- Story
«Ich lese Studien jetzt mit anderen Augen»
25.06.2025 Im Bachelor-Studiengang Soziale Arbeit können Studierende ihre «Individuelle Vertiefung Praxis» flexibel gestalten – etwa durch Mitarbeit in einem Forschungsprojekt. So arbeiten sie praxisnah an ihrer Forschungskompetenz. Flavio Hofer hat diese Chance genutzt und teilt seine Einblicke aus dem spannenden Projektalltag.
Das Wichtigste in Kürze
-
Praxisnahe Forschungserfahrung: Bachelor-Student Flavio Hofer arbeitete im SNF-Forschungsprojekt «Familien(er)leben in Erwerbsarmut» mit und gewann dabei Einblicke in sozialwissenschaftliche Forschung.
-
Vielfältige Aufgaben: Flavio Hofer machte Literaturrecherchen, Transkription und suchte Studienteilnehmer*innen. Genauso verglich er kantonale Bedingungen und analysierte qualitative Interviews.
-
Nachhaltiger Kompetenzgewinn: Der Forschungseinsatz förderte sein Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten in der Sozialen Arbeit – theoretisch und praktisch – und führte zu einer anschliessenden Anstellung im Projektteam.
«Meine Motivation, einen Forschungseinsatz im Rahmen des Angebots ’Individuelle Vertiefung’ zu leisten, bestand vor allem darin, den Transfer Theorie-Praxis hautnah zu erleben.
Im Modul ’Wissen erarbeiten, erschliessen und kritisch einordnen’ wurde uns das Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit (DGSA) zur Forschung in der Sozialen Arbeit vorgestellt. Mit den Dozierenden und mit Kommiliton*innen diskutierten wir über den Realitätsbezug der darin geäusserten Thesen. Ich fand diese nachvollziehbar, und die Diskussionen waren spannend, dennoch kam mir das Ganze abstrakt und wenig greifbar vor. Als mich meine Praxisbegleiterin auf die Möglichkeit aufmerksam machte, in einem Forschungsprojekt mitzuarbeiten, zögerte ich keine Minute und reichte meine Bewerbung ein.

Nach einem Gespräch mit der Leiterin des Projekts, Margot Vogel Campanello, wurden die formalen Bedingungen geklärt und ich konnte zum neuen Semester hin mit der Arbeit im Projekt Familien(er)leben in Erwerbsarmut beginnen.
Dabei handelt es sich um ein vom Schweizerischen Nationalfonds finanziertes Projekt, das eine geplante Laufzeit von fünf Jahren hat. 7.4 Prozent aller Erwerbstätigen sind armutsgefährdet. In zwei Dritteln der betroffenen Haushalte leben Kinder. Die Studie geht der Frage nach, wie Kinder und Eltern diese Situation erleben. Diese Thematik interessiert mich sehr, habe ich doch mehrmonatige Praktika an einer sozialpädagogischen Sonderschule vor und während meines Bachelor-Studiums absolviert. Die Problematik ist wenig erforscht. Der Allgemeinheit ist nicht bekannt, dass es in der reichen Schweiz Leute gibt, die von Armut betroffen sind.
Ich wurde von Anfang an gut begleitet und schrittweise in die verschiedenen Aufgabengebiete eingeführt.
Ich wurde von Anfang an gut begleitet und schrittweise in die verschiedenen Aufgabengebiete eingeführt. Zu Beginn hatte ich Zeit, mich in die bereits recherchierte Literatur einzulesen und diese mit weiteren Titeln zu ergänzen. Schnell ging es weiter und wir begannen den Feldzugang zu bearbeiten. Darunter versteht man die Suche nach geeigneten Personen, die an der Studie teilnehmen könnten. Ich konnte Institutionen und Organisationen anschreiben, von denen wir Zugang zu Familien erhofften, die für die Untersuchung in Frage kommen. Parallel dazu habe ich die Bedingungen in verschiedenen Kantonen untersucht. Verglichen habe ich für die sieben Kantone, die im Projekt eingeschlossen sind, die Anzahl Kitaplätze, die Höhe der Krankenkassenprämien und den subventionierten Wohnraum. Die Unterschiede waren eindrücklich.
Nachdem das Forschungsteam erste Interviews durchgeführt hatte, wurde ich beauftragt, diese zu transkribieren. Ich erhielt die Tonaufnahmen jeweils als MP3-Datei und führte diese Arbeit mit Hilfe eines KI-gestützten Transkriptionsprogramms aus. Beinahe unvorstellbar für mich, dass diese Übertragungen vor nicht allzu langer Zeit von Hand getätigt werden mussten.
Von diesem Forschungseinsatz konnte und kann ich in vielerlei Hinsicht profitieren. Ich habe neue Arbeitsweisen und Instrumente kennen gelernt.
Im Anschluss an das Transkribieren erfolgte die Analyse von Form und Inhalt der Interviews. Ich durfte Teil der Analysegruppe sein und konnte diesen Prozessschritt somit live miterleben. Wiederum wurde mir von den erfahrenen Forscher*innen genau erklärt, worauf es ankommt und wie vorzugehen ist.
Von diesem Forschungseinsatz konnte und kann ich in vielerlei Hinsicht profitieren. Ich habe neue Arbeitsweisen und Instrumente kennen gelernt und durfte bereits Bekanntes vertiefen und üben. Gerade für das Verfassen von schriftlichen Arbeiten im Studium und für die Bachelor-Thesis werden mir diese Kompetenzen von Nutzen sein. Den grössten Gewinn sehe ich darin, ein vertieftes Verständnis dafür entwickelt zu haben, wie Forschung in der Sozialen Arbeit konkret umgesetzt wird: wie praxisnahe Problemstellungen in wissenschaftliche Fragestellungen übersetzt, mit geeigneten Methoden bearbeitet und die gewonnenen Erkenntnisse schliesslich wieder in die Praxis zurückgeführt werden. Ich werde Studien in Zukunft mit anderen Augen lesen. Ich habe gesehen, wie wichtig es ist, sorgfältig zu arbeiten, um die Ergebnisse nicht zu verfälschen, und wie wichtig es ist, die Forschungresultate in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Ich hatte das grosse Glück, im Anschluss an meinen Forschungseinsatz Teil des Teams zu bleiben und in einem kleinen Pensum als studentischer Mitarbeiter weiterzuarbeiten. Die sehr angenehme Arbeit im Team und die Abwechslung im Vergleich zum Studienalltag sind für mich sehr bereichernd. So kann ich aus nächster Nähe miterleben, wie es mit diesem Forschungsprojekt weitergeht.»
Den Abschlusskompetenzen auf der Spur
Wer den Bachelor in Sozialer Arbeit absolviert, ist nach Abschluss des Studiums in zwölf professionellen Handlungskompetenzen fit (Kompetenzprofil). In verschiedenen Beiträgen gehen wir den Fragen nach, was unter diesen Kompetenzen zu verstehen ist, wie sich das «Kompetent-sein» in den verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit zeigt und wie es durch die enge Verzahnung von Hochschulsemestern und Praxisausbildung gelingt, den Kompetenzerwerb zu unterstützen.
Im Fokus dieses Beitrags steht die Forschungskompetenz: Bachelor-Absolvent*innen können theoretische Konzepte und forschendes Lernen einsetzen, um eigenständig erarbeitete Fragestellungen in der Praxis theorie- und empiriebasiert zu analysieren.