Andreas Guggisberg: «Die Perspektiven sind nicht für alle gleich.»

11.01.2023 Der Sozialdienst Biel erprobt ein neues Beratungs-Setting für Menschen, die Sozialhilfe beziehen. Das dreijährige Projekt ist vor rund einem Jahr angelaufen. Der Projektleiter Andreas Guggisberg gibt Auskunft über Ziele, Erwartungen und Unterschiede zu anderen Ansätzen.

Andreas Guggisberg, mit dem Projekt «Fokus Arbeit» gehen Sie neue Wege. Welches Ziel verfolgt die Stadt Biel damit?

Die Sozialhilfequote ist strukturell bedingt auf sehr hohem Niveau. Seit 2018 schaffen wir es in Biel, die Sozial­hilfequote Jahr für Jahr zu senken. Dazu soll auch das Pilotprojekt etwas beitragen. Sozialhilfebeziehende Menschen haben oft wenig Perspektiven, und hier setzt das Pilotprojekt niederschwellig an. Die Teilnehmenden werden befähigt und motiviert, wieder vermehrt in eigener Sache aktiv zu sein. Ein wichtiger Nebenschauplatz ist, für Menschen ohne Chance im ersten Arbeitsmarkt mehr Beschäftigungsmöglichkeiten im zweiten Arbeitsmarkt oder in der Gemeinwesenarbeit zu schaffen. Denn die Perspektiven sind nicht für alle gleich, aber nur mit einem entsprechenden Angebot erhalten die Betroffenen eine Perspektive.

Andreas Guggisberg, Projektleiter bei der Abteilung Soziales der Stadt Biel
«Das Projekt ist nicht auf rasche Erfolge aus, im Sinne einer Jobvermittlung»: Andreas Guggisberg berichtet über das Projekt Fokus Arbeit

Was unterscheidet «Fokus Arbeit» von bisherigen Unterstützungsansätzen in der Sozialhilfe?

Da gibt es zum einen den methodischen Ansatz, der in der Sozialhilfe sonst fehlt – die Arbeit in der Gruppe. Das löst eine Energie und Dynamik aus, die für die Teilnehmenden einen zusätzlichen Nutzen bringt. Zum anderen ist das Projekt breit angelegt: Im Integrationsbereich sind die Ansätze vielfältiger als in der Sozialhilfe, aber die Angebote richten sich immer an spezifische kleinere Zielgruppen. Das Pilotprojekt in Biel richtet sich nun aber an eine möglichst grosse Anzahl Sozialhilfebeziehender in Biel. Und durch das wissenschaftliche Monitoring werden Erkenntnisse auf mehreren Ebenen möglich. Das Projekt soll neues Grundlagenwissen schaffen, das für Biel, aber auch für andere Sozialdienste wichtig ist. 

Was können Teilnehmende und die Bevölkerung von «Fokus Arbeit» erwarten?

Das Projekt ist nicht auf rasche Erfolge aus, im Sinne einer Jobvermittlung. Vielmehr will es eine nachhaltige Veränderung der Einstellung und des Verhaltens bewirken, ganz im Sinn des Empowerments. Die Teilnehmenden werden sich ihrer Kompetenzen bewusst und finden Wege, diese sinnvoll für ihre Integrations­bemühungen einzusetzen. 
Die Bevölkerung erfährt dabei, dass wir auch neue Wege beschreiten, um Perspektiven für die betroffenen Menschen in Biel zu finden, damit sie den Alltag besser bewältigen können – sei dies beruflich, gesundheitlich oder sozial. 
 

Dieser Artikel ist im Januar 2023 im Printmagazin «impuls» erschienen.

Ziel, Zweck und Vorgehen der begleitenden Evaluation 

Im dreijährigen Projekt «Fokus Arbeit» der Stadt Biel entwickeln Sozialhilfebeziehende in Gruppen individuelle Zukunftsperspektiven. Dies soll sich positiv auf ihre Chance auswirken, wieder wirtschaftlich unabhängig zu werden. Die BFH evaluiert den Prozess und das Ergebnis. Die Evaluation soll Erkenntnisse zur Wirkung und Nachhaltigkeit des neuen Ansatzes liefern. 

Die Prozessevaluation soll also aufzeigen, was nötig ist, damit das Programm funktioniert. Auch sollen Kriterien herausgearbeitet werden, die dazu dienen können, das Ergebnis zu beurteilen. Zudem soll die Prozessevaluation über Möglichkeiten Aufschluss geben, um das Programm weiterzuentwickeln. Dies geschieht, indem das Projektteam die Sichtweise der Teilnehmenden und Programm-Mitarbeitenden in Form von Interviews erhebt. Auch führt das Projektteam externe Beobachtungen der Gruppensettings durch. 

Demgegenüber bewertet die Ergebnisevaluation, inwiefern die Programmziele erreicht werden. Sie ist als randomisierte kontrollierte Studie angelegt. Das heisst, die Sozialhilfebeziehenden werden zufällig der Interventions- oder Vergleichsgruppe zugeteilt. Es findet sodann eine Vorher-Nachher-Erhebung statt, um die Wirkungen des Programms zu bestimmen. Dabei wird untersucht, wie das Programm die beruflichen Perspektiven der Teilnehmenden sowie ihre soziale Unterstützung, Vitalität und Kontrollüberzeugung beeinflusst. Zudem geht das Projektteam der Frage nach, wie die Qualität der Coaches, das Gruppenklima oder das Engagement der Teilnehmenden die Programmwirkung prägen. Schliesslich erforscht das Team mittels Administrativdaten der Stadt Biel, wie das Programm die Arbeitsmarktintegration der Teilnehmenden beeinflusst. Schlussergebnisse werden Ende 2024 erwartet.

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