- News
Mit nachwachsenden Stoffen klimaneutral und regenerativ bauen
22.08.2025 Klimaneutrales und regeneratives bauen braucht nachwachsende Rohstoffe wie Holz, Stroh Flachs, Hanf, Schilf und Myzel. Wir thematisieren, erforschen und lehren biobasierte Materialien für eine zirkuläre, naturnahe und nachhaltige Architektur. Damit Pionier*innen des nachhaltigen Bauens Lebensräume schaffen, die Ressourcen achten und bewahren – für eine regenerative und lebenswerte Umwelt von morgen.
Das Wichtigste in Kürze
-
Klimaschutz durch nachwachsende Baustoffe: Pflanzenbasierte Materialien wie Stroh, Flachs, Hanf oder Schilf binden CO₂ bereits beim Wachstum, sind biologisch abbaubar und lassen sich in natürliche Stoffkreisläufe zurückführen.
-
Baubiologische Vorteile: Diese Materialien regulieren das Raumklima durch Feuchtigkeitsaufnahme und -abgabe, sind dampfdiffusionsoffen, wärmedämmend und verbessern den Wohnkomfort.
-
Vielfältige Einsatzmöglichkeiten: Von Dämmstoffen (wie Flachs, Hanf, Schafwolle), über tragende Elemente (Stroh) bis hin zu innovativen Materialien (Pilzmyzel oder biobasierten Klebstoffen) – die Bandbreite ist gross und zukunftsweisend.
Biobasierte Baustoffe als Schlüssel für klimaneutrales Bauen
Ohne nachwachsende Baustoffe ist klimaneutrales Bauen kaum realisierbar. Unsere einzigartigen Kompetenzen im Bereich des Holzbaus, der Holztechnologie und biobasierter Extraktionsstoffen ermöglichen vielfältige Anwendungen im nachhaltigen Bauen.
Dennoch finden weitere biobasierte Materialien bislang nur zögerlich Eingang in die zeitgenössische Architektur. Wir erforschen, thematisieren und vermitteln die Eigenschaften sowie die Einsatzmöglichkeiten biobasierter Baustoffe wie Stroh, Flachs, Hanf, Schilf, Schafswolle, Pilzmyzel und weiterer Alternativen. Unser Ziel ist es, den Lebensraum naturnah, zirkulär und regenerativ zu gestalten – und unsere Studierenden zu Pionier*innen des nachhaltigen Bauens zu qualifizieren. Für eine gebaute Umwelt, die die Ressourcen unserer Erde achtet und bewahrt.
Klimaschutz und Wohnkomfort durch pflanzliche Materialien
Pflanzliche, nachwachsende Baustoffe entfalten ihre klimaregulierende Wirkung bereits lange vor ihrer Verwendung auf dem Bauplatz. Während ihres Wachstums nehmen sie klimaschädliches CO2 auf und speichern den Kohlenstoff dauerhaft. Dadurch tragen sie aktiv zur Reduktion von Treibhausgasen bei und leisten einen wertvollen Beitrag zum Klimaschutz.
Ein weiterer Vorteil dieser Materialien liegt in ihrer Rückführbarkeit in natürliche Stoffkreisläufe. Besonders deutlich wird dies für Studierende bei der Ökobilanzierung von Bauteilen, wenn sie die darin eingelagerten biogenen Kohlenstoffe erfassen. Die Wirkung ist eklatant: Durch die Wahl nachwachsender Materialien lässt sich in einem Gebäude eine hohe temporäre CO2-Senke schaffen (vgl. Klimapfad, Norm SIA-390/1), so Ryszard Gorajek, Lehrbeauftragter Materialtechnologie an der BFH.
Zudem bringt der meist faserartige, rohrförmige Aufbau dieser Materialien weitere Vorteile mit sich. Er sorgt für Elastizität, während die Hohlräume für eine hohe Dämmwirkung sorgen. Diese Baustoffe verfügen über baubiologische Eigenschaften, die den Wohnkomfort verbessern. Sie nehmen überschüssige Feuchtigkeit im Haus auf und geben sie bei Trockenheit wieder ab. Dank ihrer dampfdiffusionsoffenen Eigenschaft tragen sie aktiv zur Regulierung des Raumklimas bei. Schliesslich zeichnen sie sich durch eine besonders geringe graue Energie aus – vorausgesetzt, sie werden lokal gewonnen und recycelt.
Im Folgenden werden die wichtigsten nachwachsenden Baustoffe, ihre Eigenschaften und Anwendungsmöglichkeiten vorgestellt.
Stroh
Eine grosse Erfahrung besitzt die Architektur mit Stroh als nachwachsenden Baustoff. Meistens wird Stroh in gepresster Form in einer Ständerkonstruktion eingelassen und dient als Dämmmaterial. Um seine baubiologischen Eigenschaften maximal zu nutzen, wird gegen aussen ein Kalkputz, gegen innen Lehmanstrich appliziert. Für maximal zweigeschossige Gebäude kann Stroh bei einer Wanddicke von circa 80 Zentimeter sogar als tragendes Element eingesetzt werden. Stroh leistet einen markanten Beitrag zum nachhaltigen Bauen. «Mit einem Quadratmeter Dämmung aus Mineral- oder Glaswolle gelangen fünf bis zehn Kilogramm Treibhausgase in die Atmosphäre. Mit einem Quadratmeter Dämmung aus Stroh entziehen wir der Atmosphäre hingegen 29 Kilogramm Treibhausgase. Die Dämmstärke mit Stroh beträgt dabei 20 Zentimeter anstelle von 15 Zentimeter.», so Stanislas Zimmermann, Studiengangsleiter Master Architektur BFH. (Wärmeleitfähigkeit ƛ = 0,049 W/mK)
Flachs
Das vielseitige Leinengewächs Flachs – dessen Fasern für luftige Kleiderstoffe, dessen Samen für Leinöl verwendet werden – eignet sich im Bau vorwiegend als Dämmstoff. Seine Halme werden dazu zu Matten gepresst oder in die Hohlräume vorfabrizierter Wandelemente hineingeblasen. Sauro Bianchi, Lehrbeauftragter an der BFH hebt folgende Eigenschaften hervor: «Flachsfasern zeichnen sich durch ihr geringes Gewicht, eine hohe Zugfestigkeit sowie gute Wärme- und Schalldämmeigenschaften aus. Darüber hinaus tragen sie zur Regulierung der Luftfeuchtigkeit im Innenraum bei, was das Raumklima verbessert und zur Gesundheit der Bewohner beiträgt. Da Flachs jährlich wächst, benötigt er wenig Wasser und Pestizide und hat insgesamt eine sehr geringe Umweltbelastung – sowohl in der Herstellung als auch in der Entsorgung, da er biologisch abbaubar ist.» (Wärmeleitfähigkeit λ = 0.036 W/mK)
Hanf
Hanf ist eine sehr rasch wachsende Pflanze, die anspruchslos, ohne Einsatz von Herbiziden wächst. Die Fasern des Hanfstrohs werden in Form von Hanfmatten oder als Stopfwolle im Dach, der Wand und dem Boden als Isolation eingebaut. Seine verdichtungsfähigen Stiele können lehmummantelt als Vliese ausgelegt oder in lockerer Form als Dämmschüttung verwendet werden. Hanf besitzt ähnliche baubiologische und bauphysikalische Eigenschaften wie Flachs (Wärmeleitfähigkeit λ = 0.040 W/mK).
Schilf
Ans Wasser gebunden, wächst Schilf vor allem in Küstenregionen. Im Gegensatz zu Flachs, Hanf und Stroh ist Schilf ein härterer, beständiger, praktisch nicht verrottbarer Baustoff und eignet sich deshalb zur Dachdeckung. Aufgrund seiner grossen isolierenden Luftkammern in den Halmen weist er hervorragende Dämmeigenschaften auf und ist nahezu bruchsicher. Architekt Gilbert Berthold, wissenschaftlicher Assistent an der BFH begründet das Schilfdach seines Projektes eines Einfamilienhauses in Weiden am See wie folgt: «Ich habe Schilf als Dachmaterial gewählt, weil es ein lokal verfügbarer, schnell nachwachsender Rohstoff mit hervorragenden bauphysikalischen Eigenschaften ist. Es bietet eine bemerkenswerte Dämmleistung, ist diffusionsoffen, langlebig und am Ende seiner Lebensdauer kompostierbar. Im Projekt in Weiden am See hat sich gezeigt, dass Schilf nicht nur ökologisch, sondern auch kulturell und architektonisch relevant ist.»
Schafwolle
Schafwolle ist ein nachwachsendes Produkt der Tierhaltung. Die bei der Schafschur anfallende Rohwolle muss gewaschen, entfettet, und homogenisiert werden. Im Bau wird sie oft mit Kunstfasern verfestigt. Zum Schutz vor Motten wird die Wolle mit Natriumborat oder biozidfrei mit «Ionic protect» behandelt. Der Einsatz von Schafwolle ist vielfältig und reicht von technischer, akustischer bis zur einfachen Dämmung von Bauteilen (Wärmeleitfähigkeit λ = 0.036 W/mK). Schafwolle ist formstabil, knickfest und langlebig. Sie vermag zahlreiche Schadstoffe wie Formaldehyd zu binden.
Sisal
Sisalfasern werden aus Blättern der Sisal-Agave gewonnen. Die Pflanze wird in Afrika, Süd- und Mittelamerika geerntet, getrocknet und deren Fasern zu Garn verzwirnt. Die Fasern sind extrem widerstandsfähig, elastisch sowie antibakteriell. Im Bauwesen wird Sisal gepresst als Dämmstoff, Flechtwerk und Teppich genutzt.
Pilzmyzel
Pilzwurzeln, sogenannte Myzel, ernähren und befeuchten den Pilz an der Oberfläche. Zwecks Herstellung von Materialien werden die Pilzwurzeln in Plastiksäckchen mit pflanzlichen Grundstoffen wie Hanf, Bambus oder Holzspänen vermischt. Die daraus entstehende, überaus harte Verwebung füllt eine Gefässform komplett aus. Sie wird dann im Ofen erhitzt und bildet einbaufähige feste Steine und Platten.
Biobasierte Extraktionsstoffe
Die Pilotextraktionsanlage der BFH gewinnt aus pflanzlicher Biomasse – insbesondere Holzrinde – biobasierte Extraktionsstoffe für ökologische Anwendungen. Daraus entstehen nachhaltige Alternativen zu erdölbasierten Produkten, etwa emissionsarme Klebstoffe oder Harzsysteme mit hohem Brandwiderstand. Durch die gezielte Nutzung von Inhaltsstoffen wie Lignin und Terpenen entstehen neue Einsatzmöglichkeiten im Bauwesen und in der regionalen Bioökonomie.
Die breitere Einbindung nachwachsender Baustoffe in der Architektur setzt eine vermehrte Investition in die Verfahrenstechnik voraus. Die bisher in Pionierbauten erprobte, meist handwerkliche Technik muss zu einem standardisierten, teils industriell vorfabrizierten Verfahren führen. Da pflanzlichen Faserstoffe – mit Ausnahme von Holz – keine selbsttragenden Eigenschaften besitzen, eigenen sie sich als Verbundstoffe.
Im Jahr 2020 führte die BFH erstmals eine Special Week zum Thema Bauen mit Lehm, Holz und Naturfasern durch. Studierende stellten Mockups und Prüfkörper aus unterschiedlichen Naturfasern wie Stroh und Flachs her, die sie zuvor mit unterschiedlich flüssigem Lehm vermischten. Dabei zeigte sich, dass die Verbundbaustoffe länger als erwartet austrocknen mussten und die Setzungen der Modellwände – abhängig vom Lehmanteil – erheblich ausfielen. Dennoch erfüllten die Materialen die Erwartungen hinsichtlich Druckfestigkeit, Stabilität, Verarbeitung und gestalterischem Ausdruck. Die Mischstoffe erwiesen sich zudem als besonders selbstbaufreundlich und kreislauffähig – sie sind ideal kompostierbar und wiederverwendbar.