Geburt 3000: Neue Wege für eine selbstbestimmte Geburtshilfe in der Schweiz

17.04.2024 Das Projekt der Berner Fachhochschule will die autonome, hebammengeleitete Geburtshilfe in der Schweiz fördern und die Rate dieser Geburten signifikant erhöhen. Um mehr Frauen den Zugang zu einer selbstbestimmten Geburt zu ermöglichen, plant das Team mittelfristig den Bau eines modularen Geburtspavillons in Spitalnähe.

Mit Geburt 3000 will die Berner Fachhochschule frischen Wind in die Geburtshilfe bringen und Frauen leichteren Zugang zu einer hebammengeleiteten und autonomen Geburtshilfe in Spitalnähe ermöglichen. «Im Kern steht die Idee der Autonomie», erklärt Prof. Dr. Eva Cignacco, Projektmitarbeiterin von Geburt 3000, «die Hebammen arbeiten eigenverantwortlich und sind hierarchisch keinem ärztlichen Dienst unterstellt.» Dies unterscheidet das Projekt von herkömmlichen hebammengeleiteten geburtshilflichen Modellen in Spitälern, das gemäss dem Projektteam einer hebammengeleiteten Geburt widerspricht: «Mit dieser Unterordnung sind die Hebammen immer dem risikoorientiertem Denken in der Geburtshilfe unterworfen, das häufiger mit medizinischen Interventionen einhergeht», macht die erfahrene Hebamme deutlich.   

Viele Vorteile, wenige Angebote

Die Vorteile einer hebammengeleiteten autonomen Geburtshilfe sind vielfältig: Studien zeigen, dass Frauen mit niedrigem Risikoprofil in solchen Versorgungsmodellen verbesserte mütterliche Ergebnisse aufweisen und zufriedener mit der Betreuung sind (z.B. Sutcliffe et al., 2012). «Sie stellen eine kosteneffektive und sichere Ergänzung zum Standardmodell dar», erläutert Eva Cignacco. Trotzdem nutzt in der Schweiz nur eine Minderheit dieses Modell. Im Jahr 2022 wurden gerade mal fünf Prozent aller Geburten in einem ausserklinischen hebammengeleiteten Versorgungsmodell, z.B. in einem Geburtshaus, betreut (Borner & Grylka, 2023). Dies hauptsächlich wegen des eingeschränkten Angebots und der begrenzten Erreichbarkeit ausserhalb der herkömmlichen Spitalbetreuung (Rauch et al., 2022). «Viele Frauen in der Schweiz müssten für eine Geburt in einem Geburtshaus über eine Stunde anreisen. Folglich entscheiden sie sich in der Regel für das naheliegende Spital, auch wenn sie eigentlich gerne ein ausserklinisches Setting gehabt hätten», so Cignacco. Hier setzt das Projekt Geburt 3000 an, indem es eine strategische Allianz mit einem nahegelegenen Spital anstrebt und eine partnerschaftliche Zusammenarbeit statt Konkurrenz fördert. Finanziert wird das Projekt von einer Stiftung, welche die politische Bedeutung des Vorhabens erkennt.

Geburtspavillon
«Raum für Geburt und Sinne»: Das Projektteam erarbeitet derzeit einen Prototypen eines Geburtspavillons. Bild: Laurenz Feinig

Ziel ist die 10-Prozent-Marke

Aktuell befindet sich Geburt 3000 noch in den Anfängen: Das Team ist in Gesprächen mit interessierten Spitälern und beschäftigt sich mit der Planung und dem Betriebskonzept eines ersten Geburtspavillons. Beim Pavillon handelt es sich um ein reproduzierbares Modell in ökologischer Rapid-Bauweise, das dann beliebig bei weiteren Spitälern in anderen Städten und Kantonen der Schweiz aufgebaut werden kann. Das mittelfristige Ziel sei, bis Ende 2025 den Pilot-Geburtspavillon in Betrieb zu haben. «Unsere Vision ist, die autonome, hebammengeleitete und ausserklinische Geburtshilfe in der Schweiz aus ihrem heutigen Nischendasein heraus zu befördern und in wenigen Jahren die 10-Prozent-Marke zu erreichen», erklärt die Hebamme. 

Die niedrige Rate hebammengeleiteter Geburten in der Schweiz hat gemäss Eva Cignacco noch weitere Ursachen: Im Schweizer Gesundheitssystem werde die Schwangerenvorsorge oft von Gynäkolog*innen gemacht, diese würden Frauen vorwiegend die Geburt im Spital empfehlen. Darüber hinaus seien viele Frauen unzureichend über alternative Geburtsorte informiert. Dies führe wiederum dazu, dass viele Frauen in der Schweiz ausschliesslich Spitäler als sicheren Geburtsort empfinden würden. «Bildung und Aufklärung werden im Projekt Geburt 3000 eine wichtige Rolle spielen, um das Bewusstsein für alternative frauenzentrierte Geburtsorte bei Fachpersonen und Familien zu schärfen», ist sich die Projektleiterin bewusst. Mit dem Geburtspavillon in Spitalnähe könne man zudem dem Sicherheitsempfinden der Frauen entsprechen.  

Dass es anders geht, zeigt sich in Ländern wie den Niederlanden oder Grossbritannien, wo hebammengeleitete Geburten weit verbreitet sind. Laut einer Studie von MacDorman et al. (2013) starten in den Niederlanden 87 Prozent aller Schwangeren ihre Schwangerenvorsorge bei Hebammen. Sie sind die primären Grundversorgerinnen für die Schwangerenvorsorge. Rund 29 Prozent der Frauen gebären in hebammengeleiteten Modellen, entweder bei einer Hausgeburt oder in einem Geburtshaus. In Grossbritannien gebären 14 Prozent der Frauen in hebammengeleiteten Modellen. 

Bessere Arbeitsmodelle für Hebammen

Das Projekt Geburt 3000 strebt nicht nur die Förderung von Kooperationen zwischen Geburtshaus und Spital an, sondern will auch die Arbeitsmodelle für Hebammen verbessern. «Das ist dringend nötig», sagt Eva Cignacco, «denn niemand möchte acht- bis zwölfstündige Dienste leisten und danach noch auf Pikett jederzeit abrufbar sein.» Dieses grenzenlose Engagement der Pionierinnen aus den 90er-Jahren sei vorbei. Darum würden Geburtshäuser in der Schweiz auch zunehmend an Fachkräftemangel leiden. Es gilt, Modelle anzubieten, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie erleichtern und eine besser Work-Life-Balance ermöglichen. Ein so genanntes «Case-Load-Modell», bei dem sich ein Viererteam aus Hebammen um eine gewisse Anzahl von Frauen kümmern, könnte eine mögliche Lösung sein. Das Projektteam ist überzeugt: Geburt 3000 könnte eine Revolution in der Geburtshilfe der Schweiz einläuten und Hebammen neue Perspektiven bieten – ein wegweisendes Projekt, das das Wohlbefinden von Müttern und Babys verbessern könnte.

Mehr erfahren