Die neue Normenreihe zur Einbruchhemmung

07.01.2022 Ab Januar 2022 gilt in der Schweiz die neue Normenreihe zur Einbruchhemmung SN EN 1627, SN EN 1628, SN EN 1629 und SN EN 1630. Christoph Rossmanith, Verantwortlicher für die Einbruchprüfungen an der BFH sowie Schweizer Vertreter in der europäischen Arbeitsgruppe, die für diese Normenreihe verantwortlich zeichnet, erläutert die Änderungen und Auswirkungen auf die Branche.

Was sind die Gründe für die Überarbeitung der Normenreihe zur Einbruchhemmung?

Christoph Rossmanith: Die letzten Anpassungen der SN EN 1627 zum Einbruchschutz datieren auf das Jahr 2011. Normen werden grundsätzlich alle fünf Jahre auf ihre unveränderte Gültigkeit hin überprüft und gegebenenfalls angepasst. Dies ist notwendig, um dem technischen Fortschritt gerecht zu werden. Bei der SN EN 1627 war eine Überarbeitung überfällig. Zum einen gab es bei den zitierten Normen Neuerungen und zum anderen ist gerade bei der technischen Entwicklung der elektromechanischen und mechatronischen Beschlagkomponenten viel passiert. Während man sich bei der Ausgabe von 2011 noch mehr oder weniger zu Recht darauf berufen konnte, dass derartige Beschläge in Verbindung mit Einbruchhemmung eher die Ausnahme seien, sind sie inzwischen längst in der Breite angekommen und gehören mit dem Trend zum «Smart Home» zunehmend zum Standard. Deshalb sollten neben notwendigen und sinnvollen Bereinigungen und Ergänzungen auch elektronische Sicherheitssysteme in den Anwendungsbereich der Norm mit aufgenommen werden. Um es vorweg zu nehmen: Leider ist dies nicht gelungen. Der geplante Anhang E, der die elektronischen Sicherheitssysteme behandeln sollte, wurde wegen der Komplexität wieder gestrichen. 

Welche Änderungen wurden vorgenommen?

Die Norm hat sich nicht grundlegend verändert. Das Konzept zur Planung und Durchführung der Prüfungen ist gleichgeblieben. Eine vollständige Prüfung beinhaltet weiterhin statische, dynamische und manuelle Prüfungen. Man hat beispielsweise Unschärfen bei den Beschreibungen zur Durchführung der Prüfungen konkretisiert und die zitierten Normen dem aktuellen Stand angepasst. Dazu gehört auch, dass neu der Anwendungsbereich elektromechanische und mechatronische Beschläge einschliesst. Allerdings nicht – und das ist eine Lücke – die gegebenenfalls zusätzlich notwendigen Komponenten zur Steuerung dieser Beschläge (Anmerkung: Anhang E, der wieder gestrichen wurde).

Das Kapitel 6, das die technischen Vorgaben für die Baubeschläge regelt, wurde komplett überarbeitet. Neu ist, dass es nun zwei Möglichkeiten gibt, um beispielsweise eine Tür mit den nötigen Baubeschlägen auszurüsten: Die erste Möglichkeit entspricht dem bisherigen Usus. Der Hersteller wählt aus den am Markt verfügbaren und geprüften Baubeschlägen aus und belegt die Erfüllung der im Kapitel 6 gelisteten Anforderungen mit Hilfe von Prüfnachweisen. Diese Baubeschläge sind in einem bestimmten Umfang gegen andere geprüfte Baubeschläge austauschbar. Die zweite Möglichkeit ist neu und ermöglicht es Herstellern, auch Beschläge einzusetzen, für die es keinen Einzelnachweis gibt. In diesem Fall werden Türen mit ungeprüften Beschlägen als zusammengehörende Einheit am Stück geprüft. Die Beschläge müssen im System mit der Tür den definierten Prüfungen standhalten und nicht wie bei der bisherigen Methode losgelöst von der Tür eine Reihe von Kriterien erfüllen, die über andere Normen definiert werden. Derartig geprüfte Beschläge können nicht ausgetauscht werden.

Erwähnenswert ist auch, dass die Norm neu explizit berücksichtigt, dass auch Beschläge mit einem Schliessmechanismus ohne Schlüssel zum Einsatz kommen können und dass dies entsprechend berücksichtigt werden muss. Unter dieser etwas sperrigen Bezeichnung finden sich beispielsweise Türen mit Fluchtwegeigenschaften. Diese Türen müssen auch im verschlossenen Zustand, z.B. im Brandfall, einfach zu öffnen sein. Bei den Prüfungen zum Einbruchschutz muss deshalb auch nachgewiesen werden, dass der Durchgriff durch beispielsweise das Türblatt oder eine Verglasung verhindert wird. Gerade bei elektromechanisch oder mechatronisch gesteuerten Verriegelungssystemen reicht möglicherweise bereits ein sehr kleines Loch, um den Öffnungsvorgang auszulösen.

Dies ist ja wahrscheinlich nicht nur bei Türen mit Fluchtwegeigenschaften ein Problem?

Nein, sicherlich nicht. Weder die Fluchtwegeigenschaften noch die motorisierten oder automatisierten Antriebslösungen sind neu und uns allen besonders in öffentlichen Gebäuden vertraut. Neu sind die zunehmend kleineren Baueinheiten und die sich dadurch erschliessenden zusätzlichen Einsatzmöglichkeiten. Zudem gibt es inzwischen vielfältige Möglichkeiten der Ansteuerung oder der Vernetzung dieser Komponenten mit Hilfe elektronischer Sicherheitssysteme oder Zutrittskontrollsysteme. Die Komplexität hat diesbezüglich also deutlich zugenommen.

Wie geht es denn jetzt weiter bei der Lücke zu den Steuerungssystemen?

Die schwierige Thematik der elektronischen Sicherheitssysteme wird leider auf europäischer Ebene vorerst nicht behandelt. Die Norm enthält eine vage Andeutung, dass die Lücke zu einem späteren Zeitpunkt geschlossen werden kann. Der SIA hat deshalb in den Nationalen Anhang zur SN EN 1627 Hinweise und Empfehlungen zum Umgang mit dieser Lücke aufgenommen. Darüber hinaus gibt es eine mit dem ift Rosenheim, der Holzforschung Austria und der Berner Fachhochschule abgestimmte Richtlinie, die einen Weg aufzeigt, wie auch elektronische Sicherheitssysteme bzw. Zutrittskontrollsysteme in eine Prüfung zur Einbruchhemmung miteinbezogen werden können (wird in Kürze publiziert).

Was bedeuten die Änderungen für Fenster- und Türenhersteller?

Zunächst hat es keine Konsequenzen. Alle Nachweise für Systeme und Bauelemente, die bisher geprüft wurden, behalten ihre Gültigkeit. Für neu zu prüfende Elemente kommt hinzu, dass bei Elementen mit beispielsweise Fluchtwegeigenschaften oder nicht absperrbaren Fenstergriffen, der Durchgriff entsprechend der genauer definierten Vorgaben geprüft werden muss. Gerade bei den elektromechanischen und mechatronischen Lösungen nimmt dadurch der Aufwand für die Dokumentation dieser Komponenten zu und die Planung von Prüfreihen wird komplexer.

Welche Konsequenzen hat die neue Norm für den Einbruchprüfstand der BFH in Biel?

Wir werden auch bei Prüfungen nach der neuen Norm die gleichen Prüfungen durchführen. Auch die Auswahl der Werkzeuge, die unseren Prüfern zur Verfügung stehen, hat sich nicht geändert. Allerdings werden Fluchttürfunktionen sowie elektromechanische Bauteile nun differenzierter betrachtet und spezifisch geprüft werden müssen. Zudem stehen wir als Prüfstelle nun vor der Herausforderung, dass wir uns auf die Prüfung von Türen mit nicht geprüften Baubeschlägen – die oben erwähnte zweite Möglichkeit – vorbereiten müssen. Erste Treffen mit anderen Prüfstellen zur Diskussion dieser Thematik haben bereits stattgefunden.

Tech-Fact

Tech-Fact: Einbruch

«Im Institut für Holzbau, Tragwerke und Architektur prüfen Spezialist*innen der Berner Fachhochschule Bauelemente, wie Fenster und Türen, auf ihren Einbruchwiderstand. Dazu stehen ihnen Einrichtungen, Verfahren und Hilfsmittel zur Verfügung, die in Normen definiert sind. Diese Normen werden auf Januar 2022 aktualisiert. Sie passen sich unter anderem dem technischen Fortschritt der letzten Jahre an.»

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