«Dann können wir etwas im Leben von diesen Kindern verändern …»

06.10.2022 Sandra Geissler ist die Leiterin der Schulsozialarbeit der Stadt Bern. Die Institution versteht sich als Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche, Eltern sowie Betreuungs- und Lehrpersonen bei sozialen Fragen, Problemen und Krisen. Wir haben die Expertin gefragt, welche Rolle der Kindesschutz in ihrer Arbeit spielt.

Sandra Geissler, Leiterin der Schulsozialarbeit der Stadt Bern
«Wenn es uns gelingt, Vertrauen aufzubauen und die Situation der Familie zu verstehen, können wir gute Hilfsangebote vermitteln.», sagt Sandra Geissler

Frau Geissler, inwiefern ist für Sie als Leiterin der Schulsozialarbeit das Thema Kindesschutz wichtig?

Kindesschutz ist nicht nur für die Schulsozialarbeit wichtig, sondern für die ganze Gesellschaft. Es geht darum, wie wir eine Familie früh abholen können, damit sie in ihrer spezifischen Situation unterstützt wird. Schulsozialarbeit ist für mich das Fachgebiet, das frühen Kontakt ermöglicht. Sowohl mit den Kindern, die ja die Schule besuchen und vielleicht etwas erzählen, als auch mit den Eltern. Wichtig ist, dass sie die Hilfe als Unterstützung und nicht als Kontrolle erleben. Wenn es uns gelingt, Vertrauen aufzubauen und die Situation der Familie zu verstehen, können wir gute Hilfsangebote vermitteln. Dann können wir etwas im Leben dieser Kinder verändern. Deshalb ist Kindesschutz in der Schulsozialarbeit ein zentrales Thema.

Was braucht es für eine erfolgreiche Kooperation zwischen der Schulsozialarbeit und Fachpersonen des behördlichen und freiwilligen Kindesschutzes?

Es braucht ein gemeinsames Fallverständnis, viel Austausch und die Offenheit, vom vorliegenden Fall zu lernen. Die Herausforderung ist, mit den unterschiedlichen Ansprüchen der beteiligten Institutionen umzugehen. Hier bringt schon allein eine Klärung der Erwartungen viel und dann braucht es eine gute Abstimmung. Die freiwillige Kooperation ist immer der Königsweg. Doch das Wichtigste und gleichzeitig das Schwierigste ist es, zu erkennen, wo wir mit der Freiwilligkeit nicht mehr weiterkommen, weil die Familie zu wenig Ressourcen hat.

Um noch auf den dritten Punkt zurückzukommen, den ich genannt hatte: Die Lernbereitschaft ist für mich eine besondere Qualität in Kindesschutzfällen. Die Fachpersonen des behördlichen und freiwilligen Kindesschutzes blicken unterschiedlich auf die Fälle. Wenn hier alle ohne Schuldzuweisungen bereit sind zu lernen, ist die Zusammenarbeit sehr fruchtbar. Denn in der Situation eines konkreten Falles tun alle jeweils das Bestmögliche. Doch der Wissensstand kann sich ändern und in der Rückschau hätte man eventuell anders gehandelt. Daraus lernen wir und mit dem nächsten Fall lernen wir wieder.

Was kann und soll eine Weiterbildung zum Thema Kindesschutz in der Schulsozialarbeit leisten?

Da fallen mir viele Punkte ein: Die Teilnehmer*innen sollten sich insofern mit dem Thema auseinandersetzen, dass sie merken, dass es eben ein ständiges Lernen ist. Kindesschutz in der Schulsozialarbeit ist ein nie abgeschlossener Prozess. Wichtig ist auch, das Vier-Augen-Prinzip und die Perspektivenvielfalt in diesem Arbeitsfeld zu verinnerlichen. Die Weiterbildung sollte den Kindesschutz in der Schulsozialarbeit als Teildisziplin der Sozialen Arbeit einordnen und gleichzeitig den Fachpersonen konkrete Hilfsmittel und Standards an die Hand geben, um ihre Arbeit zu optimieren. Da diese ständig weiterentwickelt werden, muss eine Weiterbildung auch zwingend den neusten Stand der Profession abbilden.

Interview: Regina Jenzer

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