Geheimnisvolle Hutträger

28.01.2023 100 Pilzarten wachsen im Waldgarten der BFH-HAFL. Doch wozu sind Pilze eigentlich gut? Ein Workshop lieferte faszinierende Antworten.


«Dort wo’s feucht und dunkel ist, fühlen sie sich wohl», sagt René Merki, während er die Gruppe durch den lauschigen Waldgarten führt. Mit dem scharfen Blick eines Pilzkontrolleurs sucht er die Beete ab. Alle paar Meter hält er inne. Schliesslich bückt er sich und hebt einen grossen Pilz mit markantem Hut in die Höhe. «Ein Parasol-Schirmling. Den kann man essen. Am besten, man haut ihn ganz und mit reichlich Butter in die Pfanne. Nach wenigen Minuten ist er gar.»

Doch die Hutträger der Natur auf eine blosse Zutat fürs Abendessen zu reduzieren, wäre verfehlt. Denn Pilze stecken voller Geheimnisse. Zumindest einige dieser Geheimnisse lernten die 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Pilzworkshops kennen, der Ende Oktober an der BFH-HAFL über die Bühne ging. Organisiert hatten ihn Agroecology Works!, EssWaldLand und Permakultur Schweiz gemeinsam mit Mitarbeitenden des Projekts Permakulturgärten an der HAFL, allen voran Daniel Lis.
 

Viel Expertise: Pilzkontrolleur René Merki erklärt den Workshop-Teilnehmenden die Eigenschaften des Schirmlings. (Bilder: Christoph Kummer) Bild vergrössern
Viel Expertise: Pilzkontrolleur René Merki erklärt den Workshop-Teilnehmenden die Eigenschaften des Schirmlings. (Bilder: Christoph Kummer)


Merki, der auf der Pilzkontrollstelle in Zollikofen arbeitet, hatte ein Pilz-Monitoring im Waldgarten durchgeführt. Das Resultat: 100 Arten, darunter viele Speisepilze, und auch ein paar giftige. 100 Arten klingt nach viel, doch weltweit existiert das Tausendfache. Und das Verrückte: Es ist nur ein Bruchteil dessen, was gemäss der Wissenschaft noch zu finden ist. Pilzforscher schätzen, dass wir heute nur rund 1 % der auf der Erde existierenden Pilzarten kennen.

Die Führung geht weiter. Merki fördert einen Porling an die Oberfläche und verrät: «Auf den Fruchtkörper kann man zeichnen. Das haben Menschen immer getan, zum Beispiel die Pfahlbauer», erklärt er. So hätten Archäologen Pilz-Versteinerungen gefunden – mitsamt Gekritzeltem. Was die Botschaften wohl bedeutet haben? «Vielleicht, wo ein guter Platz zum Jagen ist», mutmasst Merki.

Wundermedizin und Baustoff

Pilze sind für Vieles gut. Sie zersetzen totes organisches Material und halten so den Nährstoffkreislauf in Gang. Durch ihr weitverzweigtes Wurzelnetz unterstützen sie Pflanzen bei der Wasser- und Nährstoffaufnahme, insbesondere Bäume. Das ist auch für die Landwirtschaft von Nutzen: Tests haben gezeigt, dass Weinreben, die mit einer Pilzlösung besprüht wurden, bei Trockenheit deutlich bessere Erträge liefern.

Pilze seien weder Pflanze noch Tier, informiert der Luzerner Pilzexperte Patrick Mürner. «Erst vor wenigen Jahren wurde beschlossen, dass sie ein eigenes Reich bilden.» Mürner ist wie Merki ein echter Pilz-Fan. «Mich interessiert, welchen Pilz man wofür verwenden kann.» Die Palette sei immens. Da ist einerseits die Medizin: «Es gibt Pilze, die funktionieren besser gegen Kopfschmerzen als Aspirin. Daneben werden sie zunehmend bei Krebstherapien eingesetzt.» Nicht zu vergessen die Arten mit bewusstseinserweiternden Substanzen, welche bei Therapien gegen Depressionen eingesetzt werden. Mürner ist vor allem vom Pilz als Baustoff fasziniert. Aus dem Pilzmyzel lassen sich robuste Konstruktionen bauen, Pilze können auch für Wärmedämmungen eingesetzt oder zu Leder verarbeitet werden. Mürners Spezialgebiet ist die Schadstoffsanierung. «Einige Arten produzieren aggressive Enzyme, die Schwermetalle aus dem Boden lösen.» Damit könnten vergiftete Industrieareale auf natürliche Weise gesäubert werden.
 

Der Luzerner Pilzexperte Patrick Mürner interessiert sich vor allem dafür, wie Pilze als Baustoff verwendet werden können. Bild vergrössern
Der Luzerner Pilzexperte Patrick Mürner interessiert sich vor allem dafür, wie Pilze als Baustoff verwendet werden können.

«Pilzrugeli» für den Waldgarten

Die Zeit vergeht wie im Flug. Die Gruppe macht beim nahen Grillplatz Mittagspause. Während einige Teilnehmer noch Schwämmchen aus dem Waldgarten holen, bereiten andere die Beilagen fürs Essen zu. Bald sitzen alle vor einem dampfenden Pilz-Risotto und tauschen sich über die Beweggründe aus, am Workshop teilzunehmen. Da ist etwa Paul aus Zürich, der seine Arbeit in Ethnobotanik schreibt und sich überlegt, wie er die Pilze in seine Thesis einbauen kann. Oder Margrit, die sich zur Permakultur-Designerin ausbilden lässt und auch mit Pilzen arbeiten möchte.

Nach dem Mittagessen geht’s zurück in den Waldgarten. Nachdem die Teilnehmer allerlei Pilze gepflückt haben, geht’s nun den umgekehrten Weg: Sie pflanzen sie. Dies geschieht mit «Pilzrugeli», wie Fabian Schneider erklärt, der in Trubschachen Pilzzucht-Produkte herstellt und verkauft. Es sind Teile von Baumstämmen, die mit Pilzzellen angereichert wurden, in diesem Fall Limonen- und Taubenblau-Seitlingen. Fabian schleppt drei grosse, in Säcken verstaute Rugeli hinauf zum Garten. «Windstille Plätzchen sind am besten geeignet», sagt er. Ein solches 15-Kilogramm-Holzrugeli habe eine Lebenszeit von 3 bis 4 Jahren. In dieser Zeit könnten rund 5 bis 10 Kilogramm Pilze geerntet werden, erklärt er. Nun geht’s ans Graben. Die Holzstämme verschwinden schliesslich zu etwa Zweidrittel im Boden, damit genügend Feuchtigkeit sie erreicht. Nun heisst es warten. Und hoffen, dass sie gedeihen und den Waldgarten bald mit zwei weiteren Pilzarten bereichern.
 

Neue Pilze für den Waldgarten: Am Nachmittag werden «Pilzrugeli» im Boden versenkt. Bild vergrössern
Neue Pilze für den Waldgarten: Am Nachmittag werden «Pilzrugeli» im Boden versenkt.

Magazin infoHAFL

Dieser Beitrag ist Teil der letzten Winter-Ausgabe unseres Magazins infoHAFL.

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Rubrik: Forschung, Fachhochschule