Wo die Goldammer gedeiht

08.05.2019 Forschende der BFH-HAFL und der Universität Bern untersuchten erstmals das Zusammenspiel zwischen Landschaft, Landwirtschaft und Biodiversität im Schweizer Mittelland. Ihr Fazit: Die Artenvielfalt ist auf naturnahe Lebensräume und Biodiversitätsförderflächen angewiesen.

Die moderne Landwirtschaft ist gefordert: Immer mehr Nahrungsmittel produzieren und gleichzeitig die Umwelt schonen sowie die Biodiversität erhalten. Eines ist klar: Die intensive Landnutzung der letzten Jahrzehnte beeinflusst die biologische Vielfalt. Weniger bekannt ist allerdings, wie Arten grossräumig auf Landschaftsstruktur und Bewirtschaftung reagieren. Im Forschungsprojekt «Integration landwirtschaftlicher Produktion und Biodiversitätsförderung in Agrarlandschaften» untersuchte ein Team der BFH-HAFL und der Universität Bern dieses Zusammenspiel in den drei Themenbereichen Landnutzung, Biodiversitätsförderung und Produktivität.

Auf die Mischung kommt es an

«In einem ersten Schritt haben wir 91 Landschaften mit einer Fläche von je einem Quadratkilometer, verteilt über das gesamte Schweizer Mittelland, bezüglich des Einflusses der Landnutzung auf die Artenvielfalt untersucht», erklärt Silvia Zingg. Die Dozentin für Ökologie und Biologie an der BFH-HAFL hat Ende 2018 – im Rahmen des Forschungsprojekts – erfolgreich ihre Dissertation an der Universität Bern verteidigt. Jan Grenz, Dozent für Nachhaltigkeit an der BFH-HAFL und einer der Dissertations-Betreuer, ergänzt: «Die Ergebnisse zeigten eindrücklich, dass zur Erhaltung der Biodiversität von Tagfaltern und Brutvögeln mindestens 20 Prozent naturnahe Lebensräume wie Wälder, Hecken oder Gewässer im Kulturland vorhanden sein müssen.» Brutvögel und Tagfalter stehen beispielhaft für den Zustand der Artenvielfalt in Agrarlandschaften und eignen sich deshalb gut, um den Zustand der Biodiversität zu messen.

Überraschenderweise hatte das Verhältnis zwischen Fruchtfolgeflächen und Dauergrünland – überwiegend bewirtschaftete Wiesen und Weiden – keinen Einfluss auf das Artenvorkommen, so Grenz. Der Grund: Diese Grünflächen haben in den letzten Jahrzehnten stark an Pflanzenvielfalt verloren. «Einen positiven Effekt können solche Flächen nur dann haben, wenn sie die Landwirtin oder der Landwirt extensiv als Biodiversitätsflächen bewirtschaftet», sagt die Biologin und spannt so den Bogen zum zweiten Thema ihres Forschungsprojekts.

  Dieser Text ist im Magazin der BFH-HAFL «infoHAFL» (April 2019) erschienen.  

Anteil Förderflächen ausschlaggebend

1993 führte der Bund die Biodiversitätsförderflächen – ehemals ökologische Ausgleichsflächen – ein. Die Massnahme hatte zum Ziel, den Rückgang der Artenvielfalt im Kulturland zu stoppen und umzukehren. «Verschiedene Untersuchungen zeigten bereits auf, dass die Einführung der Biodiversitätsförderflächen auf Feldebene einen positiven Einfluss auf die Artenvielfalt haben kann», sagt Silvia Zingg. «Wir haben erstmals den grossräumigen Effekt von Förderflächen auf Landschaftsebene im Mittelland untersucht.»

In den 46 für diese Teilstudie untersuchten Kulturlandschaften fanden sich – basierend auf den Daten des Biodiversitätsmonitorings Schweiz des Bundesamtes für Umwelt BAFU – insgesamt 59 Tagfalterarten – darunter 13 gefährdete Arten. Tagfalter sind besonders stark auf Grünlandlebensräume angewiesen. Extensiv bewirtschaftete Wiesen oder Wildblumenstreifen stellen Wirts- und Nektarpflanzen zur Verfügung, von welchen die Tiere profitieren. «Der Anteil Biodiversitätsförderflächen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche war denn auch der wichtigste Faktor für alle Tagfaltergruppen», sagt Silvia Zingg. Andere Eigenschaften wie Grösse oder etwa Distanz zwischen den einzelnen Förderflächen zeigten keinen erkennbaren Einfluss. «Die Resultate machen deutlich, dass eine lokale extensive Bewirtschaftung eine grossflächige Wirkung hat für diese mobilen Tierarten», fasst Silvia Zingg zusammen.

Kaum hohe Qualität im Mittelland

Bei den 99 gezählten Brutvogelarten – davon 28 gefährdet – waren der Anteil von Biodiversitätsförderflächen im Allgemeinen und der Anteil der Flächen von höherer Qualität die zwei wichtigsten Faktoren für deren Vorkommen. «Aussergewöhnlich ist dabei, dass die Resultate stark von zwei Landschaften mit einem grossen Anteil an Biodiversitätsflächen von hoher Qualität beeinflusst sind», so Silvia Zingg. «Der beobachtete positive Effekt verschwand, wenn diese zwei Landschaften von der Analyse ausgeschlossen wurden.»

Dass die Brutvögel vor allem positiv auf besonders strukturreiche Flächen von hoher ökologischer Qualität reagieren, zeige gemäss der Wissenschaftlerin auch die Herausforderung in Bezug auf die Frage nach der Wirksamkeit von Biodiversitätsförderflächen auf: Für die Erhaltung der Biodiversität sollte der Anteil der Biodiversitätsflächen mit Qualität 8 bis 12 Prozent betragen – ein Wert, der insbesondere in der Talzone des Mittellandes kaum vorhanden ist.

  Biodiversitätsförderung: Das Bundesamt für Landwirtschaft BLW fördert die Arten- und Lebensraumvielfalt mittels Biodiversitätsbeiträgen – einerseits für Biodiversitätsförderflächen und andererseits für Vernetzungsprojekte. Förderflächen sind naturnahe Flächen wie Wiesen und Weiden, Wildblumenstreifen, Hecken oder Bäume. Erlaubt ist eine extensive Bewirtschaftung mit sehr begrenztem Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln. Landwirtinnen und Landwirte müssen mindestens 7 Prozent ihrer landwirtschaftlichen Nutzfläche als Biodiversitätsförderflächen bewirtschaften, um in den Genuss von Direktzahlungen zu kommen. Deren Höhe ist abhängig von der ökologischen Qualität und geographischen Lage der Flächen. Vernetzungsbeiträge erhält, wer die Vorgaben eines regionalen Vernetzungsprojekts erfüllt.  
Schweizer Agrarlandschaft Bild vergrössern
Schweizer Agrarlandschaft

Anteil und Qualität erhöhen

Ohne geht es jedoch nicht: «Unsere Ergebnisse bestätigen die Annahme, dass Biodiversitätsförderflächen ohne Qualität nur geringe Auswirkungen auf gewisse Brutvögel haben», sagt Silvia Zingg. «Um die eidgenössischen Umweltziele in der Landwirtschaft im Bereich Biodiversität zu erreichen, sollte daher sowohl der Anteil Biodiversitätsförderflächen erhöht als auch die Qualität bestehender Flächen dringend aufgewertet werden.» Lösungsvorschläge gebe es bereits genügend: So können die Landwirtinnen und Landwirte die botanische Vielfalt ihrer Heuwiesen durch spezielle Saatmischungen aufwerten, später mähen oder Teile der Wiesen als Rückzugsstreifen stehen lassen. Darüber hinaus brauche es artspezifische Förderprogramme, um seltene und spezialisierte Tiere zu schützen oder zurückzubringen.

Hat eine hohe landwirtschaftliche Produktivität eine geringere Biodiversität zur Folge? «Viele würden diese Frage wohl im ersten Moment bejahen», sagt Silvia Zingg. «Die Zusammenhänge auf Landschaftsebene sind jedoch komplexer.» Im dritten Teil ihres Forschungsprojekts nahm das Team der BFH-HAFL und der Universität Bern diese Frage deshalb genauer unter die Lupe.

Brutvögel und Tagfalter reagieren unterschiedlich

Die Resultate zeigen, dass eine hohe Produktivität – gemessen an den produzierten Kalorien pro Quadratkilometer – in Landschaften mit wenig naturnahen Flächen einen negativen Einfluss auf die Artenvielfalt von Brutvögeln hat. Weist die Landschaft jedoch viele naturnahe Flächen auf, spielt die Produktivität keine erkennbare Rolle. Tagfalter hingegen reagieren eher auf die Zusammensetzung der angepflanzten Kulturen und nicht auf die produzierte Energie.

Eigenart der heimischen Landwirtschaft

«Die Nahrungsmittelproduktion muss sich nicht zwingend negativ auf die Biodiversität auf Landschaftsebene auswirken», sagt Jan Grenz. Er betont aber auch, dass diese Schlussfolgerung nur für die Eigenheit des Schweizer Mittellandes gilt: Ein Mosaik von relativ kleinen Parzellen und unterschiedlichen Kulturen sowie naturnahen Flächen.

Ein Mosaik von kleinen Parzellen: Berechnung der landwirtschaftlichen Produktivität anhand unterschiedlicher Kulturen und deren Energiegehalt. Bild vergrössern
Ein Mosaik von kleinen Parzellen: Berechnung der landwirtschaftlichen Produktivität anhand unterschiedlicher Kulturen und deren Energiegehalt.

Mehr erfahren

Rubrik: Forschung