«Kreislaufwirtschaft ist nicht gleich Recycling»

31.03.2022 Kreislaufwirtschaft ist in aller Munde. Im Interview erläutert Prof. Dr. Tobias Stucki, welche Handlungsfelder zu diesem Modell gehören, wo die Schweiz steht und welche Hürden es noch zu überwinden gilt.

Interview mit Tobias Stucki zum Thema Kreislaufwirtschaft

Prof. Dr. Tobias Stucki ist Co-Leiter des Instituts Sustainable Business am Departement Wirtschaft. In Zusammenarbeit mit der KOF Konjunkturforschungsstelle hat er mit dem «Statusbericht der Schweizer Kreislaufwirtschaft» eine erste repräsentative Studie zur Umsetzung der Kreislaufwirtschaft auf Unternehmensebene vorgelegt.

Was ist Kreislaufwirtschaft in einfachen Worten erklärt?

Das Ziel der Kreislaufwirtschaft ist, die bestehenden Ressourcen möglichst effizient zu nutzen und so wenig Abfall wie möglich zu verursachen. Um das zu erreichen, müssen Unternehmen und Organisationen in drei Handlungsfeldern aktiv werden: Erstens die Effizienz von Produkten und Produktionsprozessen erhöhen. Ein Beispiel dafür sind Kühlschränke und andere Elektrogeräte, die weniger Energie benötigen. Zweitens die Lebensdauer von Produkten verlängern, indem sie qualitativ besser werden, repariert und/oder mit neuen Teilen aufgewertet werden können. Drittens Kreisläufe schliessen, indem nicht mehr genutzte Produkte weitergegeben, wiederaufbereitet oder – wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind – recycelt werden.

Ist die Idee neu?

Grundsätzlich war vieles schon mal da oder ist es noch. Ein Austauschstudent aus Kuba sagte einmal, Kreislaufwirtschaft sei genau das, was seine Landsleute zuhause machen. Mit zunehmendem Wohlstand ist der Mensch jedoch davon abgekommen, effizient mit den Ressourcen umzugehen. Neu ist sicher, dass die Digitalisierung weitere Möglichkeiten schafft. Zum Beispiel, indem sie das Teilen oder die Wartung von Produkten vereinfacht.

Wie kann die Kreislaufwirtschaft in der Praxis konkret umgesetzt werden?

In den letzten zehn Jahren haben die Unternehmen vor allem ihre Produktionsprozesse effizienter gestaltet und beispielsweise Energie gespart.

Im Bereich Lebensdauer ist Patagonia, der Outdoor-Hersteller aus den USA, ein gutes Beispiel. Bereits in der Produktentwicklung testet Patagonia jedes neue Produkt in Bezug auf seine Langlebigkeit und Reparierbarkeit. Verfehlt das Produkt die gewünschte Bewertung, kommt es nicht auf den Markt. Kund*innen können ausserdem kaputte Produkte einschicken und kostenlos reparieren lassen. An Messen ist Patagonia mit mobilen Reparaturwerkstätten vor Ort.

Auch für das Schliessen eines Kreislaufs liefert Patagonia ein gutes Beispiel. Nicht mehr gebrauchte Daunenjacken und -schlafsäcke gehen ins Unternehmen zurück, damit das Material wiederverwendet werden kann.

Ist es für ein Unternehmen überhaupt wirtschaftlich interessant, langlebige und reparierbare Produkte zu produzieren?

Das hängt vom Handlungsfeld der Kreislaufwirtschaft ab. Bei der Effizienz geht es darum, Prozesse effizienter zu gestalten, was zu Kosteneinsparungen führen und so wirtschaftliche Vorteile generieren soll.

Anders sieht es bei der Lebensdauer aus. Wenn Produkte länger gebraucht werden, werden sie seltener gekauft. Bis zu einem gewissen Grad kann dieser Nachfragerückgang mit Preiserhöhungen kompensiert werden. Wenn jedoch der Wettbewerbsdruck zu gross ist, ist das kaum möglich.

In diesem Fall sind neue, zirkuläre Geschäftsmodelle erforderlich: Unternehmen verkaufen ihre Produkte nicht mehr nur, sondern vermieten sie auch. Sie werden sozusagen zum Dienstleister. Ein Beispiel liefert HP mit einem Mietangebot für Drucker. Das Unternehmen hat mit diesem neuen Wirtschaftszweig den Anreiz geschaffen, qualitativ hochstehende Drucker zu produzieren, die in der Wartung wenig Kosten verursachen.

Wo stehen wir in der Schweiz bei der Transformation zur Kreislaufwirtschaft?

In unserer Studie (siehe Box) haben wir gesehen, dass aktuell etwa 10 Prozent der Unternehmen substanziell in der Kreislaufwirtschaft aktiv sind und in den verschiedenen Handlungsfeldern Massnahmen ergriffen haben. Etwa 50 Prozent machen wenig und etwa 40 Prozent der Unternehmen haben bezüglich ökologischer Nachhaltigkeit in den letzten drei Jahren gar nichts gemacht.

Wie wird sich die Situation weiterentwickeln?

Gerade für die Schweiz ist Kreislaufwirtschaft auch aus ökonomischer Sicht zentral, weil wir nicht viele natürliche Ressourcen haben. Wir haben Humankapital, Steine, Kies, Wasser aber nicht viel mehr. Indem die Unternehmen Ressourcen effizienter nutzen und Abfälle reduzieren, können sie Kosten einsparen und gleichzeitig ihre Abhängigkeit von Zulieferern reduzieren. Das ist wichtig, denn nur wenn sich die Kreislaufwirtschaft für die Unternehmen lohnt, wird sie auch im breiten Stil umgesetzt werden. Wenn diese Marktanreize nicht ausreichen, werden früher oder später neue politische Massnahmen notwendig. Denn eines ist klar, ohne substanzielle Fortschritte in der Kreislaufwirtschaft werden wir unsere Umweltziele kaum erreichen.

Wie kann die Politik die Transformation unterstützen?

Bei den Preisen anzusetzen, ist in der Regel das effektivste Mittel. Werden die Rohstoffpreise erhöht, steigen die Kosten für die Unternehmen und eine effizientere Produktion lohnt sich schneller. Das Beispiel der CO2-Steuer zeigt allerdings, dass das häufig politisch nicht umsetzbar ist. Darum sind Subventionen und Regulierungen möglicherweise erfolgversprechender. Ein Beispiel ist das Recht auf Reparierbarkeit, wie es aktuell in der EU und auch in vielen anderen Ländern diskutiert wird.

Wie kann die BFH die Transformation unterstützen?

Zum einen natürlich mit Forschung. Unsere Forschung kann Unternehmen beispielsweise eine Orientierung geben, wo sie stehen und wo sie noch Verbesserungspotenzial haben sowie der Politik aufzeigen, wo noch Handlungsbedarf besteht. Darüber hinaus gibt es an der BFH viel Forschung, die sich direkt mit der Entwicklung von neuen Technologien zur Steigerung der Kreislaufwirtschaft beschäftigt, wie beispielsweise der Solarenergie oder dem Holzbau.

Zum anderen in Lehre und Weiterbildung, wo wir als Hochschule einen direkten Hebel haben, um das Umsetzungswissen zukünftiger Arbeitskräfte und so auch der Unternehmen zu steigern. Dieser Verantwortung sind wir uns bewusst. Genau deshalb haben wir mit dem «Master of Science Circular Innovation and Sustainability» einen neuen, interdepartementalen Studiengang lanciert.

Was sind die grössten Hürden auf dem Weg hin zur Kreislaufwirtschaft?

In erster Linie braucht es eine höhere Sensibilisierung. Denn ein Grossteil der Unternehmen scheint zu denken, dass es bisher gut gelaufen ist und auch so weitergehen kann. Ökologische Nachhaltigkeit ist für sie irrelevant. Anders kann ich mir nicht erklären, dass 40 Prozent der Unternehmen in den letzten drei Jahren diesbezüglich keine Massnahmen ergriffen haben.

Für die sensibilisierten Unternehmen ist eine Hürde sicher die Wirtschaftlichkeit. Denn Kreislaufwirtschaft umzusetzen, ist relativ komplex und teuer: Um Produkte langlebiger zu machen, müssen Unternehmen beispielsweise schon beim Design der Produkte ansetzen und den ganzen Produktionsprozess anschauen. Hinzu kommen technologische Herausforderungen, weil oft technologische Lösungen notwendig sind, um die Zirkularität zu optimieren.

Was ist Kreislaufwirtschaft nicht, was sind die häufigsten Irrtümer?

Der grösste Irrtum ist, dass Kreislaufwirtschaft gleich Recycling ist. Recycling ist die letzte Stufe der Kreislaufwirtschaft. Nehmen wir als Beispiel ein Velo: Wenn man ein Velo als Ganzes hat, ist es viel effizienter, es zu reparieren, eventuell mit hochwertigeren Teilen aufzuwerten und wiederzuverwenden, als das ganze Material einzuschmelzen und ein neues Velo daraus zu machen.

Gibt es auch Schattenseiten der Kreislaufwirtschaft?

Im Namen der Kreislaufwirtschaft wird relativ viel Greenwashing betrieben. Man sagt, etwas ist zirkulär, ohne genau anzuschauen, ob es auch eine ökologische Wirkung hat. Ich habe beispielsweise einen Beitrag über ein Unternehmen gesehen, das in Kalifornien Styropor recycelt und daraus Surfbretter herstellt. Der Unternehmer erzählte in diesem Beitrag, dass manche Leute seine Idee so toll finden, dass sie stundenlang mit dem Auto anreisen, um ihm das Styropor zu liefern. Das ist zwar auf eine Art zirkulär, macht aber ökologisch gesehen keinen Sinn. Wir müssen uns deshalb immer fragen, erhöht eine Massnahme nur die Zirkularität an sich, oder ist sie auch ökologisch sinnvoll?

Ihre Studie zum Stand der Schweizer Kreislaufwirtschaft ist abgeschlossen. Woran arbeiten Sie als Nächstes?

Wir wollen die Verbindung von Kreislaufwirtschaft und Digitalisierung genauer anschauen: Welche Formen von Digitalisierung unterstützen welche Arten der Kreislaufwirtschaft? Da gibt es viele spannende Möglichkeiten, aber bisher noch kaum breit abgestützte Forschung. Zudem wollen wir für die Schweiz ein Monitoring aufbauen, um zu schauen, wie sich die Verbreitung der Kreislaufwirtschaft über die Zeit entwickelt.

Erste Studie über den Stand der Schweizer Kreislaufwirtschaft

Die Kreislaufwirtschaft in der Schweiz hat grosses Potenzial: Das zeigen die Daten der ersten repräsentativen BFH/KOF-Studie bei Schweizer Unternehmen. Der Innovationsstandort Schweiz mit gut ausgebildeten Fachkräften und hohem Qualitätsstandard hat gute Voraussetzungen, die Chancen der Kreislaufwirtschaft künftig besser zu nutzen.

Circular Economy in Schweizer Unternehmen

Warum ist die Transformationsfähigkeit für die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Wirtschaft zentral? Prof. Tobias Stucki, Leiter des Instituts für Sustainable Business am Departement Wirtschaft, erklärt im Video, was daran so entscheidend ist und wie Unternehmen hier vorgehen können.

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Rubrik: Berner Fachhochschule