Gemeinsam für die Altersthemen der Zukunft

13.05.2022 Ob Gesundheitsförderung oder unbezahlte Care-Arbeit – viele Fragestellungen der alternden Gesellschaft können nur interdisziplinär bearbeitet werden. Deshalb tragen die BFH-Departemente Gesundheit und Soziale Arbeit das Institut Alter seit Anfang Jahr gemeinsam. Im Interview werfen die Co-Leitenden Karin Haas und Jonathan Bennett einen Blick auf die nähere und fernere Zukunft.

Karin Haas, Sie sind Anfang des Jahres seitens des Departements Gesundheit zur Leitung des Instituts Alter gestossen. Wie kamen Sie als Ernährungswissenschaftlerin zum Thema Alter?

Karin Haas: Vor fast zwei Jahrzehnten, während meines Doktorats, hatte ich im Rahmen meiner Anstellung an der Universität in Wien am Institut für Ernährungswissenschaft an einem europäischen Projekt zum Thema «Age and Nutrition» gearbeitet. Aber so richtig umfassend zum Thema Alter kam ich erst hier an der BFH. 2009 haben wir gemeinsam mit der Sozialen Arbeit, der Hochschule der Künste und der Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften ein Projekt durchgeführt, das den Ernährungsalltag der älteren Bevölkerung nach der Pensionierung betrachtete. Da war sie dann plötzlich da, diese ganzheitliche Sichtweise, die mich begeistert. Diese Sichtweise versuche ich heute in der Forschung und in der Lehre zu leben, und sie ist mit ein Grund, wieso ich die Co-Leitung übernommen habe.

Jonathan Bennett, Sie wirken als Psychologe seit zwölf Jahren an der BFH im Bereich Alter,
die Hälfte davon in der Leitung des Instituts Alter. Zeichnete sich dieser Weg schon früh ab?

Jonathan Bennett: Nein, eher nicht. Ich habe davor als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der kantonalen Verwaltung gearbeitet und habe mich mit Themen der Spitalversorgung beschäftigt. Da haben alte Menschen sehr wohl eine Rolle gespielt, waren aber nicht die zentrale Zielgruppe. Mein Wechsel an die BFH hatte mit meinem generellen Interesse an angewandter Forschung zu tun. Dass es dann das Thema Alter wurde, war eher Zufall. Rückblickend bin ich dankbar für diesen Zufall (lacht).

Sie beide leiten nun zusammen das Institut Alter. In unserer Gesellschaft scheint das
Thema Alter allgegenwärtig, es spielt in die meisten Lebensbereiche hinein. Können Sie hier als Fachpersonen noch überall den Überblick behalten?

Jonathan Bennett: Ich glaube, es wäre generell vermessen zu denken, man könne in unserem wissenschaftlichen Themenfeld, in dem globalisierten Wissenschaftsbetrieb, so etwas wie den kompletten Überblick haben. Ich sehe unsere Aufgabe darin, Schwerpunkte
zu setzen und zu schauen, dass wir die richtigen Personen in den richtigen Netzwerken haben, um unser Fachwissen einbringen zu können. Zum Glück können wir uns dafür auf ein toles Team verlassen.

Karin Haas: Neben den vielen involvierten Bereichen wie Gesundheit, Wirtschaft oder Politik steht immer das Individuum im Zentrum. Diese Altersgruppe ist derart heterogen, die Vielfalt ist enorm, was dieses Thema nur noch spannender macht. Um den Überblick zu behalten, ist es wichtig, nicht nur interdepartemental, sondern auch transdisziplinär zusammenzuarbeiten. Nur so können wir dem Thema einigermassen gerecht werden.

Bleiben wir kurz bei den Schwerpunkten, die Jonathan Bennett angesprochenen hat. Können
Sie darlegen, welche Hauptthemen und Kompetenzen Sie mit dem Institut Alter belegen wollen?

Jonathan Bennett: Ich denke, dass die bisherige thematische Aufstellung des Instituts eine gute Grundlage für die weitere Entwicklung ist. Wir müssen nicht von einem Tag zum anderen alles umkrempeln. Manche der Themen, die wir heute schon bearbeiten, wie «Care im fragilen Alter», «Altersarbeit im kommunalen Sozialraum» und «alternde Gesellschaft» können sowohl sozial-gerontologisch als auch gesundheitswissenschaftlich angegangen werden. Wesentlich sind auch die Themen Gesundheitsförderung und Public Health: Da können wir von der Expertise des Departements Gesundheit enorm profitieren.

Karin Haas: Ich sehe das auch so. Viele unserer Themen sind so eng miteinander verknüpft, da finden wir schnell zusammen. Auch die gesundheitliche Ungleichheit ist ein wichtiges Thema, da viele soziale Aspekte für die Gesundheit eine förderliche beziehungsweise hemmende Rolle spielen können.

Jonathan Bennett: Lösungen zu finden drängt auch beim steigenden Pflege- und Betreuungsbedarf in der älteren Bevölkerung. Dieser kann bereits heute nicht mehr ausschliesslich durch die formell zuständigen Akteur*innen abgedeckt werden. Die Rolle der Zivilgesellschaft wird immer wichtiger – zum Beispiel von Angehörigen, die Betreuungsarbeit leisten, aber auch
von Freiwilligen, die Unterstützungsleistungen im Quartier erbringen. Da gibt es viele gesundheitswissenschaftliche und sozialpolitische Fragestellungen zur interprofessionellen Zusammenarbeit, aber auch zum gesellschaftlichen Wert unbezahlter Betreuung oder Care-Arbeit.

Diese Themen liessen sich von der Gesundheit und der Sozialen Arbeit aber gewiss auch
separat bearbeiten. Warum hat man sich für die interdisziplinäre Zusammenarbeit in einem Institut entschieden?

Jonathan Bennett: Das Themenfeld Alter lässt sich idealerweise interdisziplinär bearbeiten. Das ist an der BFH keine neue Erkenntnis, und entsprechende Bemühungen und Kooperationen bestehen ja auch schon länger – gerade im Care-Bereich. Initialzündung für diese institutionalisierte Zusammenarbeit war die Profilschärfung des Instituts Alter. In Gesprächen mit dem Departement Gesundheit kristallisierte sich bald heraus, dass sich beide Departemente als Stakeholder im Themenfeld Alter definieren. Dass es nun eine Co-Leitung, ein gemeinsames Team und eine gemeinsame finanzielle Verantwortung gibt, ist ein überzeugender
Schritt.

Karin Haas: Genau, solche Strukturen erleichtern die Zusammenarbeit, da diese nicht mehr vom Engagement Einzelner abhängt. Der gewählte gemeinsame Weg entspricht auch dem Trend zur Interdisziplinarität und wird dazu beitragen, dass wir mit unserer angewandten
Forschung verstärkt lösungsorientierte Innovationen für die Praxis entwickeln können.

Gibt es aus der früheren Zusammenarbeit Projekte, die in die neue Struktur übernommen wurden und die nun erste Früchte in Form von Forschungsresultaten abwerfen?

Karin Haas: Wir haben in der Tat schon erste Projekte gestartet. Im Projekt «Healthy up high», an dem neben dem Institut Alter auch das Departement Architektur, Holz und Bau beteiligt ist, wird ein multidimensionales Konzept entwickelt. Dieses basiert auf Ansätzen der
Gesundheitsförderung und einer community-basierten Sozialplanung. Dabei werden unter anderem die Bedürfnisse älterer Bewohner*innen in Berner Hochhaus-Siedlungen erhoben, um ihnen ein gesundes Altern in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen. Im Laufe dieses Jahres wird es die ersten Ergebnisse dazu geben.

Jonathan Bennett: Das Institut Alter weist in der Tat schon eine langjährige Tradition der Zusammenarbeit in Forschung und Weiterbildung auf. Der Demenzbereich ist beispielsweise ein typisches Anwendungsfeld, in dem zur bereits etablierten Zusammenarbeit mit dem Fachbereich Pflege nun auch das Fachwissen aus der Ernährung und Diätetik sowie der Physiotherapie besser einfliessen. In Planung sind auch Projekte im Bereich «Arbeitsmarkt und betriebliches Gesundheitsmanagement» und an der Schnittstelle «Betreuung und Digitalisierung», wo digitale Tools zivilgesellschaftliche Akteur*innen bei der Betreuung unterstützen sollen. Man wird den Erfolg der neuen Strukturen daran messen, dass ab 2022 noch mehr interdisziplinäre Projekte zustande kommen. Aber wichtig ist eben auch das neue Mindset, dass jedes Projekt im Institut Alter von nun an interdepartemental ist. Dazu kommt eine «Sharing-Kultur», die bereits jetzt im Team Einzug gehalten hat. Das fühlt sich schon fast ein wenig revolutionär an.

Und wie sieht es mit dem Wissenstransfer in die Praxis aus, gibt es da ebenfalls schon Projekte?

Karin Haas: Wir arbeiten derzeit an Weiterbildungsangeboten, die an der klassischen Schnittstelle von Pflege und Betreuung angesiedelt sind und sich stark an der Zielgruppe des Departements Gesundheit orientieren. Das Thema Gesundheit und Soziales im Alter bietet noch sehr viel Potenzial, das wir in den kommenden Jahren ausloten werden. Zudem möchten wir gemeinsam mit den Verantwortlichen der Bachelor- und Master-Studiengänge herausfinden, wo auch in der Lehre unser Wissen einfliessen kann. Diese ist schliesslich ebenfalls wichtig für den Wissenstransfer in die Praxis.

Das Institut Alter besteht nun seit zehn Jahren und hat in dieser Zeit einige Veränderungen mitgemacht. Wo, denken Sie, wird das Institut in zehn Jahren stehen?

Jonathan Bennett: Ich hoffe, dass das Institut Alter offen bleibt und als Nukleus in Altersfragen für verschiedenste Kooperationen zur Verfügung steht. Dafür wollen wir weiter die geeigneten Modelle finden. Zudem schwebt mir eine Öffnung über den Hochschulbereich hinaus Richtung Bürgerbeteiligung und «Citizen Science» vor. Eine solche Mitwirkung wird in Zukunft von der Öffentlichkeit wohl noch stärker eingefordert. Wenn sie gelingt, lässt sich dadurch echte gesellschaftliche Wirkung erzeugen.

Karin Haas: Zusammen mit dem Kompetenzzentrum für partizipative Gesundheitsversorgung haben wir auch sehr gute Chancen, uns hier gut zu positionieren. Ich habe auch die Vision, dass wir uns international in diesem Bereich etablieren und ein anerkanntes Institut über die Grenzen der Schweiz hinaus werden. Ein weiterer Wunsch meinerseits wäre es, dass die interdepartementale Kooperation auch in der Lehre zunehmend selbstverständlich wird und so auch neue und attraktive Studienangebote geschaffen werden.

Dr. Jonathan Bennett im Gespräch
Dr. Jonathan Bennett
Dr. Karin Haas im Gespräch
Dr. Karin Haas

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