Mediation: Herausfordernde Herzensangelegenheiten und Zukunftspläne

04.05.2022 Im Bereich Mediation und Konfliktmanagement sind zwei neue Dozentinnen aktiv. Die Leiterin des Instituts Beratung, Mediation und Supervision, Prof. Dr. Anja Ostendorp, hat das neue Team nach seinen Plänen befragt.

Anja Ostendorp: Was war für euch so ein Schlüsselmoment, in dem ihr gedacht habt, Mediation ist es – die bleibt in meinem Leben?

Tanja Lutz: Für mich liegt der Moment schon etwas weiter zurück, als ich auf dem Sozialdienst mit vielen hochstrittigen Elternkonflikten konfrontiert war. Die Frage, welche Lösung ich ihnen anbieten kann, hat mich zur Mediation geführt. Die Mediationskompetenzen gaben mir das Gefühl, mit diesen Eltern endlich richtig umgehen zu können. Zu merken, das fruchtet, die Eltern können wieder in den Austausch kommen, hat mich bestärkt, etwas Sinnvolles und Gutes gelernt zu haben. Das ist meine Freude an der Mediation und gleichzeitig mein Ansporn, eine Mediation durchzuführen.

Daniela Oppliger: Die Beschäftigung mit der Mediation war für mich stark Persönlichkeitsentwicklung. Das ist für mich der Punkt, der mich nicht loslässt und mich motiviert, immer weiterzumachen. Dazu gehören die Erkenntnisse, wie ich persönlich mit Konflikten umgehen kann. Zu erfahren, wie ich das in meiner Kindheit und Familie gelernt habe und zu erkennen, dass es auch ganz anders geht und ich dann auch andere Resultate bekomme.

Kathrin Jehle: Da kann ich gerade anschliessen. Für mich ist es ein Moment in der Mediationsausbildung gewesen: «Ach was, ich darf Bedürfnisse haben! Ich habe Bedürfnisse! Was sind denn meine Bedürfnisse?» Also, so ganz grundsätzliche Erkenntnisse für mich selbst. Ich merkte: Aha, jetzt fühle ich mich also angegriffen, aber ich nehme einen Konflikt nicht mehr als Bedrohung wahr. Im Gegenteil, der Abstand zwischen Reiz und Reaktion eröffnet mir ein grösseres Handlungsspektrum. 

Anja Ostendorp: Für euch alle stand also die Selbsterkenntnis vor der Berufung. Das ist spannend. In aller Kürze, was sind eure Ideen für die Zukunft?

Tanja Lutz: Eine Vision für die Mediation an der BFH wäre für mich ein Kompetenzzentrum im umfassenden Sinne aufzubauen. Das, was wir in den Weiterbildungen vermitteln, durch eigene Forschung wissenschaftlich zu fundieren. Gleichzeitig möchte ich die Mediation stark mit der Praxis verbunden lassen. Wir sollten mit niederschwelligen Angeboten eine noch grössere Nähe zur Praxis schaffen.

Kathrin Jehle: Was macht es eigentlich aus, dass Mediation funktioniert? Das beschäftigt mich immer wieder, auch auf der Basis von neuro-psychologischen Ansätzen. Das Stichwort «Achtsamkeit» möchte ich zudem als wichtige Grundlage einbringen, explizit auch in die Weiterbildung. Ein Themengebiet, das ich mir gerade erarbeite, sind Entwicklungstraumata. Also, Geschichten, die uns begleiten, ohne dass sie uns stark beeinträchtigen, für die wir aber in einer Mediation sensibel sein sollten. Wie können wir diese Themen an der BFH miteinander verbinden und wie grenzen wir uns gleichzeitig ab. Das möchte ich diskutieren. In diese Diskussion eingebunden wünsche ich mir eine offene Community, damit diese das für sich erschliesst. Denn ich habe die Hypothese, dass gute Mediator*innen über die Profession hinausgehende Kompetenzen haben.

Daniela Oppliger: Mir kommen zwei Bereiche in den Sinn. Das erste Thema aufgrund meiner Erfahrungen im Diskriminierungsschutz: Mediation ist schwierig, wenn die Machthierarchie gross ist. Zu diesem Komplex möchte ich gern bestehende und neue Methoden genauer erforschen, publizieren und lehren. Im gleichen Zusammenhang finde ich Kollektivtraumata interessant. Da merke ich: im Grossen funktioniert der Mechanismus sehr ähnlich wie im Kleinen. Besonders aufgefallen ist mir in unserer Gesellschaft der Triggerpunkt Rassismus beziehungsweise, meine Erfahrung ist, dass die Aussage: “Das ist rassistisch”, das Gegenüber sehr schnell auf 180 bringt und eine sachliche Diskussion verunmöglicht. Spannend ist hier die Frage, wie wir dieses Thema gesamtgesellschaftlich angehen und einen angemessenen Umgang damit finden.

Anja Ostendorp: Vielen Dank für diesen anregenden Austausch. Ich freue mich sehr auf unsere gemeinsame Zeit und eine fruchtbare Zusammenarbeit. Wir werden sicher schon bald wieder Gelegenheit finden, diese Themen noch zu vertiefen.

Tanja Lutz, Daniela Oppliger und Kathrin Jehle
Tanja Lutz, Daniela Oppliger und Kathrin Jehle (v.l.n.r.)

Die drei Dozentinnen für Mediation und Konfliktmanagement

Kathrin Jehle ist Mediatorin und im Vorstand des Schweizerischen Dachverbands für Mediation tätig. Aus der Pflege kommend hat sie Soziologie und Pädagogik studiert. Sie interessiert sich insbesondere für Konflikte am Arbeitsplatz und die Mediation in Organisationen. Sie sagt dazu: «Wir verbringen so viel Zeit am Arbeitsplatz, wo die Gefahr besteht, nur als Rolle oder Funktion wahrgenommen zu werden. Ich fände es sehr wertvoll, wenn wir auf einer sachlichen Ebene auch Gefühle und Bedürfnisse einbringen könnten. Wenn wir diese ausblenden, kann es zu unguten Situationen kommen.»

Daniela Oppliger ist ursprünglich Primarlehrerin und hat Soziologie, Politologie, Umweltwissenschaften und African Studies studiert. In ihrer langjährigen Tätigkeit im Integrationsbereich hat sie sich auf interkulturelle Konflikte und deren Klärung spezialisiert.  Sie ist auch als selbstständige Mediatorin für hochstrittige Familienkonflikte tätig. Darüber hinaus treibt sie auch das privat initiierte Dialogprojekt exCHANGE voran, dass Begegnungen auf Augenhöhe zwischen Menschen unterschiedlicher Couleur fördert.

Tanja Lutz ist vielen schon bekannt. Sie kommt aus der Sozialen Arbeit. Das hat sie in Fribourg studiert und mit einem Master in Mediation an der BFH ergänzt. Sie hat in ihren Tätigkeiten immer den Fokus «Kind» beibehalten: im Sozialdienst beschäftigten sie Erziehungsbeistandsschaften, bei der stationären Kinder- und Jugendhilfe ging es um Kinder in Notsituationen und im Inselspital um kranke Kinder. Deshalb ist ihr Fokus an der BFH folgerichtig die Familienmediation, insbesondere hochstrittige Fälle. Sie ist Co-Präsidentin des Schweizerischen Vereins für Familienmediation und auch ihr Forschungsinteresse und ihre Mediationspraxis liegt bei Hochstrittigkeit und Mediation im Kindesschutz.

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