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Migrant Birth Kit: Geburtsvorbereitungskurse für Migrantinnen
01.11.2023 Um migrantischen Familien den Zugang zum Schweizer Gesundheitswesen zu erleichtern und sie mit Wissen rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu versorgen, entwickeln die beiden Hebammen Lynn Huber und Patricia Frei einen App-basierten Geburtsvorbereitungskurs.
Ein Blick hinter die Kulissen des Migrant Birth Kits.
Asylsuchende Frauen, die schwanger oder im Wochenbett sind, leiden oft unter fehlenden Rückzugsmöglichkeiten, Diskriminierung und einer ungewissen Zukunft. Dazu kommen möglicherweise traumatische Erfahrungen auf der Flucht. Studien zeigen, dass ihre gesundheitliche Situation gegenüber der Schweizer Bevölkerung deutlich schlechter ist. Das äussert sich in höheren Raten von geburtshilflichen Komplikationen in der Schwangerschaft, während der Geburt und im Wochenbett – beispielsweise Notfallkaiserschnitte, Frühgeburtlichkeit, Blutungen, postpartale Depressionen oder Mutter-Kind-Sterblichkeit.
Um das Bewusstsein für diese Risiken zu erhöhen, haben die beiden Hebammen Patricia Frei und Lynn Huber für ihre Bachelor-Thesis an der ZHAW ein Weiterbildungskonzept entwickelt. Daraus entstanden das Start-up ONEDU und der Kurs «Midwife Refugee Kit». Beim interaktiven E-Learning-Angebot ging es darum, das Gesundheitspersonal zur kritischen Selbstreflexion zu animieren und sie über die Situation von geflüchteten Familien zu informieren.
Niederschwellige Information
Nun gehen die beiden innovativen Hebammen das gleiche Problem von der anderen Seite her an: Sie entwickeln eine App für Geflüchtete. Das «Migrant Birth Kit» soll asylsuchenden Familien einen niederschwelligen Zugang zu Geburtsvorbereitungskursen oder Hebammenbetreuung während der Schwangerschaft geben. Was für Schweizer Familien selbstverständlich ist, zeigt sich bei Flüchtlingsfamilien aufgrund sprachlicher, bürokratischer aber auch organisatorischer Hindernisse sehr schwierig. In der Schweiz bietet die Stiftung Mamamundo bereits Geburtsvorbereitungskurse für Migrantinnen an. «Wir wollen eng mit diesen Akteuren zusammenarbeiten», sagt Patricia Frei, «unser Angebot soll eine ortsunabhängige, digitale Ergänzung zu diesen Dienstleistungen sein».

Eine Vorstudie mit Betroffenen und Expert*innen zeigte, für welche Themen ein besonders grosser Bedarf besteht und in welcher Form die Inhalte gewünscht sind. Als geeignetes Kommunikationsmedium zeigte sich das Video. Darum entwickelten die beiden Hebammen die App rund um 20 Videolektionen, übersetzt in 16 verschiedene Sprachen, um den Kurs möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Das ist jedoch aufwändig: Die Videos filmen die beiden Hebammen selbst oder sie nehmen die Dienste einer professionellen Videoagentur in Anspruch. «Dabei hilft, dass ich Film studiert habe», sagt Patricia Frei. Nach dem Videodreh beginnt der zweite Teil der Arbeit. Die Aufnahmen müssen transkribiert, geschnitten und in den jeweiligen Sprachen eingesprochen werden. Das ist ein grosser Aufwand für die zwei Frauen, die auch noch regulär als Hebammen arbeiten. «Wir können zum Glück auf ein tolles Team von Übersetzerinnen und Expertinnen zurückgreifen», sagt Lynn Huber.
Keine Angst vor der Selbständigkeit
Mit den Herausforderungen eines Start-ups können die beiden Hebammen gut umgehen. «Vom Start der Firma bis zum aktuellen Projekt wurden wir immer gut unterstützt», sagt Lynn Huber. «Migrant Birth Kit» wird vom BRIDGE Proof of Concept der Innosuisse und dem Schweizerischen Nationalfonds finanziert. «Beim Schreiben der Anträge hat uns der Fachbereich Geburtshilfe der BFH sehr geholfen», sagt Patrica Frei. Dort arbeiten die beiden Teilzeit als wissenschaftliche Assistentinnen. Ihre Tätigkeit zwischen Forschung und Start-up schätzen die beiden sehr: «Für Hebammen gibt es viele Möglichkeiten, neben der regulären Arbeit noch etwas anderes zu machen», meint Patricia Frei, «zum Beispiel ein Master-Studium oder eben wie wir, ein Start-up.» Von fehlenden kaufmännischen Kenntnissen soll man sich dabei nicht abschrecken lassen, beschwichtigt Lynn Huber, «es gibt viele Stellen, die einen in diesen Belangen unterstützen.»
Die Markteinführung der App «Migrant Birth Kit» von Lynn Huber und Patricia Frei ist auf März 2024 geplant.