Tempo 30: Langsam, aber sicher

21.03.2023 Tempo-30-Zonen sind schon länger ein Thema, wenn es um mehr Sicherheit auf Quartierstrassen geht. Unumstritten ist der Ansatz nicht. Ein Versuch der BFH zeigt aber eindrücklich: Tempo 30 erhöht bei Zusammenstössen die Sicherheit von Fussgänger*innen klar.

Eine Crash-Dummy-Puppe ist vor einem Testauto aufgestellt.
Prof. Raphael Murri und sein Team vergleichen einen Zusammenstoss eines Fahrzeugs mit einem Kinder-Dummy bei Tempo 30 und bei Tempo 50.

Das Bundesamt für Strassen (Astra) schrieb schon 2003: «Mit einer Temposenkung auf 30 km/h werden die Strassen für die verletzlichsten Verkehrsteilnehmenden wie Fussgänger und Velofahrerinnen attraktiver und sicherer. Das trägt zur Verbesserung der Wohn- und Lebensqualität bei.» Was einleuchtend klingt, ist aber noch immer nicht unbestritten. So werden Tempo-30-Zonen auch im Jahr 2022 als Belastung für die Umwelt, Verkehrsbehinderung und wenig nützlich für die Sicherheit dargestellt, wie etwa eine Motion im Bernischen Grossen Rat zeigt

Und tatsächlich lässt sich darüber diskutieren, wo Tempo-30-Zonen Sinn machen. Und obwohl mehr und mehr Fahrzeuge elektrisch betrieben werden, bleibt auch die Frage durchaus berechtigt, ob Tempo 30 zu höherem Schadstoffausstoss führt. Ziemlich eindeutig ist aber der Einfluss des tieferen Tempolimits auf die Sicherheit von Fussgänger*innen.  

Sicherheit für Fussgänger 

Dies zeigt der Versuch von Raphael Murri und seinem Team. Zusammen mit dem Dynamic Test Center und der Arbeitsgruppe für Unfallmechanik hat der engagierte BFH-Professor die Probe aufs Exempel gemacht.  

In einem Crashtest verglichen er und sein Team, wie stark sich Zusammenstösse bei Tempo 30 von solchen bei Tempo 50 unterscheiden. Dabei liessen sie einen Kleinwagen mit einem 6-jährigen Kinder-Dummy kollidieren. Die Unterschiede waren frappant. Nach dem Aufprall bei 30 km/h wies das Fahrzeug kaum Spuren des Zusammenstosses auf. Auch die Messdaten am Dummy zeigen, dass relativ geringe Kräfte auftraten und das Verletzungsrisiko bei einem menschlichen Körper relativ gering ausgefallen wäre. 

Anders sah es aus, als der Test bei 50 km/h wiederholt wurde. Der Kinder-Dummy hinterliess eindeutige Spuren auf der Fahrzeughaut, weil der Körper bei dieser Geschwindigkeit nicht mehr auf das Fahrzeug hinaufrutschen konnte, sondern an der Fahrzeugfront anhängte und dann peitschenartig – mit dem Kopf mit bis zu 180-facher Erdbeschleunigung – auf das Fahrzeug einschlug.

Hohes Verletzungsrisiko bei 50 

Die am Dummy befestigten Beschleunigungssensoren belegten den ersten Eindruck: Beim Aufschlag auf das Fahrzeug (Primäranprall) war die Belastung bei 50 km/h mehr als 11 Mal höher als bei 30 km/h und überschritt den biomechanischen Grenzwert für schwere Kopfverletzungen (Head Injury Criterion). Und auch der Sekundäraufprall (also der zweite Aufprall auf der Strasse) war bei 50 km/h noch 3 Mal höher. 

Das Verdikt von Raphael Murri ist klar: «Die beiden Anprallversuche zeigen für den Kinder-Dummy, dass sowohl beim Primäranprall gegen die Fahrzeugfront als auch beim Sekundäranprall auf die Strasse beim Anprall mit 30 km/h die Chance, nur leicht verletzt zu werden, sehr gut steht. Beim Anprall mit 50 km/h müsste dagegen, insbesondere beim Primäranprall gegen die Fahrzeugfront, gar mit einem tödlichen Verletzungsrisiko gerechnet werden.» 

Schneller zur Zone 30? 

Die Erkenntnisse sprechen eine deutliche Sprache, zumal bei Tempo 30 der Anhalteweg um die Hälfte kürzer ausfällt. Dadurch vermindert sich das Risiko, dass es überhaupt zum Zusammenstoss mit Fussgänger*innen kommt. Wissenschaftliche Ergebnisse wie diese liefern Grundlagen für den gesellschaftlichen Diskurs zum Thema Langsamverkehr. Dieser wird insbesondere nach der bundesrätlichen Prozessvereinfachung zur Tempo-30-Zone im Sommer 2022 weitergeführt werden. 

Über uns

Prof. Raphael Murri: Dozent für Fahrzeugmechanik und -sicherheit