riesen krempelten die Ärmel hoch: Zuerst entstand ein Funktionsprototyp mit Antrieb und der Aufhängung einer Spirale. „Ein Elektromotor mit angeflanschtem Getriebe erzeugt die Antriebsenergie und gibt diese mit Kardangelenkwellen und Winkelgetriebe an die Spiralen weiter“, erklärt Lukas Heiniger. „Bei Berührung einer Spirale koppelt diese aus, wobei eine winkelsynchron wiedereinrastende Sicherheitskupplung zum Einsatz kommt.“

Gemeinsam wurden Festigkeitsnachweise realisiert und die Dokumente für die Herstellung der Baugruppen erstellt. Die theoretischen Berechnungen und Funktionen wurden durch Tests am Prototyp verifiziert. Dank den Testergebnissen war es möglich, die Baugruppen insofern zu optimieren, dass die Freigabe für die Serienherstellung möglich war. Dann erfolgte die Montage aller Aufhängungen und des Antriebs: „Eine Vormontageanleitung ermöglichte den korrekten Zusammenbau der Baugruppen“, orientiert Tobias Riesen. Es folgte die Erstellung der Betriebs-, Inspektions- und Wartungsanleitungen für das Kunstwerk. Diese Dokumentation ging später bei der Übergabe des Kunstwerks an die Rehaklinik Bellikon an das zuständige Personal, denn das Einhalten dieser Anleitungen ist erforderlich, um den sicheren Betrieb des Kunstwerks über 25 Jahre sicherzustellen. Doch bis es soweit war, dass man in der Eingangshalle die elf als Helix gewickelten Bänder aus glasfaserverstärktem Kunststoff von 7.5 m Länge und 60 cm Breite über eine totale Länge von 35 m an der Decke der zentralen Lichtfuge bestaunen konnte, stellten sich einige Denkaufgaben, zumal sich ja die Spiralen langsam und synchron um die eigene Achse drehen sollten.

Der Weg zum Erfolg mit Steinen gepflastert

Lukas Heiniger erinnert sich: „Die zentrale Frage war, wie man 25 Jahre Dauerbetrieb garantieren kann, ohne Gefährdung der Personensicherheit. Die kritischen Stellen der Konstruktion bezüglich Lebensdauer, die Montage und die statische Sicherheit gehörten zu den Schwerpunkten.“ Dazu musste man im Hochfahrvorgang sowie im Betrieb des Kunstwerks jene Zustände erkennen, welche die Sicherheit gefährdenden könnten und klären, ob die Montage-, Inspektions- und Wartungsarbeiten nach den mitgelieferten Dokumenten durchführbar waren. Dazu brauchte es ein Pflichtenheft, das die Grundbedingungen zwischen Auftragnehmer und Auftraggeber definiert, sämtliche Anforderungen und Eigenschaften schriftlich festhält und vom Auftraggeber unterschrieben wurde.

Das Aufhängen sowie der Antrieb verlangten ziemlich sportliche Aktionen. Nach eingehender Recherche erstellte man einen morphologischen Kasten, woraus vier Konzeptvarianten entstanden. Diese bewertete man mit technischen und wirtschaftlichen Kriterien und erzeugte daraus ein Stärkediagramm. „Das System besteht aus einem Zentralantrieb sowie den elf Aufhängungen“, erklärt Tobias Riesen. „Jede dient als Befestigung einer Spirale. Über die auf der Aufhängung verbauten Komponenten wird die Rotationsenergie des Zentralantriebs an die Spiralen weitergegeben. Die Aufhängungen sind mit Kardangelenkwellen in Serie geschaltet.“

Der Getriebemotor für den Antrieb befindet sich auf einer Grundplatte, die mit Konuslager und Haltestäben an der Deckplatte befestigt ist. Die Konuslager sollen die Schwingungen dämpfen. Die Deckplatte wird mit Schraubenverbindung an der Decke fixiert. Die Antriebsenergie kann vom Getriebemotor mit Gelenkwellen an die Aufhängungen und somit an die Spiralen weitergegeben werden.

"Aufhängen" ist nur die erste Hürde

Ist dann mal das ganze Kunstwerk beisammen, heisst es, die einzelnen Spiralen durch Fachleute zu montieren. Für die Installationsanleitungen sind vor allem Sicherheitssymbole und Hinweise nötig. Es wird dringend empfohlen, die Einschaltvorgänge des Kunstwerkes nach Möglichkeit zu minimieren. Wird mehrmals am Tag  ein- und ausgeschaltet, erhöht dies den Verschleiss des Systems und kann die Lebensdauer beeinträchtigen. Der Asynchronmotor ist recht sensibel; er darf erst nach 10 Minuten wieder eingeschaltet werden, sonst besteht die Gefahr einer thermischen Überlastung des Motors

Doch wie wirkt sich die Inbetriebnahme des Kunstwerkes auf dieses aus? Die verwendeten Gelenkwellen haben eine ziemliche Länge und eine geringe Wandstärke, womit sie anfällig auf Torsions- und Verbiegungsspannungen sind. „Fährt man das System an, werden die Gelenkwellen nach dem Prinzip der Torsionsfedern gespannt und verursachen damit Torsionsschwingungen. Deshalb mussten wir den Antriebsstrang mit den Spiralen auf Eigenfrequenzen prüfen“, orientiert Tobias Riesen. „Durch das Anregen des Systems mit Resonanzfrequenzen dürfte es zu einem Aufschwingen des Gesamtsystems kommen, was Sicherheitsrisiken provozieren kann. Die Tests mit dem Funktionsprototyp bestätigten den Torsionseffekt. Also beschlossen wir einen sanften Anlauf. Damit können wir das System langsam hochfahren und die Torsionsschwingungen reduzieren.“ Berechnungen und Simulationen zu Torsions- und Biegespannungen zeigten, dass die Eigenfrequenzen des Systems in einem unkritischen Bereich sind.

Der Knackpunkt liegt im Detail

Tritt der Fall ein, dass ein Getriebe blockiert, fällt vermutlich die jeweilige Gelenkwelle aus: Sie zieht sich zusammen und bewirkt eine Trennung im Bereich des Längenausgleichs. Dies würde zum Herunterfallen der Gelenkwellen auf die Deckenpaneele führen. Also wurden Sicherungsseile angebracht, welche die Gelenkwellen notfalls auffangen. Sollte eine Spirale missbräuchlich berührt werden, verhindert eine Sicherheitskupplung, dass sie weiterdreht. Erst wenn keine Belastung mehr an der Spirale anliegt, rastet die Sicherheitskupplung in der voreingestellten Position erneut ein; die Spirale kann wieder ihre Drehbewegung aufnehmen. Doch noch ist das Werk nicht getan, denn damit man das Kunstwerk richtig betreiben kann, mussten die beiden Studierenden – in Absprache mit den Lieferanten - Inspektions-, Wartungs- und Betriebsanleitungen erstellen. Sie enthalten Informationen zu den intervallmässig durchzuführenden Arbeiten sowie Kontrollblätter zur Bestätigung termingerechter Inspektion und Wartung.

Die BFH-Dozenten für Maschinenbau ziehen eine positive Bilanz; „Die Diplomanden gingen mit Umsicht und Systematik ans Werk, dachten an alle möglichen Fehlfunktionen sowie Risiken und schlugen Massnahmen zur Minimierung vor“, freut sich Christian Koblet, Kollege Toni Glaser stimmt zu: „Ihre Bachelor Thesis erhielt die Bestnote: Sie lieferten eine vollständige Problemlösung mit Erstellen aller Fertigungsunterlagen. Zudem erfüllten sie alle extremen Sicherheitsansprüche, denen ein bewegliches Kunstwerk im halb-öffentlichen Raum genügen muss!“

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Die drehenden Spiralen, Kunstwerk in der Rehaklinik Bellikon.
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Das System besteht aus dem Zentralantrieb und den elf aufgehängten Spiralen. Über die auf der Aufhängung verbauten Komponenten wird die Energie des Zentralantriebs an die Spiralen weitergegeben.
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Der Getriebemotor ist auf einer Grundplatte, die mit Konuslagern und Haltestäben an der Deckplatte befestigt ist. Die Konuslager dämpfen die Schwingungen. Die Deckplatte ist mit Schrauben an der Decke befestigt. Der Getriebemotor gibt die Antriebsenergie mit Gelenkwellen an die Aufhängungen und damit an die Spiralen weitergegeben.
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Der Getriebemotor wiegt 46 kg. Die Montage der Aufhängungen und des Antriebs wird mit dem Deckengerüst vorgenommen. Dazu werden die Baugruppen in die Höhe gehoben und an der Betondecke befestigt.

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