«Die Koch- und Tischrunden wirkten sich positiv auf die Lebensqualität der Senior*innen aus»

15.04.2024 Beim partizipativen Projekt «E Guete z’Basel» haben Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis gemeinsam mit Senior*innen Koch- und Tischrunden etabliert. Nun wurde das Projekt nach vier Jahren erfolgreich abgeschlossen. Marco Oesterlin und Karin Haas geben im Interview Auskunft zu den wichtigsten Erkenntnissen.

Workshops
In den Workshops wurde Vertrauen gebildet und die Bedürfnisse der Betroffen abgeholt.

Mangelernährung ist in der Schweiz besonders bei Senior*innen, die allein leben und sozial isoliert sind, ein Problem. Genau darauf zielte das Projekt «E Guete z’Basel» ab: Mit der Durchführung von Kochclubs sollten ältere, insbesondere alleinstehende Menschen dazu befähigt werden, eine ausgewogene Ernährung selbstverantwortlich und genussvoll umzusetzen. Dabei konzipierten die betroffenen Senior*innen die Koch- und Tischrunden gemeinsam mit Expert*innen der Berner Fachhochschule und des Gesundheitsdepartements des Kantons Basel-Stadt (GDBS). Im Februar 2024 wurde das von Gesundheitsförderung Schweiz finanzierte Projekt erfolgreich abgeschlossen.

«E Guete z’Basel» wurde im Frühjahr 2024 abgeschlossen. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse aus dem Projekt?

Marco Oesterlin und Karin Haas: Mit der Umsetzung der Koch- und Tischrunde konnten wir zeigen, dass schwer erreichbare Senior*innen – insbesondere alleinlebende Menschen – aktiv eingebunden werden können. Die soziale Teilhabe wirkte sich positiv auf die Lebensqualität der Senior*innen aus und sensibilisierte sie für eine gesunde Ernährung.

Etwas, das wir aus der Zusammenarbeit gelernt haben, ist, dass wir bei der Rekrutierung den Fokus nicht zu sehr auf «gesunde Ernährung» richten sollten, sondern vielmehr die soziale Teilhabe und Freude am Essen in den Vordergrund stellen sollten. Das Thema «gesunde Ernährung» kann eine Barriere darstellen, da sich Senior*innen möglicherweise unter Druck gesetzt fühlen, ihr Ernährungsverhalten zu ändern. Auch wenn wir mit diesem Projekt eine Verhaltensänderung angestrebt haben, so muss dies sehr subtil geschehen und direkt an die Ernährungsbedürfnisse der Teilnehmenden anknüpfen.

Wir haben den Aufwand für die Entwicklung und die Implementierung zu Beginn unterschätzt. Die Senior*innen haben sich zwar stark engagiert, aber das Projektteam hätte sich eine noch stärkere Partizipation der Zielgruppe in Richtung Selbstorganisation gewünscht. Wir haben gelernt, dass die Bedürfnisse immer wieder abgeholt und die verschiedenen Rollen geklärt werden müssen. Unsere Erkenntnisse, wie ein solches partizipatives Projekt aufgegleist werden kann, haben wir für Interessierte in den Handlungsempfehlungen zusammengefasst.

Eure Zielgruppe war schwer erreichbare Senior*innen. Wie ist es euch gelungen, Personen aus der Zielgruppe für das Projekt zu gewinnen?

Vertrauenspersonen wie Hausärzt*innen, Quartiersozialarbeiter*innen, Vertreter*innen der Kirche oder der Spitex spielten eine Schlüsselrolle. Sie haben direkten Kontakt zu unserer Zielgruppe und waren in der Begleitgruppe vertreten. Dann war die Mund-zu-Mund-Propaganda unter den Senior*innen sehr hilfreich. Und zuletzt haben die Mitarbeitenden des Gesundheitsdepartements des Kantons Basel-Stadt viel Erfahrung in der Umsetzung von Projekten mit Senior*innen.

Euer Prozess war sehr partizipativ. Wie hat sich das konkret ausgedrückt?

Wir haben im ersten Jahr acht gemeinsame Workshops mit der betroffenen Zielgruppe durchgeführt. Trotz Corona konnten wir in Kleingruppen mit zwei Männer- und drei Frauengruppen mit rund 4 bis 6 Personen arbeiten. Die Ergebnisse der Workshops wurden anschliessend im Plenum digital zusammengetragen. Auch wenn dies nicht unser bevorzugter Kommunikationskanal war, konnten wir die Workshops erfolgreich umsetzen. Die ersten Workshops dienten vor allem zum Vertrauensaufbau.

Anschliessend entwickelten die Senior*innen in Gruppen fünf bedürfnisgerechte Ernährungsinterventionen. Diese Ideen spiegelten sie mit der Begleitgruppe, um daraus eine Intervention abzuleiten, die von allen getragen wurde. Schliesslich ging es in den letzten Workshops in einer kleinen Gruppe um die konkrete Umsetzung der Ernährungsintervention. Rückmeldungen haben gezeigt, dass sich die Senior*innen mehrheitlich sehr wohl in den Gruppen fühlten, Spass hatten und die lockere Atmosphäre schätzten.

Obwohl eine Sensibilisierung für Ernährungsthemen stattfand, konnte wir keine Verhaltensänderung wie beispielsweise eine erhöhte Proteinzufuhr oder eine vielfältigere Ernährung feststellen.

Dr. Karin Haas
Dr. Karin Haas Co-Leiterin Institut Alter

Wie viele Koch- und Tischrunden wurden anschliessend umgesetzt?

Um erste Erfahrungen zu sammeln, haben wir in einem Begegnungszentrum mit der Umsetzung begonnen. Acht Monate später erfolgte die Umsetzung an einem zweiten Standort. Am ersten Standort haben die Teilnehmer*innen im Durchschnitt an 8.8 von 22 Durchführungen mitgemacht, am zweiten Standort haben sie durchschnittlich an 6 von 13 Koch- und Tischrunden teilgenommen.

Ein Ziel eures Projektes war es, ältere Menschen für eine ausgewogene Ernährung zu sensibilisieren. Ist dies gelungen?

Die qualitative Umfrage am Schluss des Projekts zeigt, dass es eine Sensibilisierung für Ernährungsthemen gegeben hat. Die Gründe dazu sehen wir bei den wiederholenden Inputs zu wichtigen Ernährungsthemen im Alter und den ergänzenden Infomaterialien.

Obwohl eine Sensibilisierung stattfand, konnte wir keine Verhaltensänderung wie beispielsweise eine erhöhte Proteinzufuhr oder eine vielfältigere Ernährung feststellen. Vielleicht war dazu die Regelmässigkeit der Koch- und Tischrunde (einmal pro Monat) zu gering, um langjährige Essgewohnheiten zu ändern. Vielleicht sind auch die Kochtipps und Rezepte, die wir zur Verfügung stellten, zu wenig nahe am Kochalltag der Senior*innen.

Das Projekt ist nun zu Ende. Wie geht es mit den Koch- und Tischrunden weiter?

Aktuell bestehen nach wie vor zwei Gruppen an den beiden Standorten, die sich regelmässig treffen und Freude am gemeinsamen Kochen und Essen haben. Die Koch- und Tischrunden sind auch nach dem Projektende im kantonalen Aktionsprogramm des GDBS integriert. Durch Forschungspraktika von Bachelor-Studierenden der BFH ist auch die fachliche Unterstützung weiterhin gewährleistet. Und wir hoffen natürlich, dass unsere Handlungsempfehlungen andere Institutionen inspiriert, ähnliche Projekte aufzubauen.

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