Neuer Master für die Nachhaltigkeitsexpert*innen von morgen

15.12.2021 Im Herbst lancierte die Berner Fachhochschule BFH den neuen Master-Studiengang «Circular Innovation and Sustainability». Im Interview geht Prof. Dr. Filippo Lechthaler, der den neuen Studiengang massgeblich mitentwickelt hat, auf Stärken, Inhalte und Zukunftsperspektiven des neuen Angebots ein.

Interview mit Filippo Lechthaler, Leiter Abteilung Masterstudien HAFL
Prof. Dr. Filippo Lechthaler ist Leiter der Abteilung Masterstudien HAFL und Projektleiter des Master-Studiengangs «Circular Innovation and Sustainability» (Bild: zvg)

Im September 2022 startet der erste Master-Studiengang «Circular Innovation and Sustainability» an der BFH. Was ist die Stärke dieses neuen Angebots?

Der Studiengang ist eine Antwort auf aktuelle gesellschaftliche und politische Entwicklungen sowie auf langfristige Trends zu ressourcenverträglichen Wirtschaftssystemen. Zur nachhaltigen Transformation gehören die Politik beziehungsweise innovationsfördernde Anreize aus dem Regulierungsumfeld sowie bessere Produkte, die markttauglich und gesellschaftsorientiert sind. Unser Studiengang setzt an dieser Schnittstelle an.

Die Student*innen erwerben eine Zielgruppenorientierung, die nicht nur ein technologisches Problemverständnis entwickelt, sondern auch eines, das in der Gesellschaft, der Politik und bei verschiedenen weiteren Akteuren abgestützt ist. Der interdisziplinäre Studiengang vermittelt nicht nur technologische und ökologische, sondern auch betriebswirtschaftliche und sozialwissenschaftliche Kompetenzen mit Methoden in Bereichen wie Design oder Partizipation.

Wie grenzt sich das Angebot der BFH von anderen ab?

Erstens durch die fachliche Breite, die Interdisziplinarität und die Verbindung der verschiedenen Kompetenzen. Zweitens durch den Fokus auf die Kreislaufwirtschaft. Und drittens – typisch für Fachhochschulen – durch den Praxisbezug in Form eines konkreten Projekts, mit dem sich Student*innen spezialisieren können.

Welchem gesellschaftlichen Bedürfnis trägt der neue Master-Studiengang Rechnung?

Wenn wir den Übergang von linearen zu zirkulären Wertschöpfungsketten nicht schaffen, werden wir die Belastungsgrenze des Systems Erde weiter strapazieren und eine nachhaltige Interaktion Mensch-Umwelt-Wirtschaft wird nicht möglich sein. Deshalb bilden wir Fachleute aus, die ein fundiertes Verständnis für eine nachhaltige Transformation mitbringen und ihr Wissen in der Praxis umsetzen können.

Haben Sie aus diesem Grund schon früh Praxispartner miteinbezogen?

Ja, wir haben ausgewählte Vertreter*innen des Arbeitsmarkts und Student*innen miteinbezogen, um unser Kompetenzmodell zu spiegeln und zu prüfen, ob wir auf dem richtigen Weg sind. Die Idee ist, den Kontakt zum Arbeitsmarkt weiter auszubauen. Auch Partner*innen an Bord zu haben, mit denen wir Lehre und Praxis über gemeinsame Fallstudien verbinden können.

Der Studiengang legt grossen Wert auf Interdisziplinarität. Warum ist das so wichtig?

Um Projekte im Bereich der nachhaltigen Transformation umsetzen zu können, braucht es zum einen Interdisziplinarität, also die Verbindung verschiedener Fachrichtungen, zum anderen Transdisziplinarität, also die Kompetenz, die richtigen Akteure aus verschiedenen Wissenssystemen ins Projekt einzubeziehen. Es erfordert zudem die Fähigkeit, nicht nur aus wissenschaftlicher Sicht zu argumentieren, sondern ganzheitliche und zusammenhängende Betrachtungen anzustellen.

Welche Fähigkeiten werden die Student*innen in den beiden Bereichen «Innovation» und «Nachhaltigkeit» konkret erwerben?

Wir können die Fähigkeiten und Kompetenzen in drei Themengebiete zusammenfassen: Erstens Produkt- und Prozessinnovation, also das technische Verständnis der zirkulären Verwendung von Produktionsfaktoren. Zweitens zirkuläre Geschäftsmodelle, also die Frage, wie diese Innovation auch betriebswirtschaftlich umgesetzt werden kann. Drittens die Schnittstelle von der Innovation zu ihrem Umfeld, beispielsweise zu Gesellschaft und Politik – dabei geht es um die Fragestellung, wie alle für ein Projekt relevanten Aspekte methodisch, thematisch und konzeptionell erfasst werden können.

Zentraler Punkt des Studiums ist die Praxisorientierung, die den Student*innen eine individuelle Spezialisierung erlaubt.

Genau, die Student*innen sollen individuelle Schwerpunkte setzen können. Dies zum einen, indem sie einen Teil der Module entsprechend ihrer bisherigen Ausbildung und ihres angestrebten Tätigkeitsfelds zusammenstellen können. Zum anderen arbeiten sie im Rahmen eines selbst gewählten Projekts beispielsweise an einer eigenen Geschäftsidee, an einem Projekt eines Praxispartners oder greifen ein aktuelles Thema auf. Das Ziel ist, dass sie die im Studium erworbenen Kompetenzen erfahrungsbasiert umsetzen können. Dabei werden sie von BFH-Expert*innen begleitet.

Weitere Informationen zum neuen Master-Studiengang

Können Sie ein, zwei Beispiele nennen, wie so ein Projekt aussehen könnte?

Im Bereich von Lebensmittelnebenprodukten könnte eine Fragestellung sein, wie Obstpressrückstände oder Biertreber sinnvoll weiterverwertet werden können. Weiter gibt es viele Ideen im Bereich der Mehrfachnutzung nachwachsender Rohstoffe wie zum Beispiel Holz. Im Bereich der Digitalisierung könnten verbesserte Informationssysteme entwickelt werden, beispielsweise für geteilte Nutzungen im Rahmen der Sharing Economy.

In welchen Berufsfeldern werden die Absolvent*innen in Zukunft tätig sein?

Je nach individueller Spezialisierung ist das unterschiedlich. Mit der aktuellen Regulierungs- und Marktdynamik werden sich künftig alle Organisationsformen stärker mit Ressourceneffizienz oder der Reduktion fossiler Ressourcen auseinandersetzen müssen. Der öffentliche Sektor braucht entsprechende Kapazitäten in Forschung, Beratung und Begleitung und der private Sektor im Bereich Entwicklung und Management. Mögliche Einsatzgebiete sind Ingenieurtätigkeiten mit Kreislauffokus, Nachhaltigkeitsberatung, generell Projektleitung und Management mit Nachhaltigkeitsbezug oder eben auch das Umsetzen eigener erfolgreicher Geschäftsideen.

Und wie profitieren Unternehmen, Organisationen oder Verwaltung, wenn Sie dereinst Absolvent*innen dieses Studiengangs einstellen?

Sie holen sich Fachleute mit einem vertieften fachlichen Verständnis und Kompetenzen im Bereich Kreislaufwirtschaft ins Boot. Unsere Absolvent*innen werden ein ganzheitliches und vernetztes Verständnis von nachhaltiger Entwicklung mitbringen und können jegliche Form von Transformationsprozess in einem Unternehmen und in der Öffentlichkeit vorantreiben.

Zur Person und zum Kernteam

Prof. Dr. Filippo Lechthaler ist Leiter der Abteilung Masterstudien HAFL, Projektleiter Master-Studiengang «Circular Innovation and Sustainability» und Mitglied des Kernteams, das den neuen Master-Studiengang massgeblich entwickelt und vorangetrieben hat. Ebenfalls im Kernteam engagiert waren Prof. Dr. Tobias Stucki, Co-Leiter des Instituts Sustainable Business am Departement Wirtschaft und Prof. Dr. Frédéric Pichelin, Leiter des Bereichs Forschung, Dienstleistung und Weiterbildung am Departement Architektur, Holz und Bau.

Interdisziplinarität als Mehrwert

Der Master-Studiengang «Circular Innovation and Sustainability» ist ein interdisziplinäres Angebot, bei dem sieben Departemente der BFH ihre Expertise zu den Themen Kreislaufwirtschaft und Nachhaltigkeit einbringen. Die Initiierung des Master-Studiengangs ist ein wichtiger Schritt für die BFH im Rahmen des strategischen Themenfelds «Nachhaltige Entwicklung». Möglich wurde dieses Angebot durch die engagierte Zusammenarbeit vieler BFH-Mitarbeiter*innen. Einige von ihnen erläutern hier in kurzen Statements, welche Aspekte aus ihrem Departement einfliessen.

Prof. Dr. Tobias Stucki, Co-Leiter Institut Sustainable Business, Departement Wirtschaft, Mitglied des Kernteams Master CIS

«Das Innovativste an diesem Master ist die Interdisziplinarität – und zwar sowohl auf Dozent*innen- wie auch auf Student*innenseite. Wir werden mit unserem Departement die Unternehmensperspektive in den Master einbringen. Diese Perspektive ist zentral, denn die Kreislaufwirtschaft stellt Unternehmen und Organisationen vor neue Herausforderungen. Wir vermitteln unseren Student*innen Tools und Methoden, damit sie diese Herausforderungen künftig erfolgreich angehen und richtige «Change Agents» werden.»

Prof. Dr. Frédéric Pichelin, Leiter Forschung, Dienstleistung und Weiterbildung, Leiter Institut für Werkstoffe und Holztechnologie am Departement Architektur, Holz und Bau, Mitglied des Kernteams Master CIS

«Die Kreislaufwirtschaft verlangt breites Wissen an der Schnittstelle zwischen Rohstoffversorgung, Energieproduktion, Produktionstechnologie und Produktentwicklung. Durch eine intelligente Kombination dieser Themenbereiche werden innovative und nachhaltige Produkte sowie Technologien auf dem Markt umgesetzt. Neben Wissensvermittlung setzen wir innovative Designmethoden ein. Let’s reinvent together our world!»

Prof. Dr. Silvia Zingg, Dozentin Ökologie, Hochschule für Agrar-, Forst- und Lebensmittelwissenschaften HAFL

«Die Zeit zu handeln ist jetzt. Der neue Master-Studiengang vermittelt den Student*innen das Rüstzeug, um mit innovativem und transdisziplinärem Denken die Weichen für eine nachhaltige Entwicklung zu stellen und Lösungen für die Herausforderungen der heutigen Wirtschaft und Gesellschaft zu erarbeiten.»

Prof. Peter Affolter, Leiter Fachbereich Automobil- und Fahrzeugtechnik am Departement Technik und Informatik

«Technik und Digitalisierung spielen heute eine Hauptrolle, wenn es um durchschlagende Innovationen geht. Mit ihrem Einsatz gelingt ein gesellschaftsfähiger Konsens für nachhaltige und niederschwellige Lösungen. Sie zu kennen lohnt sich.»

Sonja Schönberg, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Ernährung und Diätetik am Departement Gesundheit

«Klimakrise, Gesundheit und wir: Die Grundvoraussetzungen für menschliche Gesundheit werden nicht im Gesundheitswesen hergestellt. Die Student*innen lernen, die Beziehung von Mensch und Mitwelt neu zu denken, besser zu verstehen und konkrete Lösungsstrategien zu erarbeiten.»

Prof. Dr. Tobias Fritschi, Leiter Institut Soziale Sicherheit und Sozialpolitik am Departement Soziale Arbeit; Prof. Dr. phil. Christoph Gehrlach, MBA, Leiter Institut Organisation und Sozialmanagement am Departement Soziale Arbeit

«Circular Innovation bezieht die Bedürfnisse sozialer Systeme mit ein. Die Student*innen lernen, wie soziale Nachhaltigkeit durch die Förderung der Resilienz sozialer Systeme entsteht. Resiliente soziale Systeme sind divers, lernfähig, selbstorganisiert und von Vertrauen und gemeinsam geteiltem Sinn geprägt.»

Prof. Robert Lzicar, Studiengangsleiter Master Design, Hochschule der Künste Bern HKB

«Nachhaltige Innovation braucht selbstbewusste Persönlichkeiten, die fähig sind, unerwartete Lösungen für gesellschaftlich relevante Probleme zu finden und einschränkende Rahmenbedingungen zu transformieren. Wir unterstützen Student*innen auf diesem Weg, indem wir ihnen die nötigen Kompetenzen vermitteln und sie individuell bei der Entwicklung ihres Design-Ansatzes begleiten.»

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Rubrik: Berner Fachhochschule