Milena Ryter – Distance Learning im Austauschsemester

Mit viel «Gwunder» im Gepäck reiste die Bachelor-Studentin Milena Ryter für ein Austauschsemester nach Aarhus (DK). Kaum hatte sie ihr Studienprogramm «Working in Context of Conflict and Disaster» aufgenommen, taumelte die Welt durch die Coronavirus-Pandemie in den Ausnahmezustand. Der Auslandaufenthalt wurde ruhig, aber keineswegs zum Desaster.

Milena Ryter
Der Studialltag im Ausnahmezustand muss nicht grau sein. Milena Ryter hat die Stadtrandgegend rund um ihr Wohnheim für Spaziergänge entdeckt.

Warum entschieden Sie sich für ein Austauschsemester in Dänemark und inwiefern spielte Ihr Studienprofil bei der Wahl eine Rolle?

Ein Semester vor der Bachelor-Thesis bot es sich ideal an, ein Austauschsemester zu planen. Dieses sollte zu meinem bisherigen sozialarbeiterischen Profil passen. Während meiner Praktika hatte ich herausgefunden, dass mich die beratende Tätigkeit und der Umgang mit Konfliktsituationen besonders ansprechen. Bei der Wahl achtete ich vor allem darauf, welche Studienprogramme mich interessieren und wie diese an mein Studium angerechnet werden können. Vom Programm «Working in Context of Conflict and Disaster» hier in Aarhus verspreche ich mir viel methodisches und theoretisches Wissen nach Hause zu nehmen.

Kaum hatte aber Ihr Austauschsemester begonnen, schloss die Hochschule wegen COVID-19 ihre Tore. Haben Sie sich überlegt wieder heimzukehren?

Ja, das habe ich. Einige Studierende sind auch heimgekehrt und beenden das Austauschsemester nun per Distance Learning. Dänemark leitete sehr rasch Massnahmen ein. Da hiess es: «Wir schliessen die Schulen, die Grenzen, wir schliessen alles». Innerhalb meiner Klasse wurde die Verunsicherung gross: Müssen wir nun alle das Land verlassen? Es gab Hochschulen, die ihre Studierenden aufforderten heimzukehren. Ich habe von der BFH keine solche Aufforderung bekommen.* So versuchte ich, die Situation rational zu erfassen: Was will ich und warum? Hier in Dänemark habe ich wie in der Schweiz alles, was ich brauche. Ich bin hier umgeben von jungen, gesunden Leuten. In der Schweiz stelle ich für mein Umfeld ein grösseres Risiko dar. Daher entschied ich mich hier zu bleiben. Die Distanz zu Familie und Freunden fühlt sich dadurch aber manchmal noch grösser an.

(*Anm. d. Red.: Die BFH pflegt regelmässigen Kontakt mit ihren Studierenden im Ausland. Im FS 2020 befanden sich fünf Studierende im Ausland. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie blieben drei von ihnen vor Ort und beendeten ihr Austauschsemester im Distance Learning. Zwei Studierende im Praxissemester kehrten aus dem Ausland zurück.)

Wie haben Sie das Umstellen auf Distance Learning erlebt?  

Die Hochschule musste sehr rasch umstellen. Gerade die Kommunikation zwischen der Hochschule und den Studierenden funktionierte aber von Beginn an sehr gut. Ein grosses Bravo an die Programmverantwortlichen. Sie reagierten schnell und transparent und gingen situativ auf unsere Anliegen ein. Man sieht inzwischen auch eine Entwicklung der Inhalte und des Aufbaus des Distance Learnings. Eine Herausforderung für uns Studierende sind die Konzentration und Motivation. Da die Vorlesungen nun auch aufgezeichnet werden, sind die Inhalte nachträglich abrufbar. Das ist ein grosser Vorteil, wenn ich den Kopf einmal nicht bei der Sache behalten kann.

Sehen Sie Distance Learning auch als eine Option für die Zukunft?

Ich bevorzuge eindeutig das Lernen vor Ort. Ich profitiere mehr in einem Setting, in dem Gestik und Blickkontakt Teil der Kommunikation sind und Dozierende spontan etwas aufzeichnen und erläutern können. Das Nachfragen funktioniert ebenfalls einfacher. Gewisse Inhalte können jedoch durch digitale Formate ebenso gut vermittelt werden. So wurde uns beispielsweise eine besprochene PowerPoint-Präsentation zur Verfügung gestellt, die wie ein visuell unterstützter Podcast wirkte. Das funktioniert für mich besser als eine mehrstündige Vorlesung.

Wo wohnen Sie und was bekommen Sie von Ihrem Hochschulumfeld noch mit?

Ich wohne im äusseren Stadtteil Brabrand, im Skjoldhøj-Kollegiet, einem grossen Wohnheimkomplex. Es sieht etwas bunkermässig aus, hat aber dadurch auch einen gewissen Charme. Die meisten internationalen Studierenden kommen hier in verschiedenen Dorms unter. In meinem Dorm gibt es zwölf Zimmer mit eigenem Bad, eine Gemeinschaftsküche und einen Wohnraum. Momentan sind wir zu siebt. Unsere Wohngruppe ist seit Beginn nicht gerade sozial aktiv. Das heisst, wir sind kaum zu denselben Zeiten in der Küche und essen auch nicht zusammen. Das Distanzhalten ist in unserem Fall also nicht so schwierig (lacht). Zu den Studierenden aus meiner Klasse habe ich trotz COVID-19-Ausbruch weiterhin regen fachlichen und privaten Austausch. Ob wir nun bereits zuhause sind oder noch in Dänemark – wir stecken alle in derselben Situation. Das hat uns nähergebracht. Mit einigen, die noch hiergeblieben sind, treffe ich mich regelmässig zu zweit oder zu dritt auf Spaziergängen.

Während eines Austauschsemesters stehen sozialer und kultureller Austausch im Vordergrund. Wie nehmen Sie im Moment am Stadt- und Kulturleben teil? Welche Möglichkeiten haben Sie?

Ich weiss, dass es mir zurzeit nicht möglich ist frisch und frei Kontakte zu knüpfen. Diejenigen Kontakte aber, die ich in den ersten Wochen auch ausserhalb des Hochschulumfelds knüpfen konnte, haben enorm viel Raum und Tiefe bekommen. Das Kulturleben: Ja, das liegt im Moment brach. Es ist ruhig. Es ist still. Genau das ermöglicht mir aber auch andere Perspektiven. Auf meinen Spaziergängen gehe ich durch Gegenden, die ich sonst vielleicht nie entdeckt hätte. Es ist halt anders. Gerne hätte ich einen Dänischkurs besucht. Der fiel ins Wasser. Ich habe trotzdem ein paar Wörter gelernt, mit denen ich mich im Alltag versuche. Ursprünglich wollte ich nach dem Semester in Schweizer Begleitung durch das Land reisen, was so nun nicht funktionieren wird. Falls sich die Situation allmählich lockern sollte, möchte ich trotzdem reisen. Vielleicht allein. Vielleicht kommt jemand von hier mit.

Was nehmen Sie von diesem Auslandaufenthalt mit?

Fachlich gesehen: Sicher viel relevantes Wissen für mein Studium und meinen zukünftigen Berufsalltag. Generell: Ich bin ein Mensch, der sich gerne in klaren Strukturen bewegt. Was ich hier lernen durfte, ist Gelassenheit. Jeder Tag ist anders, jeder Tag ist neu. Der Alltag wurde komplett entschleunigt. Ich habe plötzlich Zeit mich selbst zu beobachten, zu reflektieren und herauszufinden, wer ich bin und was ich will – ganz unabhängig von anderen. Ich begab mich auf eine Reise und malte mir einen Weg aus ans Ziel. Nun hat sich der Weg stark geändert. Froh hier zu sein, bin ich trotzdem.

 

Interview vom 7. Mai 2020

 

Persönlicher Steckbrief

Departement

Soziale Arbeit

Studiengang

BSc Soziale Arbeit

Anzahl Studiensemester

6. Semester

Jahrgang

1992

Studienort im Ausland

Aarhus, Dänemark

Partnerhochschule

VIA University College

Studienprogramm

Working in Context of Conflict and Disaster

Zeitraum Austauschsemester

FS 2020, Februar - Juni

Persönliche Entdeckung

Ausgiebige Spaziergänge