Durch Hebammenforschung die Profession stärken

05.05.2022 Lena Sutter und Carmen Wyss sind beide in der Hebammenforschung tätig. Im Interview erklären sie, warum diese zur Stärkung der Profession beiträgt.

Ihr beide seid in der Hebammenforschung tätig. Zu welchen Themen forscht ihr und wieso sind diese wichtig?

Carmen Wyss: Im Rahmen meines Doktorats forsche ich zum Thema Geburtsbetreuung bei Frauen, die mit einem BMI von 30 kg/m2 oder mehr in die Schwangerschaft gestartet sind. Im Projekt «OptiMAM» gehen wir der Frage nach, was eine optimale Betreuung ausmacht und wie diese spezifisch bei Frauen mit Mehrgewicht gestaltet werden kann. Frauen mit Mehrgewicht haben ein höheres Risiko für Geburtskomplikationen, für medizinische Interventionen während der Geburt und für ungünstige Folgen bei Mutter und Kind. Diese können zwar teilweise direkt mit dem Körpergewicht im Zusammenhang stehen, aber nicht alles lässt sich mit biomedizinischen Faktoren erklären. Es gibt Thesen, dass gewisse ungünstige Folgen indirekt mit der Betreuung zusammenhängen. Verschiedene Studien zeigen zum Beispiel, dass Frauen mit Mehrgewicht oft von Stigmatisierung und dadurch Ungleichbehandlung betroffen sind. Deshalb gilt es, die Herausforderungen auch aus einer psychosozialen Perspektive anzugehen, um die Qualität der Betreuung zu verbessern.

Lena Sutter: Mein Forschungsfokus liegt im Bereich der perinatalen psychischen Gesundheit. Im Rahmen meiner Masterarbeit entwickelte ich für meine zweite Arbeitsstelle an der Frauenklinik Inselspital Bern eine Advanced-Practice-Rolle in dem Bereich. Aktuell bin ich daran, dieses Angebot in der Klinik zu implementieren. Die zeitgleiche Tätigkeit in der Klinik und Forschung ermöglicht mir relevante Forschungsfragen aufzugreifen. Zudem können Synergien optimal genutzt werden. Beispielsweise haben wir in der Klinik ein systematisches Screening der psychischen Gesundheit eingeführt. Dieses Screening-Angebot wird nun durch eine Hebamme im Masterstudiengang evaluiert und dann entsprechend den Empfehlungen angepasst. 

Wie eng arbeitet ihr mit anderen Forschungsbereichen wie Ernährungsberatung oder psychiatrische Pflege zusammen? 

Lena Sutter: Im klinischen Alltag arbeite ich in einem interprofessionellen Setting. Mein APM-Angebot befindet sich an der Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Geburtshilfe. Die Zusammenarbeit mit den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern ist daher zentral. Alle Papiere, Konzepte und auch das Screening-Angebot haben wir interprofessionell entwickelt. 
Gerade bei Frauen mit psychischen Erkrankungen ist die interprofessionelle Zusammenarbeit wichtig. Perinatale psychische Erkrankungen betreffen nicht nur die Mutter, sondern das ganze Familiensystem. Oft sind viele Fachpersonen in der Betreuung involviert. Im Master- Modul versuche ich daher Gesundheitsfachpersonen aus verschiedenen Bereichen als Dozierende zu rekrutieren. Für die Studierenden, welche zukünftig eine Expert*innen-Funktion einnehmen, ist es wichtig, neben den theoretischen Grundlagen die Versorgungsangebote zu kennen. Daraus können auch Kooperationen entstehen. 

Carmen Wyss: Durch meine Doktormutter Prof. Dr. Jennifer Inauen stehe ich in Kontakt mit der Abteilung für Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Universität Bern, was hinsichtlich des Themas sehr bereichernd ist. Die Ernährung ist nur einer von vielen Faktoren, die Einfluss auf das Körpergewicht haben. Dazu kommt, dass das Projekt «OptiMAM» die Betreuung von Frauen im Geburtszeitraum betrifft. Das ist ein sehr enger Zeitraum, weshalb die Ernährung hier keine zentrale Rolle spielt.

Welche Rolle hat die Hebammenforschung für die Profession der Geburtshilfe?

Carmen Wyss: Evidenzbasierte Hebammenarbeit soll sicherstellen, dass alle Frauen, egal in welcher Situation – ob physiologisch oder hochkomplex –, eine wirksame und gleichzeitig individuelle, bedürfnisorientierte Betreuung erhalten. Deshalb braucht es Forschungen in den unterschiedlichsten Tätigkeitsbereichen. Durch die Hebammenforschung haben die Hebammen zudem die Möglichkeit, ihre Berufsgruppe zu stärken. Mit der Forschung zeigen wir nämlich auch unsere Kompetenzen auf – wie etwa im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention und wie sich dies auf das Gesundheitssystem auswirken könnte.

Lena Sutter: Ich kann diesen Punkten absolut zustimmen. Ich denke in Zukunft wird es immer wichtiger werden, dass wir die Wirksamkeit von unserer Arbeit belegen können. Gerade im Spitalsetting, wo der Kostendruck hoch ist, müssen wir nachweisen können, ob beispielsweise eine längere Beratung die Theapieadhärenz wirklich erhöht. Die Hebammenarbeit umfasst die Betreuung der Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettzeit, wo sie auch für das Neugeborene zuständig ist. Die Hebamme hat dadurch eine umfassende Perspektive auf die Mutterschaft. Daraus ergeben sich viele interessante Forschungsfragen.  

Welches sind aus eurer Sicht die drängendsten Themen, zu welchen Forschungsbedarf besteht? 

Carmen Wyss: Die Hebammenforschung steckt in der Schweiz noch in den Kinderschuhen und es gibt viele wichtige Themen. Klar ist: Es braucht unbedingt mehr Hebammenforschung und mehr Fachpersonen, die in diesem Professionsbereich arbeiten möchten. Dazu gehört auch, dass die Forschung und die Expert*innen-Arbeit als Teilbereiche des Hebammenberufs wahrgenommen werden und vermehrt Fördergelder für Projekte gesprochen werden. 

Lena Sutter: Seit es die Bachelor- und Master-Studiengänge für Hebammen gibt, ändert sich das nach und nach. Es ist sehr erfreulich, dass die Anmeldungen im Master-Studiengang kontinuierlich ansteigen. Dass sich Hebammen laufend weiterbilden, ist nötig, da die Komplexität im Beruf zunimmt, zum Beispiel hinsichtlich Risikofaktoren wie Alter oder chronischen Erkrankungen. 

Woran liegt es, dass noch wenig Fördergelder für eure Forschungsthemen gesprochen werden? 

Lena Sutter: Es liegt sicher nicht am fehlenden gesellschaftlichen Interesse, denn dieses ist enorm. Das sieht man, wenn man Berichterstattungen in Zeitungen und TV oder Beiträge in sozialen Medien beobachtet. Die Studie von Stefan Oelhafen zum Thema Zwang unter der Geburt zum Beispiel hat riesige Wellen geschlagen. Auch gibt es vermehrt Plattformen, wie z.B. anyworkingmom.com, die eine andere Form von Aufklärung und Betreuung fordern. Dennoch ist es schwierig für solche Themen Fördergelder zu erhalten. Im Gegensatz zu einer Erkrankung, die jeden Menschen treffen kann, betreffen geburtshilfliche Themen vor allem Frauen und diese auch nur in einer bestimmten Lebensphase. 

Carmen Wyss: Als weiteren Grund vermute ich, dass die Hebammenforschung noch nicht als eigenständiges Feld betrachtet wird und die Relevanz noch zu wenig präsent ist. Bei der Erforschung von Krankheiten ist es oft einfacher, zu begründen, warum man die Behandlung verbessern will. Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett sind keine Erkrankungen. Dennoch gibt es in der Geburtshilfe ebenfalls viel Potential, die Gesundheit zu schützen und zu verbessern.

Was wünscht ihr euch für die Zukunft der Hebammenforschung?

Lena Sutter: Dass mehr Hebammen einen Platz in der Forschung einnehmen und damit zu der Weiterentwicklung der Hebammenarbeit beitragen. Mir fällt ein ehemaliger Slogan des Hebammentages ein: «Es ist wichtig, wie wir geboren werden». MIt der Hebammenforschung können wir aufzeigen, warum es wichtig ist, was wichtig ist und wie wir das erreichen können. Dabei steht für mich nicht nur die Geburt selbst im Fokus, sondern auch die ganze Betreuung in der Schwangerschaft und die Erfassung des Umfelds, in welches das Kind geboren wird.

Carmen Wyss: Ich wünsche mir für die Hebammenforschung, dass wir dranbleiben, für die Gesundheit der Mütter, ihrer Kinder, der Familien. Aber auch für die Hebammen selbst, die tagtäglich so wertvolle Arbeit leisten. Und dass wir sie in ihrer Arbeit, die sie leisten, unterstützen – mit der Forschungsarbeit, die wir leisten.

 

Lena Sutter und Carmen Wyss
Lena Sutter (links) und Carmen Wyss sind beide in der Forschung Geburtshilfe an der BFH tätig.

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