Mehr Bauteile wiederverwenden

18.03.2024 Für neue Gebäude werden in der Schweiz kaum bestehende Bauteile wiederverwendet. Wir sind in einer Studie den Fragen nachgegangen, woran das liegt und was es braucht, damit künftig mehr alte Bauteile in Neubauten zum Einsatz kommen.

Warum hat die BFH eine Studie zur Wiederverwendung von Bauteilen durchgeführt?

Während das Recycling von Rohstoffen in unserer Gesellschaft gut verankert ist, fristet die Wiederverwendung von Gegenständen noch ein Mauerblümchendasein – auch in der Bauindustrie. Das hat die beiden BFH-Forscherinnen Nadine Gurtner und Barbora Starovicova zu dieser Studie veranlasst. Denn in der Wiederverwendung von Baustoffen schlummert grosses Potenzial: Rund ein Viertel der CO2-Emissionen in der Schweiz geht auf die Kosten des Gebäudesektors.

Die beiden Forscherinnen führten für die Studie unter anderem knapp 30 Interviews mit Vertreterinnen und Vertretern der Baubranche über ihre Erfahrungen mit der Wiederverwendung von Bauteilen. Darunter befanden sich Architektinnen und Architekten, Planende, Bauverantwortliche, Herstellende, Vertretende von Bauteilbörsen sowie Firmen, die sich um den Rückbau von Gebäuden kümmern.

Zu welchen Ergebnissen ist die Studie gekommen?

Die Potenziale zur Wiederverwendung von Bauteilen sind aussichtsreich, doch der entsprechende Kreislauf funktioniert in der Schweiz nur schleppend. Ein eigentlicher Markt existiert praktisch nicht. Das liegt nicht in erster Linie am Willen der Verantwortlichen, sondern an einer Vielzahl teilweise komplexer Herausforderungen, die einzelne Akteurinnen und Akteure nicht allein überwinden können.

Oft ist es einfacher, schneller und billiger, neue Bauteile zu produzieren, als alte zu suchen und zu verwenden.

Um welche Herausforderungen handelt es sich?

Zuallererst fehlen die Anreize für Bauherrschaften und Baufirmen, solche Teile einzusetzen. Oft ist es einfacher, schneller und billiger, neue Bauteile zu produzieren, als alte zu suchen und zu verwenden. Dann mangelt es an Informationen, wann und wo wiederverwendbare Bauelemente verfügbar sind. Um solche Materialien in grösserem Stil anbieten zu können, müsste das Angebot für die Nachfragenden attraktiv, sichtbar und einfach zugänglich sein.

Zudem bestehen rechtliche Unsicherheiten. Es ist zum Beispiel unklar, ob und wie sicherheitsrelevante Bauteile wie Brandschutzelemente wiederverwendet werden dürfen und weiter stellt sich die Frage, ob für diese überhaupt ein Garantieanspruch geltend gemacht werden kann. Nicht zuletzt gibt es Konflikte mit anderen Zielen der nachhaltigen Entwicklung. Das lässt sich anhand von Fenstern einfach illustrieren: Alte Fenster, die in einem neuen Gebäude eine Wiederverwendung finden, sind in der Regel weniger gut isoliert und energietechnisch schlechter als neue.

Ideal wäre, wenn eine digitalisierte Informationsplattform eine Übersicht der Baumaterialien anbieten könnte, die bei einem Grossteil der bestehenden und neuen Gebäude verwendet würde.

Was braucht es, damit mehr Baustoffe wiederverwendet werden?

Es braucht einen funktionierenden Markt, damit mehr Bauteile in Wiederverwendung gehen. Dies setzt voraus, dass die angebotenen Materialien sichtbar werden. Ideal wäre, wenn eine digitalisierte Informationsplattform eine Übersicht der Baumaterialien anbieten könnte, die bei einem Grossteil der bestehenden und neuen Gebäude verwendet würde. Dazu gehören unter anderem Angaben wie Alter, Herkunft, Verarbeitung, Abmessungen und Zustand.

Durch ein solches Inventar liesse sich die Nachfrage ankurbeln. Zu Beginn müsste der Fokus wohl auf Bauteilen liegen, mit denen sich ein grösserer Effekt erzielen liesse wie zum Beispiel Materialien, die in grossen Überbauungen zum Einsatz kommen könnten. Nicht zuletzt sollten alle Beteiligten ihre Verantwortung wahrnehmen und nicht einfach auf die anderen zeigen, die nach ihrer Ansicht zuerst handeln müssten.

Welchen Nutzen hat die Studie für die Gesellschaft?

Die Studie macht deutlich, dass im Gebäudesektor grosse Stellschrauben für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft vorhanden sind. Wenn für Neubauten mehr bereits existierende Teile zum Einsatz kommen, lässt sich Energie für den Herstellungsprozess sparen, wodurch die CO2-Belastung sinkt. Die Studie dient auch dazu, allen Beteiligten aufzuzeigen, was sie tun können, um die Kreislaufwirtschaft in Schwung zu bringen und den Klimawandel zu bremsen.

BFH-Expertinnen hinter der Studie

Die Studie über die Wiederverwendung von Bauteilen hat Projektleiterin Nadine Gurtner gemeinsam mit Barbora Starovicova durchgeführt.

Nadine Gurtner ist Wirtschaftswissenschaftlerin am Institut Innovation & Strategic Entrepreneurship am Departement Wirtschaft der BFH. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich damit, wie Innovationen und Unternehmertum gesellschaftlichen Mehrwert erzielen können. Die Schwerpunkte ihrer Forschung liegen auf Entscheidungsfindungen und Geschäftsmodellen im Kontext von Affordable Innovation, Social Entrepreneurship und Kreislaufwirtschaft.

Barbora Starovicova ist Holzwissenschaftlerin am Institut für Baustoffe und biobasierte Materialien im Departement Architektur, Holz und Bau der BFH.

Dieser Artikel erschien zuerst im Anzeiger Region Bern. Er ist Teil einer Serie, in der Forschungsprojekte der Berner Hochschulen vorgestellt werden.