Solidarität in der Permakultur

27.10.2022 Die Masterarbeit von Dario Principi umfasst weit mehr als 30 Seiten auf Papier: Eine blühende Anbaufläche von 0.6 Hektar im bernischen Meikirch. Gemeinsam mit Freiwilligen baut er dort ein solidarisches Permakultur-Projekt auf.

Während es draussen kälter wird, denken wir gerne an die heissen Sommertage zurück. An Borretsch, Ringel- und Kornblumen, die um die Wette blühen, an Beeren, Kräuter und Gemüse wie Rüebli, Bohnen und Mangold, das frisch geerntet werden kann. Wild scheint die Anbaufläche in Meikirch im Kanton Bern – doch das vermeintliche Chaos hat System. Die Fläche wird nach den Prinzipien der Permakultur bewirtschaftet. An diesem Samstagmorgen diskutiert Dario mit der Gruppe die anfallenden Aufgaben. In Zweierteams geht es an die Arbeit. Dario gibt Einblick in das Projekt.

Dario zeigt auf den Apfelbaum in der Mitte: «Vor einem Jahr wurde durch Hans Ramseier und sein Team der BFH-HAFL eine Pflanzengemeinschaft rund um den Baum angelegt.» Während der Apfelbaum den Pflanzen darunter Schatten spendet, führen diese Nährstoffe in den Boden zurück. So unterstützen sie den Aufbau des Bodens, helfen Wasser zu speichern, ziehen Nützlinge an und wehren Schädlinge ab. Nicht nur das Obst, auch die Kräuter, das Gemüse und die Blumen können heute geerntet werden.

Dario möchte in Meikirch ein funktionierendes Permakultursystem aufbauen. Solidarisch. Das heisst mit einer Gruppe, die sich selbst verwaltet, gemeinsam Entscheidungen trifft, die Finanzen im Griff hat und deren Fortbestand auch nach der Begleitung durch seine Masterarbeit gewährleistet ist. Doch welche Organisationsform eignet sich dafür? Und welche Permakulturelemente machen entsprechend dem Standort und der Bedürfnisse aller Beteiligten Sinn? Was theoretisch klingt, wird in Meikirch eins zu eins in der Praxis umgesetzt und im Rahmen seiner Masterarbeit erprobt.

Viel Vorbereitung und freiwillige Arbeit

Eine Kerngruppe rund um den Landwirt Andreas Stämpfli, der die Fläche zur Verfügung stellt, hat das Projekt vor gut einem Jahr initiiert. Mit einem Infoschild wurden weitere Interessierte gesucht. «Es haben sich über 25 Freiwillige gemeldet», erzählt Dario. «Die Sträucher und Obstbäume da hinten am Rande der Permakulturfläche haben wir in einem ersten Mitmachevent im Oktober 2021 gepflanzt. Über den Winter folgten drei Planungssitzungen, und die ersten Elemente der Permakultur wurden umgesetzt. Freilandschweine haben den Boden gelockert, eine Gründüngung wurde eingesetzt, ein Hügelbeet aufgebaut, das Material und die Arbeitsgeräte organisiert, Wissen weitergegeben. Die Vorbereitung hat sich gelohnt: Heute sticht eine vielfältige Pflanzenwelt ins Auge. Seit März 2022 trifft sich eine beständige Gruppe jede zweite Woche, um gemeinsam auf dem Feld zu arbeiten.

Auf dem Streifzug durch die Anbaufläche wird bewusst, dass Permakultur viel mehr bedeutet als Mischkulturen und Anbauen nach dem Vorbild der Natur. Permakultur schafft ökologisch wertvollen Lebensraum, der zum Verweilen einlädt. So auch für Simon: «Ich komme nicht nur zum Arbeiten hierher. Ich schätze den vielfältigen Ort zum Sein und Meditieren.»

Doch nicht nur das. Permakultur schafft Raum für Lernprozesse zwischen Natur und Mensch. Der gemeinsame Austausch, das Miteinander und die Begegnungen zwischen den Gruppenmitgliedern sind ein wichtiger Bestandteil. Dario gibt zwar viel Wissen weiter – zu den Kreisläufen, der Bodenfruchtbarkeit, dem Wassermanagement oder zur Biodiversität. Genauso wichtig ist ihm aber, dass alle ihre eigenen Beobachtungen machen, ausprobieren und dabei lernen, welche Pflanzen und Mischkulturen an diesem Standort Sinn machen.
 

Was ist Permakultur?

Permakultur zeigt auf, wie auf kleiner Fläche ertragsreich und gleichzeitig ressourcenschonend gesunde und vielfältige Lebensmittel produziert werden können. Ganz nach dem Vorbild der Natur. «In der Permakultur werden an den Standort, die bewirtschaftenden Personen, die Umgebung sowie dem Makro- und Mikroumfeld des Betriebes angepasste Bewirtschaftungsformen gesucht», erklärt Dario. «Dabei werden gezielt mehrjährige Kulturen eingesetzt. Diese besitzen eine höhere Resilienz, benötigen weniger Aufwand und sind gut für die Biodiversität. Die effektive Bewirtschaftung ist sehr frei. So haben zum Beispiel auch Ackerbau, Gemüsebau und Nutztierhaltung Platz. Es wird Wert daraufgelegt, dass Kreisläufe möglichst geschlossen und Synergien zwischen Pflanzen, Tieren und Menschen entstehen können.»

Mehr erfahren über die Forschungsgruppe Permakultur

Dario Principi: «Der Wissenstransfer zwischen Praxis und Wissenschaft ist für mich zentral.»  (Bilder: Flurina Wetter) Bild vergrössern
Dario Principi: «Der Wissenstransfer zwischen Praxis und Wissenschaft ist für mich zentral.» (Bilder: Flurina Wetter)

Verbundenheit mit Produzenten

«Den grössten Nutzen des Projektes sehe ich im Zusammenbringen von Konsument*innen und Landwirtschaft.» Das Verständnis für landwirtschaftliche Prozesse ist laut Dario eine wichtige Grundlage, um ein Umdenken im Ernährungssystem anzustossen. Ein Umdenken, das vor dem Hintergrund knapper werdender Ressourcen wie fruchtbarem Boden oder dem Verlust der biologischen Vielfalt immer wichtiger wird.

Auch die soziale Interaktion, die Freude und die Rückbesinnung auf das Wesentliche und der Kontakt zur Erde sind für Dario wichtige Aspekte. Das Projekt sensibilisiert für Themen wie Pflanzenschutz, Wirtschaftlichkeit und Biodiversität. Es zeigt den Teilnehmer*innen auf, was es bedeutet nachhaltig zu produzieren und wo zum Beispiel Food Waste anfällt.

Was sorgfältig geplant, gehegt und gepflegt wurde, kann heute geerntet werden. Yannic und Lisa pflücken die Bohnen, die sich unter dem Blätterdach verstecken, Susanne Blattmangold und verschiedene Zucchini-Sorten. Die Ernte ist ergiebig.

Andreas Stämpfli freut sich über die Entwicklung der Fläche und die aktive Kerngruppe. Aus der landwirtschaftlichen Perspektive überwiegt für ihn momentan aber noch der soziale Aspekt des Projektes. Dies äussert sich für ihn im Umgang mit der Ernte: «Oft wird nicht genügend geerntet, das Gemüse muss entsorgt werden oder es stängelt auf.»

Dario findet, dass die gemeinsam Ernte ein Lernprozess ist: «Anfangs waren die meisten sehr zurückhaltend und haben sich gefragt: Habe ich genug beigetragen, um auch etwas nach Hause nehmen zu dürfen?» Mittlerweile habe es sich eingependelt: «Es wäre ja schade, wenn die Ernte liegen bleibt. Jetzt nehme ich auch gerne etwas mit. Es hat so viel es hat und meistens ist das genug für alle», ergänzt Simon.
 

Dario Principi

Dario Principi ist Masterstudent in Agrarwissenschaften mit dem Schwerpunkt Nachhaltige Produktionssysteme. Sein Expertenwissen gibt er als Berater und Lehrer am Inforama Rütti weiter. Für Dario ist dieser Wissenstransfer zwischen Praxis und Wissenschaft auch bei seiner Masterarbeit zentral. Während die Gruppe in Meikirch von Darios Anbauwissen profitiert, kann er durch deren zweijährige Begleitung praktische Erfahrungen rund um die sozialen und ökologischen Aspekte der Permakultur sammeln. Gleichzeitig untersucht er die ökonomische Tragfähigkeit eines Projektes in Lüsslingen-Nennigkofen im Kanton Solothurn. Die angewandte Forschung hat sich bisher noch wenig mit dem systematischen Aufbau von Permakultur-Projekten und deren Wirkung auf der ökonomischen, ökologischen und sozialen Ebene befasst. Mit seiner Masterarbeit und dem Wissenstransfer zwischen den beiden Projekten trägt Dario zur Schliessung dieser Forschungslücke bei. Die Projekte sind Teil des Pilotbetriebsnetzes Permakultur der BFH-HAFL.

 

Seit 2021 wird die 0.6 Hektar grosse Anbaufläche von Andreas Stämpfli in Meikirch nach den Prinzipien der Permakultur bewirtschaftet. Bild vergrössern
Seit 2021 wird die 0.6. Hektar grosse Anbaufläche von Andreas Stämpfli in Meikirch nach den Prinzipien der Permakultur bewirtschaftet.

Viele Denkanstösse

Die Wirkung auf das Umfeld, die Gesellschaft und die Landwirtschaft darf nicht vergessen werden. «Vorbeigehende Spaziergänger oder Besucherinnen lernen ebenfalls durch das Projekt», sagt Dario. Im Feld, das an die Permakulturfläche angrenzt, wird momentan Extenso-Getreide anstatt wie früher mit Pestiziden behandelte Kartoffeln angepflanzt. Ein schöner Effekt.

Auch Landwirt Andreas Stämpfli profitiert. Die Mutterkuhhaltung, der Ackerbau, die Familie und der Nebenerwerb lassen dem Landwirt wenig Zeit zur Auseinandersetzung mit dem Thema Permakultur. «Durch das Projekt mache ich mir Gedanken, wie ich meinen Betrieb mit Permakultur erweitern und an die lokalen Begebenheiten anpassen könnte. Fehlendes Knowhow und Bedenken betreffend die Wirtschaftlichkeit sind hemmende Faktoren Permakultur im Betrieb einzubinden. Der Trend und fehlendes Wasser auf den Mutterkuhweiden sprechen aber dafür. Die Wasserversorgung ist auch auf der Permakulturfläche ein wichtiger Faktor. In meiner Kuhweide habe ich eine eigene Quelle. Diese besser zu nutzen ist ein Gedanke, den ich mir im Zusammenhang mit der Permakulturfläche erstmals gemacht habe.»

Die Ernte ist ergiebig: Susanne mit verschiedenen Zucchini-Sorten. Bild vergrössern
Die Ernte ist ergiebig: Susanne mit verschiedenen Zucchini-Sorten.

Fazit nach einem Jahr

Nach einem Jahr ist Dario positiv gestimmt. Für ihn ist die Freude und die Begeisterung der am Projekt beteiligten Personen besonders eindrücklich: «Ich habe das Gefühl, dass das Projekt gelungen ist. Die Gruppe organisiert sich selbst, auch ohne mich. Ich bin zuversichtlich, dass das Projekt auch nach meiner Masterarbeit weitergeführt wird.»

Auch Andreas Stämpfli ist gut gestimmt: «Die Fläche ist eine Bereicherung für meinen Betrieb. Die einstige Weidenfläche wird aufgewertet und auch das Dorf und die Landschaft mit Raum für Naherholung.» Dario findet, dass solchen Projekten mehr Raum gegeben werden sollte: «Es ist eine Biodiversitätsoase, ein Ort an dem Menschen lernen können, nachhaltig Lebensmittel anzubauen. Und je mehr solche Orte, desto besser für das Dorfleben und die Gesellschaft.»

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