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Führung und ADHS am Arbeitsplatz

24.10.2025 Für viele Beschäftigte mit ADHS ist der Arbeitsalltag eine Herausforderung: Neben hoher Energie, Kreativität und Hyperfokus können auch Ablenkung und Selbstzweifel auftreten. Werden ihre Stärken erkannt und Strukturen angepasst, können Betroffene ihr Potenzial voll entfalten.

Das Wichtigste in Kürze

  • ADHS ist keine statische Störung, sondern eine andere Art, die Welt wahrzunehmen. Betroffene können durch angepasste Strukturen und Stärkenorientierung ihr Potenzial voll entfalten.

  • Führungspersonen können durch psychologische Sicherheit, klare Strukturen und individuelle Arbeitsweisen ein Umfeld schaffen, das Kreativität und Motivation fördert.

  • Die BFH bietet Weiterbildungen wie den CAS Führungskompetenzen und Instrumente an, um Führungspersonen für den Umgang mit ADHS zu sensibilisieren und ihnen Werkzeuge für eine inklusive Führung an die Hand zu geben.

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Mit dem richtigen Arbeitsumfeld entfalten ADHS-Betroffene Ihre vielfältigen Stärken.

Dominik ist Sozialarbeiter. In seinem früheren Job bei einer Kinderschutzbehörde fiel es ihm schwer, Akten rechtzeitig zu bearbeiten und Ordnung zu halten. Oft blieb Arbeit liegen, wenn er sich nicht motivieren konnte. Heute arbeitet er in einem Kinderhaus in Bern und begleitet Kinder bei Spiel, Sport und kreativem Gestalten. «Gemeinsam mit den Jugendlichen einen Drachen aus Draht zu bauen – das gibt mir Energie», erzählt er. Mit 36 erhielt er die Diagnose ADHS und ist seither in Behandlung. Teamarbeit, Bewegung und kreative Projekte im neuen Job bringen ihn ins Gleichgewicht.

Sarah, Pflegeexpertin mit Masterabschluss, erlebte ihre Studienzeit als täglichen Kampf. Zum Lernen musste stets der Fernseher laufen, ihr Wohnzimmer war ein Chaos aus Büchern, Notizen und Essensresten. Kontakte zu anderen Menschen waren schwerfällig, oft fühlte sie sich «wie hinter einer Wand». Heute kennt Sarah ihre Muster, nutzt Strategien, um mit den Symptomen umzugehen – ohne Medikamente. Sie hat gelernt, ihre Energie gezielt einzusetzen und Strukturen zu schaffen, die ihr Halt geben.

Beide Geschichten verdeutlichen: ADHS ist kein statisches Defizit, sondern eine besondere Art, die Welt wahrzunehmen und zu verarbeiten.

Was im Gehirn geschieht

Studien zeigen, dass ADHS mit Besonderheiten im Gehirn verbunden ist. Bildgebende Verfahren weisen auf kleinere Volumina in Kleinhirn, präfrontalen Cortex und Nucleus caudatus hin – Regionen, die für Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Bewegungssteuerung verantwortlich sind (Barkley, 2021). Auch die Verbindung zwischen linker und rechter Hirnhälfte ist bei manchen Betroffenen weniger ausgeprägt (Shaw et al., 2007). Zudem finden sich Unterschiede in der Durchblutung bestimmter Areale, was mit reduzierter Verhaltenshemmung und Konzentration zusammenhängt (Lauth & Minsel, 2009).

Genetische Studien zeigen: Tritt ADHS in einer Familie auf, steigt das Risiko für Angehörige signifikant (Müller, Candrian & Kropotov, 2011). Die Ursachenforschung bleibt komplex. Unser Gehirn ist formbar («Neuroplastizität») und entwickelt sich ständig weiter, abhängig von Erfahrungen, Beziehungen und Umgebung (Hüther, 2016). Damit bleibt offen: Sind die Unterschiede Ursache oder Folge? Klar ist: Umwelt und soziale Faktoren wirken immer mit.

ADHS ist mehr als ein medizinisches Etikett. Es beschreibt eine andere Art zu fühlen, zu denken und zu handeln.

  • Manuela Grieser Pflegefachfrau, MA Erwachsenenbildung

Symptome – und was dahinter steckt

Menschen mit ADHS erleben oft Unruhe und Getriebenheit, was Ausdruck hoher innerer Energie sein kann (Lauth & Minsel, 2009). Häufig zeigen sie impulsives Verhalten und handeln schnell, manchmal ohne Abwägung (Müller et al., 2011). Ein schneller Interessenwechsel durch starke Reizoffenheit, Konzentrationsschwierigkeiten bei monotonen Aufgaben (Lauth & Minsel, 2009) sowie Probleme mit Planung und Organisation gehören ebenfalls dazu. Gleichzeitig verfügen viele über besondere Stärken: Begeisterung kann zu Hyperfokus und intensiver Konzentration führen. Unkonventionelles Denken fördert Kreativität, ihre Energie steckt andere an, und unter Druck zeigen Menschen mit ADHS oft besondere Handlungsfähigkeit, da sie im Chaos geübt sind.

Über die Autorin

Manuela Grieser ist Pflegefachfrau und Erwachsenenbildnerin. Sie leitet an der Berner Fachhochschule Weiterbildungen im Bereich Pflege sowie verschiedene Managementstudiengänge. Seit Jahren begleitet sie in ihrer Arbeit Menschen mit ADHS. Ihr Anliegen ist es dabei, Brücken zwischen Wissenschaft und Praxis zu bauen und Führungskräfte für das Thema zu sensibilisieren.

Was Führungspersonen tun können

Wiederholte Konflikte oder Kritik führen bei vielen Betroffenen zu Rückzug. So entsteht ein Teufelskreis: Unaufmerksamkeit und Impulsivität führen zu unangepasstem Verhalten, das negative Rückmeldungen nach sich zieht, das Selbstvertrauen sinkt und die Unsicherheit wächst (Müller et al., 2011). Aus Angst vor Stigmatisierung schweigen viele am Arbeitsplatz, wodurch wertvolles Potenzial verloren geht. Für Führungspersonen ist ein offener Umgang und psychologische Sicherheit entscheidend. Dazu gehört:

  • Stärkenorientierung statt Defizitfokus: Betroffene können in kreativen, dynamischen Projekten brillieren.
  • Struktur schaffen, ohne zu kontrollieren: Klare Abläufe helfen, Flexibilität bleibt.
  • Individuelle Arbeitsweisen respektieren: z. B. Rückzugsmöglichkeiten statt Grossraumbüros.
  • Feedback mit Feingefühl: Emotionale Reaktionen ernst nehmen, konstruktiv feedbacken.
  • Bewegung und Abwechslung ermöglichen: Fördern Konzentration.
  • Beziehungsorientiertes Coaching: Wertschätzung und Vertrauen machen Stärken sichtbar.

Massnahmen, die die Vielfalt berücksichtigen, fördern die Kreativität, die Motivation und den Zusammenhalt im gesamten Team.

ADHS ist mehr als ein medizinisches Etikett. Es beschreibt eine andere Art zu fühlen, zu denken und zu handeln. Die Beispiele von Dominik und Sarah zeigen, was möglich ist, wenn Menschen ihre Stärken entfalten können. Für Führungspersonen gilt: Wer Offenheit, Verständnis und passende Strukturen schafft, trägt dazu bei, dass Mitarbeitende mit ADHS nicht nur funktionieren, sondern aufblühen.

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Rubrik: Weiterbildung