Perinatale psychische Erkrankungen: Marginales stationäres Mutter-Kind-Therapieangebot in der Schweiz

22.04.2024 Psychische Erkrankungen von Frauen während und nach der Geburt eines Kindes sind verbreitet. Ist aufgrund der Erkrankung ein stationäres Setting nötig, gibt es in der Schweiz unterschiedliche institutionelle Angebote, um eine Trennung von Mutter und Kind zu vermeiden. Eine Erhebung der Berner Fachhochschule BFH nahm diese Angebote unter die Lupe. Dabei zeigte sich eine unklare Situation in Bezug auf Auslastung, Bedarf und Zugangsbarrieren, sowie wenig Wissen und Fokus in Bezug auf die Mutter-Kind-Beziehung.

Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit bis zu 20 % der Frauen von einer sogenannten perinatalen psychischen Erkrankung (PPE) betroffen sind. In Schweiz nimmt jede sechste Frau Hilfe aufgrund psychischer Probleme während der Schwangerschaft oder im ersten Jahr nach einer Geburt in Anspruch. PPE können nicht nur die Mutter belasten, sondern auch die Beziehung zum Kind und die familiäre Umgebung langfristig beeinträchtigen.

Studien und Richtlinien empfehlen, bei einer allfällige stationären Behandlung Mutter und Kind nicht zu trennen. In der Schweiz gibt es laut dem Verein «Postnatale Depression Schweiz» 120 stationäre Plätze für Frauen mit einer PPE. Dazu zählen psychiatrischen Kliniken mit Mutter-Kind-Angebot und Mutter-Kind-Institutionen. Im Rahmen eines Transferpraktikums sind zwei Masterstudentinnen der Frage nachgegangen, was das Versorgungsangebot dieser stationären Angebote für perinatal psychisch erkrankte Frauen beinhaltet. Dazu haben sie 9 Mutter-Kind-Institutionen und 10 psychiatrische Kliniken befragt.

Heterogenes Angebot in der Schweiz

Die beiden Hebammen konnten 98 Mutter-Kind-Plätze in der Schweiz dokumentieren. Dabei ist die Verteilung über die Kantone sehr ungleich: Nur in sieben von 26 Kantonen werden gegenwärtig solche Plätze angeboten. Der grösste Anteil haben die Kantone Zürich, Basel-Stadt und Bern.

Die Auslastung und Wartezeiten werden nicht systematisch erfasst: Bei Letzterem wird eine Spannbreite von einem Tag bis zu mehreren Monaten angegeben. Auch die Aufenthaltsdauer variiert stark.

Für eine gemeinsame Aufnahme von Mutter und Kind ist für alle Institutionen die Stabilität der psychischen Erkrankung ausschlaggebend. Akute Suizidalität, Suchterkrankungen, schwere Psychosen oder Selbst- und Fremdgefährdung sind Ausschlusskriterien. Ebenso müssen die Mütter ausreichend stabil sein, um die Kinderbetreuung selbständig zu übernehmen. Eine stundenweise Betreuungübernahme beispielsweise in der Nacht oder wenn die Mutter eine Therapiesitzung hat, ist nur bei genügend Fachpersonal möglich.

Eine weitere Hürde, besonders für finanziell schwach gestellte Familien und alleinerziehende Mütter, sind die zusätzlichen Kosten für den Aufenthalt des Kindes. Obwohl man weiss, dass die Beurteilung und Förderung der Mutter-Kind-Beziehung bei PPE wichtig ist, wird dies in der Schweiz kaum berücksichtigt. In den meisten Institutionen und Kliniken gibt es weder eine standardisierte Einschätzung der Mutter-Kind-Beziehung noch ein gemeinsames Behandlungsangebot.

Die erhobene Versorgungslage in der Schweiz weist auf eine mögliche Unterversorgung für Frauen mit PPE hin. Wegen mangelnder Datenlage kann dies jedoch nicht abschliessend beurteilt werden. Daher wäre die Einführung eines Monitoring-Systems wichtig. Ein systematisches Screening der Mutter-Kind-Beziehung sollte zur Früherkennung etabliert und ein spezifisches therapeutisches Angebot sichergestellt werden. Ebenfalls müssten Fachpersonen in diesem Bereich besser aus- und weitergebildet werden.

Die Autorinnen

Gabriela König
Gaby König ist Hebamme in der Universitätsklinik für Frauenheilkunde, Inselspital Bern und absolviert den MSc-Studiengang Hebamme an der Berner Fachhochschule.
Pascale Koller
Pascale Koller ist Hebamme in der Klinik Linde Biel und absolvierte den MSc-Studiengang Hebamme an der Berner Fachhochschule 2023.

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