Moving Meyerbeer

Das Forschungsprojekt widmet sich äusserer Bewegung und innerer Bewegtheit im europäischen Musiktheater des 19. Jahrhunderts auf der Basis deutscher, italienischer und französischer Opernkompositionen von Giacomo Meyerbeer.

Steckbrief

Ausgangslage

Die Opern Giacomo Meyerbeers (1791–1864) prägten durch ihre in Musik gesetzten Bewegungsbilder die europäische Musiktheaterlandschaft nachhaltig: Ab 1831 schufen sie sowohl für die traditionsreiche Opéra comique als auch für die neue französische Grand opéra innovative Modelle, die für jüngere Komponisten wie Giuseppe Verdi und Richard Wagner richtungsweisend werden sollten. Im Zentrum des Forschungsinteresses stehen jene musikdramaturgischen Elemente, in denen erhöhter körperlicher Ausdruck gefordert wird: Tanzszenen an dramatischen Wendepunkten, schauspielerisch anspruchsvolle Rezitative und emotionsgeladene Tableaux. Bevor sich die Regie zu einem eigenständigen Aufgabenbereich innerhalb des Opernbetriebs entwickelte, basierte der Bewegungsausdruck auf Traditionen vorgeprägter Gesten und Figuren. Dabei lässt sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts im Schauspiel, im Bühnentanz und in der Bildenden Kunst die Tendenz beobachten, konventionelle Modelle zugunsten eines psychologisch stärker durchdrungenen Gefühlsausdrucks zu verändern. Dementsprechend sind die Korrespondenzen von komponierten und inszenierten Bewegungen emotionalen Gehalts in ihrer Spannweite zwischen Typisierungen und Individualisierungen von besonderem Interesse.

Vorgehen

Da musikalisch kodierte Bewegungen nicht ausführlich notiert wurden, nähert sich das Forschungsvorhaben dem Untersuchungsgegenstand durch das Befragen divergierender historischer Quellen, die – dem Darsteller als Ausgangspunkt für die Gestaltung seiner Rolle dienten (Libretti, Partituren und Bühnenanweisungen), – kinetische Aspekte der Inszenierungspraxis schriftlich oder bildlich festhalten (Livrets de mise en scène, choreographische Notationen und Szenenbilder), – implizite Traditionen zeitgenössischer Bewegungskonzepte vermitteln (Schauspieltraktate, Gestik-Kataloge, Tanzlehrbücher und Opernikonographie). Das Konzept der Pathosformel, welches der Kunst- und Kulturhistoriker Aby Warburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwarf, bildet den theoretischen Ausgangspunkt, um die diversen historischen Quellen musikerzeugter Bewegung für den interdisziplinären Ansatz gewinnbringend miteinander zu verbinden.

Ergebnisse

Das Forschungsvorhaben steht im Kontext aktueller Bestrebungen, Regieansätze aus dem Repertoire des 19. Jahrhunderts auf der Basis breitflächiger und interdisziplinär angelegter historischer Forschungen für die heutige Bühnenpraxis nutzbar zu machen. Dabei stellt die Konzentration auf Formen der äusseren und inneren Bewegung in der Oper des 19. Jahrhunderts ein neues Forschungsfeld dar, das einem dringenden Informationsbedürfnis der historischen Aufführungspraxis und Dramaturgie sowie einem stetig wachsenden Interesse des Publikums nachkommt. Im Rahmen der internationalen Tagung «Musiktheater im Brennpunkt von Bild und Bewegung» im April 2015 werden die Forschungsresultate präsentiert und zur Diskussion gestellt.

Publikationen