Von der Bachelor- zur Projektarbeit: Zwei frisch diplomierte Hebammen verfassen ein Merkblatt zu Regenbogenfamilien

02.03.2023 In ihrer Bachelor-Arbeit beleuchteten die Hebammen Michelle Lanwer und Rahel Schmid die Thematik «Queere Mutterschaft». Die Thesis bildet die Grundlage für ein fachliches Merkblatt, das Fachpersonen für Regenbogenfamilien sensibilisieren soll.

Die Berner Fachhochschule wurde vom Dachverband Regenbogenfamilien Schweiz beauftragt, ein Merkblatt zum Thema «Hebammen und Regenbogenfamilien» zu erstellen. Weil die Hebammen Michelle Lanwer und Rahel Schmid in ihrer Bachelor-Arbeit über die Erfahrungen von lesbischen Müttern in der perinatalen Versorgung schrieben, wurden sie für eine Projektmitarbeit angefragt. «Wir haben sehr gerne zugesagt», sagt Rahel Schmid. «Es ist schön, dass unsere Bachelor-Thesis nicht in den Akten verstaubt, sondern etwas bewirken kann.»

Verschiedene Familienformen und Geschlechtsidentitäten sichtbar machen

Während den Praktika im Studium fiel den beiden Hebammen auf, dass die Geburts- und Wochenbettabteilungen kaum auf die Bedürfnisse von Regenbogenfamilien ausgelegt sind. «In den Broschüren, Richtlinien und anderen spitalinternen Dokumenten herrscht ein heteronormatives Bild der Familie vor», so Michelle Lanwer. «Andere Familienformen und Geschlechtsidentitäten bleiben unsichtbar.» Dadurch komme es im Spitalalltag häufig zu Situationen, in denen Regenbogenfamilien ihre Familienzusammensetzung erklären müssen, sie als Familie nicht anerkannt oder als nicht vollständig wahrgenommen und behandelt werden. Erfahrungen, die sehr verletzend sein können.

«Ziel ist, dass Regenbogenfamilien nicht diskriminiert werden. Alle Familien haben das Recht auf eine individuell angepasste Betreuung.»

Michelle Lanwer

 

Eine politische Aktualität beeinflusste Michelle Lanwer und Rahel Schmid bei der Themenfindung für die Bachelor-Thesis. Gerade stand die nationale Abstimmung über die «Ehe für alle» vor der Türe. Durch das «Ja» zur Abstimmungsvorlage und die damit einhergehenden gesetzlichen Änderungen erhoffen sich die Beiden nun auch Fortschritte in den Gesundheitsinstitutionen. Im Literaturreview haben Lanwer und Schmid Erfahrungen von lesbischen Mütterpaaren zusammengefasst und daraus Handlungsempfehlungen für Fachpersonen formuliert. Durch den Projektauftrag von Pro Familia wurde ihnen ermöglicht, die Erkenntnisse aus der Bachelor-Thesis auszuweiten und zum Beispiel auf die Perspektiven von trans Menschen anzupassen.

Rahel Schmid über die Zusammenarbeit im Projekt: «Michelle und ich waren – wie zu Studienzeiten – ein gut eingespieltes Team. Zeitweise war es herausfordernd, sich neben dem hohen Arbeitspensum als frisch diplomierte Hebamme auf die Projektarbeit zu konzentrieren.» Die Kooperation mit Anina Häfliger, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Gesundheit der BFH, erlebten sie dabei als sehr unterstützend. Durch Planung, Zielsetzungen und Feedbacks liess sich die Arbeit am Merkblatt gut mit der Arbeit in der Praxis vereinbaren. Ebenso tatkräftig unterstützt wurden sie von Maria von Känel, der Geschäftsleiterin von Regenbogenfamilien Schweiz. Michelle Lanwer: «Es war hilfreich, so eng mit den Expertinnen Anina Haefliger und Maria von Känel zusammenzuarbeiten.»

Inklusive Dokumente und diversitätssensible Kommunikation

Das nun veröffentlichte Merkblatt soll Fachpersonen sensibilisieren und gleichzeitig konkrete Handlungsempfehlungen bieten, die für eine kompetente Begleitung in allen Phasen der perinatalen Betreuung notwendig sind. Es informiert darüber, was Regenbogenfamilien sind, welche strukturellen Benachteiligungen sie erfahren und wie sich ihre Betreuung von heterosexuellen Familien unterscheiden kann. Das Merkblatt zeigt auf, wie die Arbeit diversitätssensibler gestaltet werden kann, damit alle Familien eine für sie angepasste Begleitung erhalten. «Ziel ist es, dass Regenbogenfamilien nicht aufgrund ihrer Familienform diskriminiert werden,» sagt Michelle Lanwer. «Alle Familien haben das Recht auf eine individuell angepasste Betreuung.»

Das bedeutet beispielsweise, dass die Institutionen ihre Dokumente bildlich und sprachlich inklusiver gestalten und die Fachpersonen für eine diversitätssensible Kommunikation und Behandlung schulen. Das Personal soll die Möglichkeit erhalten, sich spezifisches Fachwissen anzueignen. «Wir sind der Meinung», so Rahel Schmid, «dass bereits kleine Dinge viel bewirken können. In Broschüren und Formularen ist meistens von Mutter und Vater die Rede. Wird an dieser Stelle vom Elternteil geredet, fühlen sich alle angesprochen.» Und Michelle Lanwer fügt an: «Es ist wichtig, dass die Fachpersonen Interesse für verschiedene Familienformen zeigen. Aber auch hier ist Sensibilität gefragt. Zu viel Interesse, zum Beispiel zur Entstehung des Kindes, kann ebenfalls verletzend sein.»

«Bereits kleine Dinge können viel bewirken. Ist von Elternteil statt von Mutter und Vater die Rede, fühlen sich alle angesprochen.»

Rahel Schmid

 

Nach wie vor hängt die Qualität der Betreuung von Regenbogenfamilien, so Rahel Schmid, stark von einzelnen Fachpersonen ab. Studien anderer Länder hätten auch gezeigt, dass zum Beispiel lesbische Paare oft lesbenfreundliche Spitäler suchen und auswählen. «Wir sind der Meinung, dass die Gesundheitsinstitutionen unbedingt aufholen müssen, damit es in der Schweiz nicht auch so weit kommt. Der Bedarf nach einer angepassten und sensiblen Betreuung ist klar gegeben.» Die beiden BSc-Absolventinnen wünschen sich, dass das Merkblatt breit wahrgenommen wird und nicht nur Hebammen, sondern alle Fachpersonen anspricht, die an der perinatalen Betreuung beteiligt sind. Rahel Schmid: «Wir hoffen, mit dem Merkblatt etwas zu einer besseren Betreuung von Regenbogenfamilien beizutragen.»

Merkblatt Regenbogenfamilien
Michelle Lanwer (links) und Rahel Schmid. Foto: BFH

Die Autorinnen

  • Michelle Lanwer, BA Ethnologie und Gender Studies/BSc Hebamme und
  • Rahel Schmid, BSc Hebamme

arbeiten beide im Gebärsaal des Spitalzentrums Oberwallis in Visp.

  • Anina Häfliger, MA Sozialanthropologin und BSc Hebamme ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Geburtshilfe an der Berner Fachhochschule.
  • Maria von Känel ist Geschäftsleiterin vom Dachverband Regenbogenfamilien Schweiz.

Das Merkblatt

Auf Anfrage vom Dachverband Regenbogenfamilien Schweiz und dank dem Zusammenarbeitsvertrag mit Pro Familia Schweiz hat das Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule am Projekt mitgewirkt. Das Resultat ist ein branchenspezifisches Merkblatt zu «Regenbogenfamilien» Hebammen, das am 28. Februar 2023 schweizweit und in drei Sprachen veröffentlicht wurde. Das Projekt wurde von Pro Familia Schweiz, dem Dachverband der Familienorganisationen, gefördert.
Das Merkblatt kann hier und auf der Website des Dachverbands Regenbogenfamilien Schweiz heruntergeladen werden.

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Fachgebiet: Gesundheit, Gesundheitstechnologien + Public Health, Geburtshilfe, Pflege