«Interprofessionalität ist notwendig für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem»

27.06.2023 Prof. Dr. Mirjam Körner leitet das neu gegründete Kompetenzzentrum Interprofessionalität der Berner Fachhochschule. In der Forschung will sie den Fokus auf organisationsbezogene Versorgung legen und hiermit einen schweizweit neuen Forschungszweig schaffen. Im Interview erläutert sie, welche weiteren Ziele sie mit dem Kompetenzzentrum verfolgt und warum Interprofessionalität ein Kernelement der Gesundheitsversorgung ist.

Prof. Dr. Mirjam Körner, Sie haben am 1. Februar 2023 die Leitungsstelle des neuen Kompetenzzentrums Interprofessionalität angetreten. Was hat Sie an dieser Aufgabe gereizt?

Prof. Dr. Mirjam Körner: Mich hat die Entwicklungsmöglichkeit gereizt: Die seit 2019 bestehende Fachstelle für interprofessionelle Lehre an der BFH wird um Forschung und Weiterbildung erweitert und zu einem eigenen Kompetenzzentrum. Die Interprofessionalität ist seit 20 Jahren ein Schwerpunktthema von mir, hierzu die Forschung aufzubauen, finde ich eine spannende Aufgabe. Auch gefällt es mir, in meiner Funktion als Coach und Trainerin für die Dozierenden der Studiengänge zu fungieren. Ich war vorher 18 Jahre am Institut für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Medizinischen Fakultät in Freiburg tätig. Es war für mich ein grosser Schritt, neue Zelte in der Schweiz aufzuschlagen, hatte aber nach dem Bewerbungsverfahren grosse Lust dazu. 

Wo möchten Sie den Fokus setzen bei Ihrer Forschungstätigkeit im Kompetenzzentrum?

Mirjam Körner: Ich möchte den Fokus auf die organisationsbezogene Versorgungsforschung legen: Wir befassen uns hierbei mit den Rahmenbedingungen in der Gesundheitsversorgung, mit den Wechselwirkungen von Individuen und Organisationen, den Interaktionen innerhalb und zwischen den Versorgungsorganisationen und zuletzt mit ihren Strukturen, Prozessen und Kulturen. Letztere werden in der Forschung oft als gegeben betrachtet. Wir möchten untersuchen: Was macht das mit der Gesundheitsversorgung und wie wirkt es sich auf das Behandlungsergebnis aus? Wie können wir den Outcome für Patient*innen verbessern? Interprofessionalität spielt hier eine zentrale Rolle. 

Mirjam Körner ist Leiterin des Kompetenzzentrums Interprofessionalität an der Berner Fachhochschule

Inwiefern?

Mirjam Körner: Man weiss beispielsweise, dass die Mortalitätsrate sinkt und die Behandlungssicherheit für die Patient*innen steigt, wenn Teams interprofessionell zusammenarbeiten. Es kommt zu weniger Missverständnissen und ergo zu weniger Fehlern. Die organisationsbezogene Versorgungsforschung befasst sich aber nicht nur mit der interprofessionellen Zusammenarbeit und den hierfür erforderlichen Strukturen und Prozessen, sondern auch mit Fragestellungen, die sich auf Klinikkultur, Führungsstruktur und -prozesse als auch Change-Management beziehen. Insofern möchte ich mit dem Kompetenzzentrum für Interprofessionalität noch einen Schritt weiter gehen und einen Forschungszweig schaffen, den es meines Wissens so in der Schweiz noch nicht gibt. 

Wie können wir den Outcome für Patient*innen verbessern? Interprofessionalität spielt hier eine zentrale Rolle.

Prof. Dr. Mirjam Körner

Kann man die fixen und hierarchischen Strukturen von Spitälern und anderen Gesundheitsversorgungsorganisation überhaupt verändern hin zu einem interprofessionellen Setting?

Mirjam Körner: Auf jeden Fall. Die Interprofessionalität ist ein Kernelement der aktuellen und zukünftigen Gesundheitsversorgung und notwendig für ein zukunftsfähiges Gesundheitssystem. Wir möchten für die Schweiz Forschungsergebnisse erarbeiten, die dies konkret zeigen. Die aktuellen Herausforderungen – der demografische und digitale Wandel, der Klimawandel und Personalmangel, um nur einige zu nennen – erfordern auch einen Struktur- und Prozesswandel. 

Es gab bereits erste Versuche hin zu selbstorganisierten Teams, z.B. in chirurgischen Bereichen. Dies hat trotz der streng hierarchischen Organisation gut funktioniert. Wichtig ist dabei die Implementierungsforschung: Wie führe ich solche Interventionen gut in der Praxis ein? Das ist ein weiterer Schwerpunkt von mir. 

Welche Themen beschäftigen Sie in der Lehre?

Mirjam Körner: Die interprofessionelle Lehre gab es zwar bereits, ist aber immer noch ein junger Bereich bei der BFH. Dieses Semester startete das dritte und letzte Modul zum ersten Mal. Deshalb ist auch hier noch Aufbauarbeit nötig, um die berufsübergreifenden Module optimal in die Studiengänge zu integrieren und die Inhalte aufeinander abzustimmen. Hierbei hilft uns sicher die bereits geplante Reform der Bachelor-Curricula.

Auch haben wir ein Projekt gestartet, um die Bildungsforschung bei der BFH zu systematisieren. Bezogen auf die Module der interprofessionellen Lehre laufen gerade verschiedene Evaluationen, um neue Lehr- und Lernformate zu erforschen. Zu guter Letzt möchten wir die Entwicklung von weiteren Studiengängen prüfen.

Dieses Interview führte Nicole Schaffner.

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Fachgebiet: Management im Gesundheits- und Sozialwesen, Gesundheit, Gesundheitstechnologien + Public Health, Caring Society + Alter