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Mit allen Sinnen verwurzelt
13.08.2025 Was wir als Erwachsene essen, wird durch unsere Kindheit geprägt. Eine ganzheitliche Bildung zur Ernährung ist daher entscheidend. Dafür engagieren sich die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen der BFH-HAFL Eugenia Harms und Charlotte Bourcet.
Das Wichtigste in Kürze
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Kinder entwickeln ihre Ernährungsgewohnheiten früh – Bildung, Vorbilder und eine passende Essumgebung sind entscheidend für einen nachhaltigen Lebensstil.
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Die BFH-HAFL erforscht wirksame Ansätze zur Förderung gesunder Ernährung – von spielerischem Lernen bis zur Reduktion von Food Waste in Schulküchen.
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Mit Projekten wie «umami» und dem «Children’s Food Education Lab» sollen Ernährungsthemen strukturell verankert und Bildungsangebote für Kinder besser vernetzt werden.
Diese Zahlen alarmieren: In der Schweiz waren 2023 fast 12 Prozent der 6- bis 12-jährigen Kinder übergewichtig. Massnahmen rund um Ernährung sind also dringlich, besonders in der Prävention. Ein vielversprechender Ansatz: Bereits bei Kindern durch gute Bildung und entsprechende Ernährungsumgebung einen nachhaltigen und bewussten Lebensstil zu fördern. Auch der Bund verfolgt mit der Schweizer Ernährungsstrategie das Ziel, die Ernährungskompetenz der Bevölkerung zu stärken – dabei spielt die Forschung an der BFH-HAFL eine bedeutende Rolle.
Bewusst geniessen
Genussvoll, gesund und bewusst isst, wer in Sachen Ernährung kompetent ist. Und das kann von Klein auf gelernt werden. Dazu gehört, zu verstehen, wie Lebensmittel produziert werden, wann was Saison hat und wie man daraus schmackhafte Menüs kocht. Wichtig ist auch der bewusste Umgang mit Lebensmitteln – etwa um Food Waste zu vermeiden und Ressourcen zu schonen. «Diese so genannte Ernährungskompetenz erwerben wir nicht erst als Erwachsene. Ihre Wurzeln wachsen bereits in der Kindheit heran», erklärt Eugenia Harms, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Food Science & Management.
Wie Kinder das Essen und Trinken in ihrem Alltag erleben, beeinflusst ihre Ernährungsgewohnheiten lebenslang.
Prägende Phase
«Wie Kinder das Essen und Trinken in ihrem Alltag erleben, beeinflusst ihre Ernährungsgewohnheiten lebenslang», führt Ernährungswissenschaftlerin Harms aus. Dieses «Erleben» umfasst nicht nur, was im Bauch landet: Auch die Tischkultur wirkt auf unsere Gewohnheiten – Kinder ahmen gerne nach. «Liegt auf meinem Teller eine bunte Auswahl an frischen Lebensmitteln, inspiriert das die Kinder, ebenfalls farbenfrohe Optionen zu probieren», so Harms. Mit zunehmendem Alter prägt auch die Umgebung: der Mittagstisch in der Kita, die Gspändli in der Schule oder die Werbung auf YouTube. Die Einflüsse sind also zahlreich – genauso wie die Möglichkeiten, gesundes Essen zu fördern. Exakt hier setzt die Forschung von Eugenia Harms und Charlotte Bourcet, ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Food Science & Management, an.
Spielerisch entdecken
Kinder sind von Natur aus neugierig – eine Eigenschaft, dank der spielerisch für Ernährung begeistert werden kann. Eugenia Harms: «Besonders wirksam sind Aktivitäten, die unsere fünf Sinne ansprechen. Wie klingt eine frische Möhre? Schmeckt ein roter Apfel immer süss? Durch bewusstes Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten lernen Kinder verschiedenen Lebensmittel kennen und nehmen ihr Essen achtsamer wahr», sagt Harms.
Doch Spiel allein reicht nicht. Damit Ernährungsbildung nachhaltig wirkt, braucht es einen ganzheitlichen, strukturellen und ernährungspolitischen Ansatz. «Zum Beispiel die Integration von Ernährungsthemen in den Lehrplan oder das Angebot eines ausgewogenen Mittagstisches», so die Expertin, «und ergänzend dazu gezielte Erwachsenenbildung.» Gerade die Gemeinschaftsverpflegung habe einen grossen Hebel: Bis 2030 wird für die familienergänzende Kinderbetreuung der Stadt Bern ein Bedarf von mehr als einer Million Mahlzeiten pro Jahr erwartet.
In die Praxis
Die angewandte Forschung der BFH-HAFL zeigt auf, wie sich Massnahmen zur Förderung der Ernährungskompetenz von Kindern in der Praxis umsetzen lassen. Eugenia Harms und Charlotte Bourcet wollen unter anderem schweizweit Synergien schaffen, um ein ganzheitliches Denken in der Ernährungsbildung zu fördern. «Viele tolle Initiativen laufen parallel und sind sehr oft nicht miteinander vernetzt – dadurch verlieren sie an Wirkkraft», so Charlotte Bourcet.
Viele tolle Initiativen laufen parallel und sind sehr oft nicht miteinander vernetzt – dadurch verlieren sie an Wirkkraft
Kompetenz gegen Verlust
Food Waste ist ein zentrales Thema, wenn es um den verantwortungsvollen Umgang mit Lebensmitteln geht. Eine Erhebung an zwei Tagesschulen aus dem Jahr 2022 zeigte auf, dass fast ein Drittel der servierten Mahlzeiten im Abfall landen – vor allem Gemüse und Salat. Was kann dagegen getan werden? Die Lösung liegt gemäss HAFL-Expertinnen nicht nur in der Menge, sondern auch in der richtigen Balance zwischen den Vorlieben der Kinder und der Vielfalt des Angebots. Harms und Bourcet haben ihre Ansätze direkt in der Praxis erprobt: Das Tagesmenü wurde mit Foto anschaulich präsentiert und die Menge der zubereiteten Mahlzeiten reduziert. Mit einem «Probierlöffel» konnten die Kinder Portionen kosten und entscheiden, ob sie mehr davon möchten. Die Massnahmen zeigten Wirkung: Die Menge der Speisereste konnte um 14 Prozent reduziert werden. Und das ist erst der Anfang: «Diese Erkenntnisse sollen nun als Teil des Konzepts für nachhaltige Ernährung der Stadt Bern skaliert werden», zeigt sich Harms erfreut.
In der Primarschule beginnen
Wie lässt sich «Ernährungskompetenz» in Schulen verankern? Im Rahmen des Projekts umami entwickelt die BFH-HAFL gemeinsam mit dem Departement Gesundheit, der Pädagogischen Hochschule Wallis und der Stiftung Senso5 ein Bildungsprogramm für gesunde und nachhaltige Ernährung an Primarschulen. Das interdisziplinäre Team hat die wichtigsten Bausteine definiert, die Kinder brauchen, um ihre Ernährungskompetenz zu stärken. «Das Programm umami behandelt acht wesentliche Themen wie zum Beispiel die Herkunft von Lebensmitteln, bewusstes Essen und Food Waste», erklärt Charlotte Bourcet. Um die Eltern in den Bildungsprozess einzubeziehen, werden Familienaktivitäten durchgeführt, welche die Ernährungskompetenz innerhalb der Familie stärken. Die entwickelten Lerneinheiten sind voraussichtlich ab Oktober 2025 auf der umami Onlineplattform verfügbar.
Wandel gestalten
Das Projekt «Children’s Food Education Lab» geht noch einen Schritt weiter: Ziel des sozialen Labors ist es, Lösungen zu finden, um das fragmentierte System der Ernährungsbildung für Kinder effektiver und einheitlicher zu gestalten. «Über ein Jahr lang werden die elf Teilnehmenden aus der Schweizer Ernährungsbildung das bestehende System analysieren und daraus konkrete Massnahmen entwickeln, um den notwendigen Wandel voranzutreiben», so Bourcet. Erste Ergebnisse und Empfehlungen sollen Mitte 2026 vorliegen.