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Vom SAC-Hüttenalltag zum Alpenmaster
02.03.2022 Als Sina Rellstab realisierte, dass ihr Masterstudium anstatt in Bern im Engadiner Chapella startet, war für sie klar: Sie wandert von ihrem Sommerjob auf der Kesch-Hütte zum Master. Eine Wanderung zwischen zwei Welten.
Zwischen Davos und dem Albulapass, auf der Fuorcla Funtauna: Da liegt sie, die Kesch-Hütte und belohnt ihre Besucher*innen mit einer herrlichen Aussicht, Blechkuchen oder einem feinen Znacht. Hier, auf 2625 Metern über Meer, verbringt Sina Rellstab die Sommersaison 2021. In der Bewirtschaftung der Hütte stecke viel Fleiss, meint die 26-Jährige. Sie gibt Einblick in die vielfältigen Aufgaben: «Es gibt zwei Arbeitsbereiche: Gästebetreuung sowie das Putzen der Hütte oder Kochen».
Frühstück an frischer Bergluft als Belohnung
Der Hüttenalltag ist getaktet, die Tage sind lang. Treffen die ersten Tagesgäste ein, ist das Team schon lange auf den Beinen. Um 6 Uhr wird eingefeuert, das Frühstück vorbereitet und serviert. «Bei Sonnenschein konnten wir danach selbst an der frischen Bergluft frühstücken. Das war für mich das Tages-Highlight», erzählt Sina. Schon geht es weiter: Das Küchenteam wäscht ab, bereitet das Mis-en-Place für Mittag- und Abendessen vor, backt und kocht. Während aus der Küche der Duft von frischgebackenem Kuchen strömt, reinigt das Gästeteam die Hütte. Die Tagesgäste werden bedient und am Nachmittag die Übernachtungs-Gäste empfangen. Um 19 Uhr ist Abendservice. Sina schmunzelt: «Dann folgt der Abwasch. Abzuwaschen gibt es eigentlich immer etwas.» Schon ist es 22 Uhr und Bettzeit.
Das Arbeiten an diesem einzigartigen Ort und die Möglichkeit, den Gästen ein besonderes Erlebnis zu bieten, haben es Sina angetan. Trotzdem zieht es sie weiter: Sie hat sich vor der Sommersaison für den Master in Regionalmanagement in Gebirgsräumen – kurz Alpenmaster, an der Berner Fachhochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften (BFH-HAFL) angemeldet. Als es darum ging, bis wann sie auf der Hütte bleiben kann, wurde ihr bewusst, dass der Master in Chapella im Oberengadin startet – einem Ausgangspunkt der Kesch-Hütte. «Da war für mich klar, dass ich direkt dahinwandere. Ich fand die Vorstellung schön, mehrere Stunden für mich allein zu haben.», sagt sie.
Grosse Vorfreude aufs Studium
Am 4. Oktober verlässt Sina die Kesch-Hütte und wandert durch das Val dal Tschüvel und das Val Funtauna hinunter bis zur Alp Funtauna. Nach der Zeit in der Hütte, wo die eigenen Bedürfnisse zu kurz kamen, schätzt sie die Bewegung und die Ruhe, um sich auf die neue Herausforderung einzustellen. Die Stimmung ist an diesem Morgen einzigartig. Es nieselt und graue Wolken hängen in den Bergspitzen, doch die Sonne scheint immer wieder durch. Die Luft ist frisch und feucht. Die künftige Masterstudentin hat sich und besonders ihr Plakat, das sie für das Studium vorbereitet hat, dick eingepackt. «Es war fast etwas episch. Wer kann schon von sich behaupten, dass er zu Fuss vom Sommerjob zum Masterstudium gewandert ist?»
Bei der Alp Funtauna erinnert sie sich an den Hirten, der während der drei Wochen, in denen er die Kühe auf der Alp kontrollierte, jeden Tag die Kesch-Hütte besuchte. Bereits seit einigen Wochen steht die Alphütte leer. Sie fügt sich malerisch in die Herbstfarben der umliegenden Hügel ein. «Sobald ich in den Wald kam und es trocken zu bleiben schien, zog ich meine Regenhose, meine dicken Bergschuhe und meine Daunenjacke aus und befestigte diese noch irgendwo am bereits prall vollen Rucksack.»
Sina blickt zurück. Die Sommersaison bleibt ihr in guter Erinnerung. Ab jetzt trägt sie jeder Schritt näher zum Studium. Während sie das Val Susauna hinabsteigt, wird die Vorfreude immer grösser. «Ich realisierte, dass ein neuer Abschnitt beginnt und dass ich mich sehr darauf freue: Auf neue Bekanntschaften, neues Wissen und neue Herausforderungen. Und dass ich eine Richtung einschlage, die mir sehr entspricht.» Der Feldweg fügt sich dem Lauf des Vallember: «Ein wunderschöner und spektakulärer Bach», meint Sina. Ein Gedenkstein erinnert an den letzten Bärenjäger des Tals. Besonders habe ihr das Dörfchen Susauna mit den kleinen Häuschen und der Kirche gefallen. Einst wurden hier Säumer, die das Tal durchquerten, beherbergt. «Ich wusste nicht so recht, ob ich schon am Ziel bin oder mich beeilen muss, weil es noch weit ist.»
Vollgepacktes und lehrreiches Programm
Nach der ruhigen Wanderung kommt Sina am Mittag in Chapella an – mitten im Studienalltag. Mit zwölf anderen Studierenden verbringt sie zwei Wochen im Bildungs- und Forschungshaus Gebirgswald, dem Ospiz Chapella. Es dient der BFH-HAFL als Basis für Exkursionen. Das Programm ist vollgepackt, aber lehrreich. Die Besuche der verschiedenen Betriebe oder die Exkursionen in den Wald haben in Sina die Neugier geweckt, noch mehr über die vielfältigen Themen in Berggebieten zu erfahren. «Ich begann, Systeme, Wertschöpfungsketten, Abläufe und Abhängigkeiten zu verstehen. Durch die Gespräche mit Bauern und Bäuerinnen, Förster und weiteren Akteuren erfuhr ich aus erster Hand, was sie aktuell beschäftigt.», berichtet sie. Ausserdem habe sie den Austausch mit den Mitstudierenden sehr geschätzt: «Die Diskussionen während dem Nachtessen, einer Wanderung oder im Auto waren sehr spannend. Alle kommen aus anderen Bereichen, haben anderes Wissen und Interessen.»
«Alle müssen am selben Strick ziehen»
Ob als ehemalige Mitarbeiterin der Kesch-Hütte, als bald eidgenössisch diplomierte Schneesportlehrerin oder Studentin: Sina kennt den Alpenraum aus verschiedenen Perspektiven. Ihre Leidenschaft, ein tiefes Verständnis für Berggebiete aufzubauen, ist spürbar: «Mir gefällt die Kombination aus Themen und Skills, die wir im Alpenmaster erlernen. Es ist genau das, was in der Realität in Berggebieten vorzufinden ist. Um langfristige Lösungen für Berggebiete zu finden, braucht es die Zusammenarbeit und das Verständnis aller Akteure: Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Tourismus, Gesellschaft und Politik.» Der Austausch mit Expert*innen und erfahrenen Dozierenden ermöglicht den Studierenden neue Denk- und Vorgehensweisen. «Ich habe das Gefühl, am Puls der Zeit zu studieren», sagt Sina. «Gleichzeitig schätze ich sehr, dass das Programm viel Raum lässt, seinen eigenen Interessen in Projektarbeiten zu vertiefen.»
«Es kommt wie es kommen muss»
Wo die Reise der Wädenswilerin nach dem Studium hingeht? Klar - in die Berge: «Mit dem Umzug ins Bündnerland habe ich bereits einen Schritt Richtung Berggebiet gemacht. Zurzeit bin ich als Skilehrerin tätig, mit dem Ziel, die Berufsprüfung als Schneesportlehrerin in diesem Jahr zu absolvieren.» Im April beginne sie zudem als Mitarbeiterin Kommunikation, Direktvermarktung und Agrotourismus beim Bündner Bauernverband. «Diese Stelle ziehe ich auch längerfristig in Betracht, denn die Philosophie des BBV entspricht mir sehr und ich kann in ihr meine bisherigen Erfahrungen einbringen.» Ein Traum von ihr sei es, nebenberuflich einmal im primären Sektor tätig zu sein und selbst Produkte herzustellen. «In welcher Form auch immer. Ich durfte bisher oft die Erfahrung machen, dass alles kommt, wie es kommen muss.»
Der «Alpenmaster»
Das Master-Studium für Profis in Regionalentwicklung und Berggebieten: Schärfen Sie Ihre methodischen Fähigkeiten und Ihr Fachwissen in Wald- oder Agrarwissenschaften mit Fokus auf Gebirgsräumen und erweitern Sie Ihre Führungskompetenzen.