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Wir müssen Systeme schaffen, die auf Wandel reagieren

18.06.2025
Urbane Räume müssen als ökologisches System gedacht und geplant werden. Prädestiniert für diese Planung ist die Landschaftsarchitektur. Statt bloss als Fachdisziplin zu agieren, hat die Landschaftsarchitektur das Zeug, die Federführung zu übernehmen. Davon ist Daniel Baur, Landschaftsarchitekt und Professor an der Berner Fachhochschule, überzeugt.

Das Wichtigste in Kürze

  • Urbanes Abstandsgrün birgt enormes Potenzial und soll aktiv für Klima und Biodiversität genutzt werden.
  • Herausforderungen wie Artenvielfalt, Klima und Wassermanagement erfordern einen parzellenübergreifenden, vernetzten Planungsansatz im Städtebau
  • Ein neuer Bachelor-Studiengang ist nötig, um künftigen Herausforderungen gerecht zu werden und den steigenden Bedarf an Landschaftsarchitekt*innen zu decken.

Das Potenzial urbaner Räume für die Biodiversität sei gross, sagen Sie. Lässt sich das quantifizieren?

Das Potenzial ist enorm. Wir haben eine Studie gemacht in den Quartieren Bümpliz, Stöckacker und Ausserholligen in Bern und haben dort 42,5 Hektaren Land gefunden, das nur als Rasen gemäht wird und das keine für die Gesellschaft wichtigen Funktionen hat. Auf diesen insgesamt riesigen Flächen spielen zum Beispiel keine Kinder. Das ist einfach Brachland zwischen Bauten.

Sie reden also vom klassischen «Abstandsgrün».

Genau. Unsere Städte sind aufgrund von Abstandsregeln und Baulinien geformt worden. Das Dazwischen ist verloren gegangen und zum Abstandsgrün degradiert worden. Im Rahmen der Siedlungsentwicklung nach Innen sind diese Flächen nicht bedroht, aber ihr Potenzial liegt brach.

«Klimawandel und Biodiversität machen nicht an Parzellengrenzen halt – unsere Planung darf das auch nicht.»

  • Prof. Daniel Baur Landschaftsarchitekt und Stadtentwickler | BFH

Warum ist das so?

Es liegt vor allem daran, dass die Eigentümerschaften nur die Kompetenz haben, über ihre eigene Parzelle zu entscheiden. Aber die aktuellen klimatischen Herausforderungen machen nicht Halt an der Parzellengrenze. Das gilt für die Regenwasserwirtschaft, für die Biodiversität und die klimatischen Luftkühlungsprozesse. Das heisst: Es braucht Politik und Verwaltungen, die Ziele festlegen und aufzeigen, wie sich das Potenzial dieser Flächen für unsere Zukunftsfähigkeit nutzen lässt und Akteure, die Verantwortung dafür übernehmen. Es braucht die privaten Eigentümerschaften, die bereit sind, ihr Abstandsgrün als Teil eines Gesamtsystems zu verstehen. Und zusätzlich braucht es ein neues Berufsfeld – eine Art urbane Grünraum-Pfleger*innen mit spezifischem Wissen - die diese Flächen bewirtschaften und nicht nur ein bisschen mähen. Kurzum: Ein systemischer Städtebau ist zwingend gefragt, in welchem sich die Planerinnen und Planer nicht nur als Dienstleistende für eine Parzelle verstehen. Dieses Abstandsgrün müsste als zusammenhängendes Ökosystem betrachtet werden.

Welche Rolle spielt dabei die Landschaftsarchitektur?

Wenn man von städtebaulichen Kompetenzen spricht, hat die Architektur Aussagen über grosse Gesten entwickelt. Im Gegenzug liegt bei der Landschaftsarchitektur die Kompetenz, mit wenig starke und robuste Systeme zu erarbeiten. Genau diese Kompetenz braucht es heute. Darum müssten die Landschaftsarchitektinnen und -architekten nicht als Fachspezialist*innen agieren, sondern die Federführung im Städtebau und der Stadtentwicklung übernehmen.

«Biodiversität ist keine Frage der Artenanzahl, sondern der ökologischen Zusammenhänge. Nur wer in Systemen denkt, kann lebensfähige Städte für den Wandel schaffen.»

  • Prof. Daniel Baur Landschaftsarchitekt und Stadtentwickler | BFH

Sie reden im Konjunktiv. Warum übernehmen die Landschaftsarchitektinnen und -architekten die Führung nicht?

Hier gibt es ein Manko. Zum einen fehlt es zum Teil am Selbstbewusstsein. Die Landschaftsarchitektinnen und -architekten müssten sich die Kompetenz schlicht anmassen und dafür einstehen, dass es mehr braucht als bloss bis zur Parzellengrenze zu begrünen. Das entspricht auch der Realität. Denn wenn wir uns städtebauliche Projekte oder die aktuellen Herausforderungen anschauen, entscheidet letztlich immer die Landschaftsarchitektur: Die freiräumliche Qualität und Robustheit des städtebaulichen Entwurfs liegen im Freiraum und nicht in den Gebäuden. Zum andern braucht es ein anderes Planungsverständnis und die Einsicht, dass Gestaltungsfragen über die Parzellengrenze greifen. Wenn das Abstandsgrün zukunftsfördernd werden soll für die Biodiversität und Klimafragen, dann müsste die Ausbildung entsprechend entwickelt werden.

Ist das ihre persönliche Sicht?

Das höre ich von vielen Landschaftsarchitektur-Büros in der Schweiz. Und das hat sich auch bei Befragungen bei Leitenden von Planungsämtern von Bern, Thun, Langenthal und Biel ergeben.

Müssten die Bildungsstätten also auf diese Forderung reagieren?

Ich glaube nicht, dass eine Institution sich diesen Fragen entziehen kann. Ich bin aber der Meinung, dass es zur Ergänzung der bestehenden Angebote auch ein entsprechendes Studienangebot an der Berner Fachhochschule BFH braucht. Ich verstehe das nicht als Konkurrenz, sondern als dringend nötiges Angebot – nicht zuletzt, weil die bestehenden Ausbildungsinstitutionen gar nicht genügend Landschaftsarchitektinnen und Landschaftsarchitekten ausbilden können. Die Nachfrage in Büros und Verwaltungen ist riesig. Ein Bachelor-Studium in Landschaftsarchitektur in Bern sehe ich als Ergänzung der Vielfalt, auch weil wir neue Lehrmodelle ausprobieren könnten.

«Das Abstandsgrün ist das ökologische Kapital der Zukunft.»

  • Prof. Daniel Baur Landschaftsarchitekt und Stadtentwickler | BFH

Welches müsste denn die zentralen Punkte im Curriculum sein?

Bisher hat sich die Landschaftsarchitektur über räumliche Begriffe wie Freiraumplanung und -gestaltung sowie Landschaftsplanung und -gestaltung definiert. Die Aufgaben haben sich traditionell auf Siedlungen und Landschaft bezogen. Mit Blick auf die beiden grossen Herausforderungen Klimawandel und Siedlungsentwicklung gegen Innen stösst die räumliche Definition an Grenzen. Im Zentrum sollte eine systemische Definition der Landschaftsarchitektur stehen, die vermittelt, wie ökologische, soziale und räumliche Systeme miteinander verknüpft sind und funktionieren. Ziel ist es, Kompetenzen zu entwickeln, um diese komplexen Zusammenhänge zu verstehen und gestalterisch umzusetzen. Letztlich stellt sich die Frage, wie sich diese Systeme konkret im Raum manifestieren und durch landschaftsarchitektonische Maßnahmen sichtbar werden.

Wie käme das anfangs erwähnte Potenzial der Biodiversität in urbanen Räumen in einem neuen Studienangebot zum Tragen?

In der Stadt haben wir an vielen Orten eine höhere Artenvielfalt als auf dem Land. Aber das ist zu oberflächlich gedacht, denn es geht nicht nur darum, möglichst viele Pflanzen zu haben, in der Annahme, das sei ökologisch wertvoller. Biodiversität ist nicht eine Frage der Erbsenzählerei. Wir müssen in Systemen denken und mitdenken, dass sich auch Ökosysteme aufgrund des Klimawandels ändern werden. Denken Sie nur an die Niederschlagsmengen und -arten. Wir müssen Systeme schaffen, die auf Wandel reagieren können.

Gartenlandschaft mit Rotem Container, Beeten, Bäumen und Grasfreiflächen

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