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Zuweisen mit KI: Ein Pilotprojekt in Hausarztpraxen

02.12.2025 Wie können Patient*innen in hausärztlichen Praxen schneller und gezielter an die passende Fachperson vermittelt werden? Ein Pilotprojekt der BFH in der Deutschschweiz hat untersucht, wie ein neuer KI-Zuweisungsprozess die Grundversorgung effizienter und personzentrierter gestalten kann.

Das Wichtigste in Kürze

  • Neuer Zuweisungsprozess: Ein BFH-Pilotprojekt testete ein KI-System, das Patient*innen direkt an die passende Fachperson leitet.

  • Positive Resonanz: Der Prozess gilt als umsetzbar, besonders für chronisch Erkrankte relevant.

  • Zukunftsorientiert: Digitalisierung und interprofessionelle Zusammenarbeit stärken eine effiziente, personzentrierte Grundversorgung.

Die Schweizer Grundversorgung steht unter Druck: Immer mehr Menschen leiden an chronischen und Mehrfacherkrankungen, die kontinuierliche pflegerische und medizinische Behandlung benötigen. Gleichzeitig gehen zahlreiche Hausärzt*innen in Pension. Angesichts steigender Gesundheitskosten rücken neue Rollen wie die der Advanced Practice Nurses (APN) in den Fokus. Heute werden Personen direkt den Hausärzt*innen zugewiesen. Andere Fachpersonen kommen nachträglich auf ärztliche Anordnung zum Einsatz. Damit bleibt das Potenzial einer interprofessionellen, personzentrierten Versorgung ungenutzt.

Mithilfe KI die Zuweisung machen

Fragestellung: Wer ist die richtige erste Anlaufstelle?

Im Projekt «KI-Zuweisungstool in Hausarztpraxen mit neuen Berufsrollen» untersuchte ein Projektteam der BFH, wie ein Triage-Prozess aussehen müsste, damit Patient*innen in neuen Versorgungsmodellen direkt zur passenden Fachperson gelangen. Im Zentrum stand die Frage, wie ein Zuweisungssystem zugleich die individuellen Bedürfnisse der Patient*innen berücksichtigt und die Kompetenzen der APN oder anderer Fachpersonen einbindet.

Die Studie wurde in fünf Hausarztpraxen in der Deutschschweiz durchgeführt, drei in ländlichen und zwei in urbanen Regionen. Mit einem Mixed-Methods-Ansatz flossen verschiedene Perspektiven ein: Online-Befragungen zur Veränderungsbereitschaft des Personals, Beobachtungen des bestehenden Triage-Prozesses vor Ort sowie zwei Vernehmlassungen mit beteiligten Berufsgruppen (siehe Abb. 1). Da keine Gesundheitsdaten erhoben wurden, war keine formale Ethikbewilligung notwendig.

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Abb. 1: Verschiedene Perspektiven wurden mit einem Mixed-Methods-Ansatz erfasst: Online-Befragungen des Personals, Beobachtungen des Triage-Prozesses vor Ort und Rückmeldungen der Berufsgruppen zum neu entwickelten Zuweisungsprozess. (Grafik: BFH)

Ergebnisse: Offenheit für Veränderung

Insgesamt nahmen 26 Mitarbeitende an der Untersuchung teil (davon 23 Frauen; Durchschnittsalter 33.9 Jahre). Während der Beobachtungstage wurden 113 Patient*innenkontakte in den fünf Praxen dokumentiert (69 Patientinnen und 44 Patienten, Durchschnittsalter 53 Jahre). 103 Patient*innen waren der Praxis bereits bekannt. In den meisten Fällen erfolgte die Kontaktaufnahme telefonisch (n=67), mit nachfolgendem Praxisbesuch. Die Gesundheitsprobleme reichten von akuten Beschwerden wie Nasennebenhöhlenentzündungen oder Bauchschmerzen über Nachsorge nach einem Spitalaufenthalt bis hin zu Kontrollen chronischer Erkrankungen (z. B. Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen). Auch Medikamentenanpassungen wurden durchgeführt. 

Die Mitarbeitenden bewerteten den neu entwickelten Triage-Prozess (siehe Abb. 2) positiv, mit Respekt vor den Veränderungen. Betont wurde, dass die Gruppe von Patient*innen für den Einsatz von APN präziser definiert werden sollten – etwa Menschen mit chronischen und Mehrfacherkrankungen. Insgesamt wurde der Prozess als interessant und umsetzbar bewertet.
 

Diskussion: Mehr Nutzen durch interprofessionelle Zusammenarbeit

Der Zuweisungsprozess in hausärztlichen Praxen berücksichtigt sowohl die fachlichen Kompetenzen der Berufsgruppen als auch die Anliegen der Patient*innen. Damit wird die interprofessionelle Zusammenarbeit ausgewiesen und der Stellenwert von Rollen wie APN klar hervorgehoben (Eissler & Zumstein-Shaha, 2022; Gysin et al., 2019; Zumstein-Shaha et al., 2022). Der Prozess gilt als innovativ, erfordert aber eine sorgfältige Umsetzung im Praxisalltag. 

Patient*innen profitieren durch den Zuweisungsprozess von den Kompetenzen aller Leistungserbringenden. Wichtig ist, dass ihre Bedürfnisse im Zentrum stehen. Da die Mehrheit der Praxisaufsuchende an chronischen oder Mehrfacherkrankungen leidet, ist die Integration von APN zentral. Internationale Richtlinien weisen auf die Wirksamkeit interprofessioneller Teams bei Erkrankungen wie Herzinsuffizienz oder Diabetes (Bundesärztekammer (BÄK) et al., 2023a, 2023b, 2023c; Powers et al., 2020). Der neue Zuweisungsprozess ist somit evidenzbasiert und personzentriert, mit dem Ziel, Betroffene schneller und passgenauer zu versorgen (Teuscher et al., 2023).

Die Studie zeigte, dass die Kontaktaufnahme weiterhin überwiegend telefonisch erfolgt – ein Hinweis auf die begrenzte Digitalisierung in vielen Praxen (ehealthsuisse, 2018; Obsan, 2020). Digitale Lösungen könnten Prozesse vereinfachen und teilweise automatisieren, doch müssen dabei die digitale Gesundheitskompetenz der Patient*innen sowie der Wunsch nach persönlichem Austausch berücksichtigt werden (ehealthsuisse, 2018). Der direkte Dialog bleibt wesentlich: Patient*innen können ihre Bedürfnisse schildern, und Fachpersonen gezielt nachhaken (Teuscher et al., 2023).
 

Digitalisierung und Personzentrierung als Schlüssel

Die Automatisierung der Terminvergabe und der Einsatz digitaler Hilfsmittel können den Zuweisungsprozess effizienter gestalten und den administrativen Aufwand – insbesondere in grösseren Praxen – reduzieren. Aber Mitarbeitende müssen geschult, Patient*innen adäquat informiert und Datenschutzrichtlinien eingehalten werden. Der neue Zuweisungsprozess bietet die Chance, Patient*innen passgenauer zu betreuen und die Hausärzt*innen zu entlasten. Entscheidend bleibt dabei, dass die Bedürfnisse der Patient*innen im Zentrum stehen. Nur so kann die Grundversorgung den steigenden Anforderungen einer älter werdenden Bevölkerung gerecht werden.
 

Personzentrierte Gesundheitsversorgung – Notwendigkeit oder Ideal?

Personzentrierte Versorgung stellt die individuellen Bedürfnisse, Werte und Lebensumstände der Patient*innen ins Zentrum medizinischer Entscheidungen. Sie gilt als Schlüssel zu einer menschlicheren, wirksameren und nachhaltigeren Gesundheitsversorgung, doch der Weg dorthin ist komplex. Zwischen Idealbild und Alltagspraxis gilt es, Chancen und Hürden realistisch abzuwägen: Wie lassen sich Strukturen, Abläufe und Haltungen verändern, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen? Unsere Beiträge zeigen anhand konkreter Projekte, wo dies bereits gelingt, welche Stolpersteine es noch zu überwinden gilt und welche Schritte nötig sind, um Person-centered Care im Gesundheitswesen zu verankern.

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