E Guete z'Basel – ausgewogene Ernährung für allein lebende Personen 65+

13.01.2022 Beim partnerschaftlich-partizipativen Projekt «E Guete z’Basel» arbeiten Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis gemeinsam mit Senior*innen ein Gesundheitsförderungsprojekt aus. Schwer erreichbare ältere Menschen sollen dabei zum Mitmachen in einem Kochclub motiviert werden.

Zwar verfügt die Schweiz über ein hervorragendes Gesundheitssystem, allerdings herrscht auch hierzulande eine gesundheitliche Ungleichheit. Diese stellt für die Schweizer Gesundheits- und Ernährungspolitik eine grosse Herausforderung dar (Bundesamt für Gesundheit [BAG], 2019; Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen [BLV], 2017), unter anderem in Bezug auf Gesundheitsförderungs- und Ernährungsprojekte. Schwer erreichbare Personengruppen werden zu wenig angesprochen und können daher von diesen Projekten nicht profitieren. So sind beispielsweise alleinstehende, sozial isolierte Senior*innen für das Thema ausgewogene Ernährung schwer zu begeistern, insbesondere Männer. Da aber der Wunsch nach Selbstständigkeit bei den Senior*innen einen ganz besonderen Stellenwert hat, kann es hier interessante Anknüpfungspunkte geben. So kann eine ausgewogene, bedarfsdeckende und genussvolle Ernährung die Autonomie im Alter positiv beeinflussen. Damit zeigen sich wichtige und spannende Handlungsfelder für die Gesundheitsförderung, neben der politischen und gesellschaftlichen Relevanz des Themas.

Senior*innen erreichen durch Partizipation

Wie können aber nun die bisher nicht Erreichten erreicht werden? Für die Umsetzung von chancengerechten Massnahmen spielt die Partizipation von einzelnen Bevölkerungsgruppen eine wichtige Rolle (Weber, 2020). Sie ermöglicht, sich stärker an den Lebensrealitäten der Zielgruppe zu orientieren, und diese wiederum kann eigene Ressourcen und Bedürfnisse einbringen und sich als handlungswirksam erleben. Damit soll eine wirksame und nachhaltige Veränderung des Gesundheitsverhaltens ermöglicht werden (Wright, 2010; Aner, 2016). Vor diesem Hintergrund wurde 2019 das partnerschaftlich-partizipativ ausgerichtete Projekt «E Guete z’Basel» lanciert. Mit diesem sollen ältere, insbesondere alleinstehende Menschen befähigt werden, eine ausgewogene Ernährung selbstverantwortlich und genussvoll umzusetzen und dem Risiko einer Mangelernährung entgegenzuwirken.

Das dreijährige Innovationsprojekt wird von Gesundheitsförderung Schweiz finanziert und von der Forschungsabteilung Ernährung und Diätetik der Berner Fachhochschule gemeinsam mit dem Gesundheitsdepartement Basel-Stadt als Umsetzungspartner durchgeführt, neben vielen anderen Akteur*innen. Die Bedürfnisse und Lebenswelten der Zielgruppe «ältere Menschen» stehen im Vordergrund. So sind die Senior*innen als Vertreter*innen der Zielgruppe wichtiger Teil der Projektgruppe und arbeiten Hand in Hand mit Expert*innen der Wissenschaft und der Praxis. Der Fokus liegt auf allein Lebenden, ein bestimmter sozioökonomischer Status wird aber nicht als Einschlusskriterium herangezogen, um Stigmatisierungen zu vermeiden.

Planung einer Ernährungsintervention mit der Zielgruppe

Im ersten Jahr konnte das Projektteam partizipativ folgende Ziele erreichen:

  • Gegenseitiges Vertrauen schaffen
  • Ausarbeitung von Ideen zur Erreichbarkeit der bisher nicht Erreichten
  • Entwicklung von Ideen zur Umsetzung von konkreten Ernährungsinterventionen
  • Konkretisierung einer Idee sowie Planung der Umsetzung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Senior*innen

2022 steht die Durchführung von gemeinsamen Kochclubs an gut zugänglichen öffentlichen Treffpunkten im Mittelpunkt. Die Senior*innen sollen dabei möglichst selbstbestimmt vorgehen können, und die Partizipation istTeil des Entwicklungsprozesses, wobei eine höchstmögliche Stufe der Selbstorganisation erreicht werden soll. Inwieweitdies im Hinblick auf die Zielgruppe realisierbar und gewünscht ist, wird sich im Verlauf des Projekts zeigen. Das Erreichen der eigentlichen Zielgruppe – die zurückgezogen lebenden älteren Menschen, die sich unzulänglich ernähren – bleibt anspruchsvoll, und es beschäftigt die beteiligten Senior*innen wie auch die Fachpersonen.

Im letzten Projektjahr werden die Ergebnisse zur Wirksamkeit und zum Prozess analysiert. Daraus werden Erkenntnisse abgeleitet, die weiteren Interessensgruppen in Form von Präsentationen und Praxisleitfäden zugänglich gemacht werden. Einen grossen Stellenwert erhält die Evaluation. Neben einer Wirksamkeitsevaluation für die konkrete Ernährungsintervention wird der Prozess der Partizipation im gesamten Projektverlauf durch Mitarbeitende des Kompetenzzentrums Partizipative Gesundheitsversorgung evaluiert. Dies hat zum Ziel, eine differenziertere Sicht auf den Partizipationsprozess zu ermöglichen, diesen zu reflektieren und zu dokumentieren, um ihn damit auch für Dritte sicht- und nutzbar zu machen. Dabei kommen unterschiedliche Methoden der qualitativen Sozialforschung zur Anwendung. Der Einbezug aller am Projekt beteiligten Akteursgruppen ermöglicht eine besondere Perspektivenvielfalt. Erste Analysen deuten auf eine hohe Zufriedenheit mit dem gewählten partizipativen Verfahren hin.

Partizipation als Herausforderung und Bereicherung

Die ersten Erfahrungen machen Herausforderungen deutlich und zeigen dem Projektteam, worauf im weiteren Projektverlauf besonders geachtet werden muss. Zu Beginn eines Projektes nicht zu wissen, was die eigentliche Intervention beinhaltet, ist nicht immer leicht auszuhalten, insbesondere dann nicht, wenn man sich Studienprotokolle gewohnt ist. Aber mit jedem gemeinsamen Workshop zeigt sich das grosse Potenzial der partizipativen Vorgehensweise. Es werden Barrieren sichtbar, welche ohne Partizipation vermutlich nicht berücksichtigt würden. Vertreter*innen der Zielgruppe können aktiv mitwirken und damit auch ihre eigene Gesundheit selbstbestimmt beeinflussen. Dafür müssen allerdings genügend Zeit und Ressourcen zur Verfügung stehen. Bereits nach der ersten Phase ist Gemeinschaft entstanden und hierdurch die soziale Teilhabe gestärkt worden, wobei die wirklich schwer Erreichbaren in dieser Projektphase noch kaum einbezogen sind.

In der Evaluation zeigt sich, dass sich die Senior*innen vom Forschungsteam respektiert und gehört fühlen: «Die Moderator*innen haben viel zugehört und wenig reingeredet», bringt es eine Seniorin auf den Punkt. Man habe im Projektverlauf «ehrliches Interesse» der Fachpersonen wie auch des Forschungsteams gespürt. Als partizipationsförderlich wird zudem die «vertrauensvolle Atmosphäre» beschrieben, die für viele auch mit der Arbeit in kleinen Gruppen zusammenhängt.

Es zeigen sich aber auch Spannungsfelder. Auch wenn von allen Seiten immer wieder beteuert wird, dass man «auf Augenhöhe» zusammenarbeitet, scheint es für einige Senior*innen trotzdem keine Selbstverständlichkeit, dass ihre Lebenserfahrung genauso viel zur Praxistauglichkeit der Intervention beiträgt wie anerkannte Fachexpertise. So begegnen dem Evaluationsteam Aussagen wie diese: «Ich bin eben nicht vom Fach», «ich habe keine Erfahrung mit solchen Projekten», «ich kann nicht beurteilen, ob das klappt». Als die Senior*innen im sechsten Workshop die Möglichkeit erhalten, selber Tätigkeiten zu definieren, die sie im bald startenden Umsetzungsprojekt übernehmen könnten, wird plötzlich überdeutlich, wie breit gefächerte Ressourcen in dieser «Betroffenengruppe» schlummern.

Chancengleichheit in Gesundheitsförderungsprojekten – mit Schwerpunkt Ernährung – umzusetzen, bleibt eine grosse Herausforderung. Das wird von allen Projektbeteiligten immer wieder betont. Das Projektteam ist aber überzeugt, dass mit Hilfe aller Beteiligten – insbesondere durch die engagierte Unterstützung der Senior*innen – ein erster wichtiger Schritt für eine gesundheitliche Chancengleichheit gemacht wird.

E Guete zBasel

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