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Verborgene Welt der Wurzeln 

29.07.2025 Wurzeln sind weit mehr als nur die Verankerungen von Bäumen und Pflanzen im Boden. Drei BFH-HAFL-Forschende geben Einblicke in die komplexen Funktionen der Wurzeln in der Forst- und Landwirtschaft. 

Das Wichtigste in Kürze

  • Wurzeln versorgen Pflanzen mit Wasser und Nährstoffen, stabilisieren Wälder und tragen entscheidend zur Schutzfunktion und Resilienz von Ökosystemen bei.

  • Über Mykorrhiza und chemische Signale kommunizieren Pflanzen, tauschen Ressourcen aus und fördern gegenseitig ihr Wachstum – auch in der Landwirtschaft.

  • Wurzeln verbessern die Bodenstruktur, fördern die Humusbildung und unterstützen vielfältige Mikroorganismen – essenziell für nachhaltige Landwirtschaft und Klimaanpassung.

«Wurzeln sind eine wichtige Verbindung zwischen Boden und Atmosphäre», erklärt Massimiliano Schwarz, Waldwissenschaftler und Wurzelexperte an der BFH-HAFL. Wasser und Nährstoffe fliessen von den Wurzeln bis hinauf in die Blätter, wo das Wasser über Spaltöffnungen der Blätter verdunstet. Irgendwann fällt dieses Wasser in Form von Regen wieder auf die Erde und kann erneut durch die Wurzeln des Baumes aufgenommen werden. So entsteht ein Kreislauf zwischen Boden und Atmosphäre.

Massimiliano Schwarz betont, dass Wurzeln keine starren Systeme sind, sondern flexibel und plastisch; je nach Baumart gibt es unterschiedliche Wurzelsysteme: Flach-, Tief- und Herzwurzler: «Eine Fichte etwa gilt zwar als Flachwurzler, kann aber bei Wassermangel Wurzeln bis zu mehreren Metern Tiefe ausbilden.»

Wurzelfunktionen und ihre Zusammenhänge werden oft erst durch Forschung sichtbar.
Wurzelfunktionen und ihre Zusammenhänge werden oft erst durch Forschung sichtbar.

Wurzeln als unsichtbare Giganten des Waldes

Auch wenn sich Massimiliano Schwarz schon seit vielen Jahren in der Forschung mit Wurzeln beschäftigt, ist er immer wieder sehr beeindruckt von diesen Systemen: «Wurzeln sind die ‘versteckten Hälften’ der Bäume», sagt er. «Es fasziniert mich, wie unterschiedlich Wurzelsysteme sein können, etwa eine Birke mit ihrem verzweigten System im Vergleich zum Götterbaum, der eher wenige, dicke Wurzeln ausbildet», sagt der Waldwissenschaftler. Ihre Erforschung sei wie Detektivarbeit, da sie sich der direkten Beobachtung entzögen. 

Und sie sind das Fundament des Waldes und entscheidend für die Stabilität, Gesundheit und Widerstandsfähigkeit des gesamten Wald-Ökosystems.

Insbesondere im Zusammenhang mit Wäldern, die eine Schutzfunktion erfüllen – in der Schweiz rund die Hälfte der gesamten Waldfläche. Der Wald schützt Menschen, Tiere, Gebäude und Verkehrswege vor Steinschlägen, Lawinen, Hochwasser, Hangrutschen und Erosion. Insbesondere der Schutz vor Hochwasser und Rutschungen hängen direkt mit der Fähigkeit des Bodens zur Wasseraufnahme und -speicherung zusammen. Und damit mit den Wurzeln, denn sie sind einer bestimmende Faktor bei der Infiltration und Speicherung von Regenwasser.

Es fasziniert mich, wie unterschiedlich Wurzelsysteme sein können, etwa eine Birke mit ihrem verzweigten System im Vergleich zum Götterbaum, der eher wenige, dicke Wurzeln ausbildet.

  • Massimiliano Schwarz Dozent für forstliche Bodenkunde & Ing.ökologie

Chemische Kommunikation

Auch wenn populärwissenschaftlich immer wieder davon die Rede ist, dass Bäume miteinander «sprechen», tun sie dies zumindest nicht im klassischen Sinne. Sie interagieren vielmehr über chemische Signale, wie Massimiliano Schwarz erklärt.

Wenn zum Beispiel ein parasitärer Pilz angreift, senden betroffene Bäume Botenstoffe aus, die eine Art Immunreaktion in benachbarten Bäumen auslösen, um sich gegen den Pilz zu wehren. Verbunden sind die Bäume über verschiedene «Netzwerke» im Boden, eine davon ist von so genannten Mykorrhiza-Pilze gebildet. Das Wort bedeutet wörtlich «Pilzwurzel» und gewisse Mykorrhiza-Arten bilden grosse oberirdische Fruchtkörper aus - beispielsweise die Steinpilze. 

Dieses Pilznetzwerk hilft der Pflanze, Nährstoffe wie Phosphor und Stickstoff besser aufzunehmen, während die Pflanze dem Pilz Zucker und andere organische Verbindungen zur Verfügung stellt. Diese Win-Win-Zusammenarbeit fördert das Wachstum beider Partner und ist in vielen Ökosystemen weit verbreitet. In der Ingenieurökologie werden solche Mykorrhiza-Pilze gezielt eingesetzt, um die Etablierung der Vegetation nach Störungen zu fördern, wie Experte Schwarz sagt.

Von der Rande essen wir vor allem die nährstoffreiche Speicherwurzel.
Von der Rande essen wir vor allem die nährstoffreiche Speicherwurzel.

Gesunder Boden, gesunde Pflanzen

Bei landwirtschaftlichen Kulturen haben die Wurzeln ähnliche Funktionen wie bei Bäumen. «Durch ihre Funktion für die Wasser- und Nährstoffzufuhr sind sie unter anderem für die Festigkeit und Saftigkeit einer Pflanze verantwortlich. Man sieht das gut bei welkendem Schnittsalat», erklärt die Biologin Ruth Debernardi, welche die BFH-HAFL-Bachelor-Studierenden der Fachbereiche Agronomie und Food Science and Management unterrichtet. 
Auch in der Landwirtschaft sind Mykorrhiza-Pilze sowie die unzähligen Mikroorganismen auf der Pflanze und im Boden für die Nährstoffaufnahme und das Wachstum von grosser Bedeutung. Lange wurde diese Bedeutung nicht erkannt und mit Pflanzenschutzmitteln die vielen wertvollen Mikroorganismen des Bodens abgetötet – und über Fungizide auch Mykorrhiza-Pilze, wie Ruth Debernardi erklärt.

Wurzeln spielen auch ein Rolle bei der Humusbildung

Und Wurzeln können noch viel mehr: Sie helfen mit, Humus zu bilden und verbessern die Bodenstruktur, indem sie Hohlräume schaffen und die Bodenpartikel zusammenhalten. «Die Rhizosphäre – der Bereich um die Wurzeln herum – ist von entscheidender Bedeutung für das Wachstum», erklärt die BFH-HAFL-Bodenexpertin Liv Kellermann. In diesem Mikrokosmos interagieren Pflanzen mit Mikroorganismen, die dafür sorgen, dass Nährstoffe verfügbar sind, und schädliche Substanzen abbauen.

Die Rhizosphäre wird von sogenannten Zucker- und Wurzelexsudaten durchzogen. Das sind Stoffe, die von der Pflanze ausgeschieden werden und den Mikroorganismen im Boden als Nahrungsquelle dienen. Die aktuelle Forschung geht davon aus, dass eine grössere Vielfalt dieser Mikroorganismen in der Rhizosphäre das gesamte System aus Boden, Pflanze und Mikroben stabiler machen und so das Wachstum fördern könnte.

Die Rhizosphäre – der Bereich um die Wurzeln herum – ist von entscheidender Bedeutung für das Wachstum.

  • Liv Kellermann Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Das unsichtbare Fundament

Die Reise in die Wurzelwelt zeigt, wie wichtig deren Erforschung für das Verständnis der Stabilität, Gesundheit und Widerstandsfähigkeit von Wäldern und landwirtschaftlichen Kulturen ist. Ihre komplexen Wechselwirkungen mit Mikroorganismen und der Bodenstruktur machen sie zu einem Schlüssel für nachhaltige Landwirtschaft und die Anpassung an den Klimawandel. 

Und nicht zuletzt sind Wurzeln schliesslich auch für uns Menschen wichtig: Sie symbolisieren Heimat und Ursprung, stehen für unsere tief verwurzelten Werte, Überzeugungen und Traditionen. Auch in diesen Bereichen forscht die BFH-HAFL - beispielsweise rund ums Essverhalten, das in unserer Kindheit verwurzelt ist oder die Traditionen bei den Bäuerinnen und Bauern. 

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Fachgebiet: Agronomie + Wald